Die sozialistische, nein, kroatische Moderne

Ausstellung „Urlaub nach dem Fall“
Ausstellung „Urlaub nach dem Fall“(c) Thomas Raggam/Haus der Architektur Graz
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Eine Grazer Ausstellung lieferte Einblicke in die Geschichte der sozialistischen Ferienanlagen Kroatiens. Deren Architektur wird im Lande heute eher als kroatische denn als sozialistische Moderne empfunden.

Wien/Graz. Die Oma ist schuld. Sie war es, die Michael Zinganel in seiner Kindheit die Schönheit der kroatischen Urlaubsorte – und allen voran der sogenannten „besseren“ Hotels – näherbrachte. Dieser persönliche Zugang brachte den heutigen Architekturtheoretiker, Künstler und Kurator auf die Idee, die sozialistischen Ferienanlagen der kroatischen Adriaküste im Rahmen eines Forschungsprojekts unter die Lupe zu nehmen. Die Ergebnisse sind derzeit im Rahmen der Ausstellung „Urlaub nach dem Fall“ im HDA Haus der Architektur Graz (bis 7. Dezember) zu sehen.

„Seit ein paar Jahren wächst das Interesse an sozialistischer moderner Architektur. Vielleicht liegt das daran, dass uns Dinge, die vom Verschwinden bedroht sind, mehr interessieren. Oder daran, dass wir alle als Kinder diese Orte besucht haben“, sagt Zinganel. So wie er selbst. Die Großmutter unternahm mit ihm so gut wie jeden Sommer Busreisen ins damalige Jugoslawien. Als Quartier diente stets ein anderes Hotel. „Wir haben nie privat gewohnt, dafür war sie sich zu chic. Aber auch nicht in den Hotels in der ersten Reihe zum Meer, sondern eher in der zweiten oder dritten Reihe. In die besseren Hotels sind wir nur zum Essen oder Kaffeetrinken gegangen. Die wurden so zu richtigen Sehnsuchtsorten“, erzählt Zinganel. Das dürfte damals nicht nur ihm so vorgekommen sein. Denn was heute als Betonklotz herabgewürdigt wird, war damals ein Zeichen von Moderne, Wohlstand und Wachstum.

Titos Flaggschiffe

„Die großen Hotels waren Flaggschiffe des dritten Weges von Tito. Man wollte zeigen, wie offen die jugoslawische Gesellschaft auch für internationale Gäste ist.“ Das zeigte sich auch in der Gestaltung: mit bombastischen Inneneinrichtungen, eigens entwickelten Möbeln und zeitgenössischen Kunstwerken. Besonders prestigeträchtige Hotels hatten sogar eigene Kunstkuratoren. Der kollektive Stolz auf die Architektur wurde dadurch gestärkt, dass Tourismusunternehmen weder staatlich noch privat waren, sondern im Besitz der Mitarbeiter. Um internationale Gäste anzulocken, tauchten plötzlich Dinge und Marken auf, die zuvor als kapitalistisch verschrien waren: Kreditkarten, Casinos oder Musikklubs, zählt Zinganel auf.

Der Großteil der Hotelanlagen, die es auch heute noch gibt, entstand zwischen 1965 und 1978. „Am intensivsten gebaut wurde zwischen 1968 und 1973, damals sind fast 90 Prozent der touristischen Infrastruktur entstanden.“ Ursache des Baubooms waren das Wirtschaftswunder vor allem in Deutschland und in Österreich, weiters die dank weicher Währung günstigen Preise sowie „der europäische Trend, mit dem eigenen Auto auf Urlaub zu fahren“, erklärt Zinganel. Beliebtestes Baumaterial war Beton, weil billig, einfach und modern, aber auch aus Sicherheitsgründen, erst 1963 hatte ein Erdbeben Skopje zerstört. Als Grundriss wählte man oft die Y-Form, so konnten möglichst viele Terrassen mit Meerblick untergebracht werden.

Mit dem Krieg in den 1990er-Jahren ging es mit dem Tourismus steil bergab. 1996 starteten die ersten Privatisierungen. „Dazu mussten die Betriebe zuerst verstaatlicht werden, weil sie im Besitz der Mitarbeiter standen, die aus ihren Reihen den Manager wählten“, sagt Zinganel. Und: „Man hat sich ökonomisch übernommen, in kurzer Zeit überinvestiert und statt auf Gewinn nur auf Vollbeschäftigung geachtet.“ Zudem wurden viele Investoren durch die zahlreichen Besitzer und die Rechtsunsicherheit abgeschreckt.

Anders als die anderen exjugoslawischen Länder hält Kroatien heute noch an der Moderne fest. „In Kroatien wird die Architekturmoderne nicht als sozialistisch wahrgenommen, sondern als kroatisch.“ Und auch in der heutigen Ferienarchitektur spielen Modernität und zeitgenössische Kunst eine wichtige Rolle, während andere Länder etwa auf den Historizismus setzen: „Die Moden haben sich geändert. Heute ist alles rund, vom Schiffsrumpf beeinflusst, mit vielen abgerundeten Formen und Glasfronten.“

Um das Jahr 2005 starteten in Kroatien neuerlich zahlreiche Tourismusprojekte. „Das war Pech: 2008, als vieles fertig wurde, kam die Krise.“ 2011 habe man dann von vorn begonnen. „Und nächstes Jahr muss man mit dem EU-Beitritt wohl noch mal ganz von vorn anfangen. Da geht es nicht mehr ohne Rechtssicherheit.“ Dass sich dadurch aber auch der Baustil grundlegend ändert, glaubt er nicht – zumindest nicht so schnell.

Auf einen Blick

Urlaub nach dem Fall. Geschichte und Transformation sozialistischer Ferienanlagen an der kroatischen Adriaküste. HDA Haus der Architektur Graz , Mariahilferstraße 2; bis 7. Dezember 2012, Di bis So 10–18 Uhr.
Podiumsdiskussion:
14. 11., 19 Uhr, „Übergang mit Hindernissen – ökonomische und architektonische Transformationen von Hotelanlagen“, Teilnehmer: Zoran Balog, Architekt, Boris Podrecca, Architekt, Moderation: Michael Zinganel.
Filmabend: 22. 11., 19h

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.11.2012)

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