Frankreich: Wie groß ist die "Grande Nation"?

Analyse gross Grande Nation
Analyse gross Grande Nation(c) AP (Vadim Ghirda)
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Frankreich hat bei zwei Ratingagenturen kein Triple A mehr. Die Zinsen sind aber immer noch relativ niedrig. Bedeutungslos ist die Herabstufung deshalb aber nicht. Die Sorge um Frankreich wächst.

Wien. Theoretisch bedeutet ein schlechteres Rating, dass neue Schulden teurer werden. Praktisch hat eine Herabstufung derzeit aber kaum Auswirkungen – solche Schritte sind meist schon lange vorher „eingepreist“. Und so reagierten die Anleihenmärkte kaum auf die Entscheidung von Moody's, Frankreich das Triple A zu entziehen. Zumal zu Jahresbeginn bereits Standard & Poor's die Grande Nation herabgestuft hatte. Es werde weitere Herabstufungen geben, sollte sich der Wirtschaftsausblick verschlechtern oder der Reformkurs stocken, warnte Moody's.

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Bedeutungslos ist die Herabstufung deshalb aber nicht. Denn nicht nur in der Eurozone wächst die Sorge, dass Frankreich sich zu einem waschechten Problem auswachsen könnte. Der IWF warnt vor einem Zurückfallen des Landes hinter Italien und Spanien. Dem Vernehmen nach regte Deutschlands Finanzminister Wolfgang Schäuble unlängst die deutschen Wirtschaftsweisen an, sich Frankreich, Deutschlands wichtigsten Handelspartner, genauer anzusehen. Offiziell sagt Schäuble, Frankreich sei „nicht der kranke Mann Europas“. So pochte er auch darauf, man solle die Herabstufung nicht überdramatisieren.

Wie schlimm ist es um die französische Volkswirtschaft tatsächlich bestellt? Ist Frankreich eine Zeitbombe im Herzen Europas, wie der britische „Economist“ kürzlich feststellte?

Frankreich hat nach wie vor einiges zu bieten. Die Zinsen für zehnjährige französische Staatsanleihen lagen am Dienstagnachmittag bei 2,1 Prozent. Damit liegt das Land noch immer viel näher bei Deutschland (1,4 Prozent) als bei Italien (4,9) oder Spanien (5,9 Prozent). Das bedeutet, die Investoren haben weiterhin vergleichsweise großes Vertrauen in die französische Wirtschaft.

OECD: Paris überholt Berlin

Zudem ist Frankreich nach wie vor Sitz vieler großer internationaler Unternehmen, die fünftgrößte Volkswirtschaft und die sechstgrößte Exportwirtschaft der Welt. Die OECD geht davon aus, dass Frankreich langfristig sogar Deutschland an Wirtschaftskraft überholen wird. Mit ihrer hohen Geburtenrate müssen sich die Franzosen – anders als die Deutschen – nicht vor einer „Vergreisung“ fürchten. 2010 bekamen EU-weit die Frauen nur in Irland mehr Kinder.

In der letzten Dekade verlor Frankreich aber dramatisch an Wettbewerbsfähigkeit. Die Arbeitskosten sind mit der Einführung der 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich drastisch gestiegen. Bei der Euroeinführung 1999 waren die Arbeitskosten in Frankreich niedriger als in Deutschland. Während sie in Deutschland zwischen 2001 und 2011 aber um 19,4 Prozent gestiegen sind, schossen sie in Frankreich im selben Zeitraum um satte 39,2 Prozent in die Höhe. Das BIP pro Kopf stieg in Deutschland zwischen 1999 und 2010 um 13,3 Prozent, in Frankreich waren es lediglich 7,2. Die französischen Staatsschulden liegen bei 90 Prozent, die Neuverschuldung wird heuer 4,5 Prozent betragen. Die Wirtschaft wächst 2010 so gut wie gar nicht, die Arbeitslosigkeit beträgt fast elf Prozent. Wegen des starren Kündigungsschutzes zögern Firmen mit Neueinstellungen. Staatspräsident François Hollande hat eine Arbeitsmarktreform angekündigt. Zunächst will er aber Geld in die Hand nehmen und 150.000 staatlich subventionierte Stellen schaffen. Den Firmen hat er eine Steuersenkung von 20 Mrd. Euro versprochen. Die Arbeitskosten sollen um sechs Prozent sinken. Experten bezweifeln diese Zahlen. Laut dem arbeitgebernahen Institut COE-Rexecode wird der Faktor Arbeit dadurch um 2,7 Prozent billiger.

Auf einen Blick

Die Ratingagentur Moody's hat Frankreich die Bestnote Aaa entzogen, zuvor verlor das Land bereits bei Standard & Poor's das Triple A. Die Anleihenmärkte reagierten am Dienstag zwar sehr ruhig, die Abstufung dürfte großteils bereits eingepreist sein. Langfristig gilt Frankreich jedoch als Sorgenkind Europas, da die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft stetig fällt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.11.2012)

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