Schulmassaker: Amerikas Waffenlobby steht am Pranger

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In die Trauer mischt sich zunehmend Empörung über die Waffenlobby NRA und die Waffengesetze. Während die NRA abgetaucht ist, erhöht sich der Druck auf Obama, für eine stärkere Kontrolle zu sorgen.

Newtown. Über das Brückengeländer am Stone River im Herzen von Sandy Hook ist ein Transparent gespannt: „Zusammen sind wir stark.“ Es hätte indes nicht des Appells an das Zusammengehörigkeitsgefühl bedurft: In jener schmerzerfüllten Zeit vor Weihnachten, in denen Tag um Tag die Opfer des Schulmassakers unter riesiger Anteilnahme zu Grabe getragen werden, ist die Dorfgemeinschaft noch enger zusammengerückt, als sie dies sonst ohnedies ist. In der Auslage der Boutique Sabrina & Style hängt ein Plakat mit einer aufmunternden Botschaft: „Liebe lässt uns das durchstehen.“

In Sandy Hook kommen der ungebrochene Glaube der Amerikaner an das Gute, ihr Optimismus und ihre positive Grundhaltung zum Ausdruck, die allen Fährnissen trotzen. Eine Welle der Solidarität strömt in das Dorf. Aus New York reisen Eltern mit ihren Kindern an, um ihr Mitgefühl zu bekunden. Ein Vater legt mit seiner kleinen Tochter einen Blumenstrauß an einem der zahlreichen Mahnmale nieder, die zu Bergen an Teddybären, Geschenkpaketen und Zetteln mit Abschiedsworten angewachsen sind. Eltern versuchen, ihren Kindern das Unfassbare begreiflich zu machen.

„Wer braucht schon ein Sturmgewehr?“

„Im Himmel gibt es keine Tränen mehr“, paraphrasiert ein Plakat die Strophe des Eric-Clapton-Songs „Tears in Heaven“. Eine andere Zeile nimmt Bezug aufs Weihnachtsevangelium: „Schlaft in himmlischem Frieden.“ Unter dem Christbaum verrotten Truthahn-Sandwiches auf einem Tablett – symbolische Geste für jene Kinder, die nur noch als „kleine Engel“ apostrophiert werden. Eine Schulklasse hat ihre Fingerabdrücke in Malfarben auf einem Bogen hinterlassen.

Vor dem Memorial debattieren Einheimische und Fremde über die Obama-Rede, über die Konsequenzen der Tragödie, über Todesstrafe und Waffengesetze. „Ich bin eine Befürworterin von Waffen“, sagt Monica Morgan eingangs. „Mein Bruder lehrt seine Kinder bereits von klein auf den Umgang mit Waffen. Aber wer braucht schon ein Sturmgewehr – außer das Militär?“

Sie bringt eine verbreitete Stimmung auf den Punkt. Unter dem Eindruck der Katastrophe plädiert eine knappe Mehrheit der Amerikaner für mehr Kontrolle und striktere Gesetze. „Wir haben die Spitze erreicht“, glaubt New Yorks demokratischer Senator Chuck Schumer. Hunderte Demonstranten versammelten sich vor dem Büro der Waffenlobby NRA am Capitol Hill in Washington. „Schande über die NRA“, skandierten sie. „Wir sind nicht im Wilden Westen.“

Die NRA ist indessen abgetaucht. Ihr Wortführer Wayne LaPierre postulierte einst in Wildwestmanier: „Die Kerle mit den Knarren machen die Regeln.“ Larry Pratt, Chef der Vereinigung „Waffenbesitzer für Amerika“, referierte derweil ein Routine-Argument der Waffenverfechter, indem er die Logik umdrehte: Wären die Lehrer und das Schulpersonal bewaffnet gewesen, wäre es gar nicht zu dem Massaker gekommen.

Proponenten für eine stärkere Regulierung des Waffenbesitzes wie New Yorks Bürgermeister Michael Bloomberg verspüren Aufwind, stetig erhöht er den Druck auf die Regierung: „Waffenkontrolle muss Priorität haben.“ Auch die demokratische Abgeordnete Carolyn McCarthy, durch eine Schießerei zur Witwe geworden, drängt Barack Obama zum Handeln. Der Präsident scheint jetzt tatsächlich gewillt, eine Initiative für eine Einschränkung des Zugangs zu Waffen zu ergreifen, die er lange vor sich her schob. Nach dem Attentat auf die Abgeordnete Gabby Giffords hatte das Justizministerium eine Liste von Vorschlägen für eine Reform des Waffengesetzes erstellt – der Katalog blieb im Wahljahr jedoch in der Schublade.

Mehrere waffenfreundliche Senatoren bei den Demokraten sind unter dem Schock umgeschwenkt. „Nie wurden Babys abgeschlachtet“, erklärte der passionierte Jäger Joe Manchin aus West Virginia. „Wir sind alle Eltern und Großeltern.“ Die kalifornische Senatorin Dianne Feinstein will zur Eröffnung der Legislaturperiode in zwei Wochen einen Gesetzesentwurf einbringen, der Sturmgewehre wie den „Bushmaster“, das Todeswerkzeug des Adam L., und Munitionsmagazine von mehr als zehn Patronen unter Bann stellt – wie dies im Zeitraum zwischen 1994 und 2004 schon der Fall war. Unter George W. Bush lief das Moratorium aus.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.12.2012)


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