Der britische Premier fordert von der EU Reformen, andernfalls steuere sein Land auf einen Austritt zu. Berlin und Paris lehnen Sonderwünsche ab. Die deutsche Kanzlerin Merkel sichert Cameron aber "intensive Gespräche" zu.
"Es ist an der Zeit, dass die britische Bevölkerung zu Wort kommt": Großbritanniens Premier David Cameron will die Bürger seines Landes über den Verbleib in der Europäischen Union abstimmen lassen. Das sagte er am Mittwoch in London in einer Grundsatzrede zur EU.
Im Falle seiner Wiederwahl bei der für 2015 geplanten Parlamentswahl will Cameron zunächst neu über die Konditionen der britischen EU-Mitgliedschaft verhandeln. "Und wenn wir diese Neuregelung ausgehandelt haben, geben wir dem britischen Volk ein Referendum mit einer einfachen 'in or out'-Entscheidung, unter diesen neuen Gegebenheiten in der EU zu bleiben oder vollkommen auszutreten." Die Abstimmung solle in der ersten Hälfte einer möglichen neuen Amtszeit stattfinden, das heißt noch vor Ende 2017.
Die EU stehe vor drei großen Problemen, sagte der Premier: den Schwierigkeiten der Eurozone, die Auswirkungen auf alle EU-Staaten haben, einer Krise der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit im weltweiten Vergleich sowie einer wachsenden Entfernung der EU zu den Bürgen. "Wenn wir diese Herausforderungen nicht angehen, besteht die Gefahr, dass Europa scheitert und die britische Bevölkerung auf einen Ausstieg zusteuert".
Cameron fordert "flexiblere und offenere" EU
Der Premier selbst will für einen Verbleib in der EU werben. Voraussetzung sei aber, dass die EU-Partner eine Vertragsänderung akzeptierten, die eine "flexiblere und offenere" Union erlaube. "Ich will nicht nur einen besseren Deal für Großbritannien. Ich will auch einen besseren Deal für Europa", betonte der Premier.
Änderungen seien nötig, weil "die öffentliche Desillusionierung über die EU ein Allzeithoch erreicht hat", so der Tory-Chef. Viele Menschen störe "die Einmischung in unser nationales Leben durch unnötige Regeln und Regulierung" der EU.
Cameron äußerte Verständnis für die "Ungeduld" derjenigen, die ein sofortiges EU-Referendum fordern. Er glaube aber nicht, dass eine Entscheidung zu diesem Zeitpunkt "der richtige Weg nach vorn" sei, weder für Großbritannien noch für Europa als Ganzes. Denn derzeit befinde sich die EU wegen der Eurokrise im Wandel.
EU-Staaten gegen "Rosinenpicken"
Bei den EU-Partnern stieß Camerons Rede überwiegend auf Kritik. Er fürchte, dass der Premier "ein gefährliches Spiel aus taktischen, innenpolitischen Gründen spielt", erklärte EU-Parlamentspräsident Martin Schulz.
Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel betonte, dass sie Großbritannien in der EU halten wolle. Sie sicherte Cameron intensive Gespräche über die britischen Wünsche zu, Kompetenzen auf die nationale Ebene zurückzuholen. Aber: "Man muss immer im Auge haben, dass andere Länder andere Interessen haben." Außenminister Guido Westerwelle warnte Großbritannien, dass eine "Politik des Rosinenpickens" nicht funktionieren werde.
Auch Frankreich wandte sich nach Camerons Rede gegen ein "Europa a la carte".
Spanien warnte vor den Konsequenzen eines Austritts für Großbritannien: "Wer auf sich allein gestellt den Wettbewerb mit Mächten wie den USA, China, Indien oder Brasilien aufnehmen will, hat die Zeichen der Zeit nicht verstanden", sagte der Madrider Außenminister Jose Manuel Garcia-Margallo.
SP-Bundeskanzler Werner Faymann warf Cameron mangelnde Kompromissbereitschaft vor. Sich aus "mangelnder Kompromissbereitschaft" in die "Isolation" zu begeben sei der falsche Weg und "keine seriöse Politik".
Beifall für Camerons Ideen gab es aus Tschechien. Man teile die Sicht Großbritanniens, dass Europa flexibler und offener sein sollte, erklärte Premier Petr Necas. Auch die Niederlande äußerten vorsichtige Zustimmung. Außenminister Frans Timmermans sagte, er stimme den Reformforderungen Camerons in vielen Punkten zu.
"Diese Rede hilft keinem jungen Menschen"
Der britische Vize-Premier Nick Clegg warnte nach Camerons Rede davor, dass eine lang anhaltende Unsicherheit über die Stellung Großbritanniens in der EU die Wirtschaft des Landes schädigen würde. Ein Referendum sei nicht grundsätzlich falsch: "Aber wir sollten immer danach handeln, was im nationalen Interesse ist." Derzeit seien das vor allem Wachstum, Arbeitsplätze und eine starke Wirtschaft.
Cleggs europafreundliche Liberaldemokraten regieren zusammen mit Camerons Konservativen. Europa gehört zu den strittigsten Themen in der Koalition.
Großbritannien hat in der Vergangenheit wiederholt Sonderregelungen für sich innerhalb der Union durchgesetzt. Dazu gehören ein Rabatt beim Nettobeitrag an die EU, Ausnahmen bei der Reisefreiheit sowie eine eingeschränkte Teilnahme an der Innen- und Justizzusammenarbeit, sogenannte Opt-Outs.
(Red./APA/dpa)