Pop-Debatte

Diese KI-Bastelei ist kein neuer Beatles-Song!

Beatles 1966. Heute stehen nur mehr Paul McCartney (links außen) und Ringo Starr (2. von rechts) zur Verfügung, um an einem „neuen Beatles-Song“ mitzuwirken.
Beatles 1966. Heute stehen nur mehr Paul McCartney (links außen) und Ringo Starr (2. von rechts) zur Verfügung, um an einem „neuen Beatles-Song“ mitzuwirken.APA/AFP/JIJI PRESS
  • Drucken

Noch heuer soll ein Lied, das John Lennon 1979 aufgenommen hat, als „letzte Beatles-Single“ erscheinen - dank künstlicher Intelligenz, sagt Paul McCartney. Das wahre Problem liegt woanders.

Ob sie noch irgendwelche unveröffentlichte Aufnahmen von John Lennon habe, fragte Paul McCartney dessen Witwe Yoko Ono im Jänner 1994. Er suchte nach Stücken für die damals entstehende „Beatles Anthology“. Sie gab ihm eine Kassette mit Demoaufnahmen von vier Songs.

Darunter „Now And Then“, aufgenommen von John Lennon 1979 in seinem Apartment im New Yorker Dakota Building, vor dem er am 8. Dezember 1980 erschossen wurde. Mit zarter, hoher Stimme erklärt Lennon darauf seiner Frau seine Liebe, fleht: „I don‘t wanna lose you.“ George Harrison, sonst ein höflicher Mensch, soll diese Songskizze „fucking rubbish“ genannt haben. „Er mochte sie nicht“, sagte Paul McCartney später: „Und da die Beatles eine Demokratie sind, nahmen wir sie nicht.“ Im Gegensatz zu zwei anderen, 1977 entstandenen Lennon-Songs, „Free As A Bird“ und „Real Love“, die 1995 und 1996 tatsächlich als Beatles-Singles erschienen.

Nun also, über 21 Jahre nach Georg Harrisons Tod, haben sich die restlichen Beatles offenbar entschlossen, gegen dessen Urteil den Song „Now And Then“ als „letzte Beatles-Aufnahme“ zu veröffentlichen. Das vermutet wenigstens die BBC, der Paul McCartney erklärte, es sei gelungen, Lennons Stimme aus dem alten Demo sowohl von der Gitarre als auch von den starken Hintergrundgeräuschen zu separieren: „Man sagt der Maschine: ,Das ist die Stimme. Das ist eine Gitarre. Mach die Gitarre weg.‘“ Künstliche Intelligenz nennt McCartney das, was ein wenig übertrieben scheint: Dass ein Computerprogramm imstande ist, eine Gesangsstimme von den restlichen Instrumenten und Geräuschen zu unterscheiden, will man doch nicht als sonderliche Intelligenzleistung anerkennen.

George Harrison wollte das nicht

Es gibt andere Einwände gegen diese Bastelei. Wer „Free As A Bird“ und „Real Love“ heute hört, versteht, dass sie nie wirklich in den Beatles-Kanon aufgenommen wurden. Produzent Jeff Lynne – bekannt von seinem Electric Light Orchestra – hat sich zwar hörbar bemüht, den Sound der späten Beatles nachzumachen, das Ergebnis überzeugt aber wenig. Auch weil Lennons Stimme 1977 einfach nicht mehr so klang, wie sie zu Beatles-Zeiten (also bis 1970) geklungen hatte. Für „Now And Then“ gilt das noch mehr. Und heute steht nicht einmal George Harrison zur Verfügung, um die Skizze mit bittersüßer Gitarre zu veredeln.

Wäre es da nicht konsequenter, tatsächlich das, was man derzeit hochtrabend künstliche Intelligenz nennt, mit der Komposition eines „neuen Beatles-Songs“ zu beauftragen? Das Projekt Iasis hat auf entsprechende Weise „neue Oasis-Songs“ produziert, und immerhin Sänger Liam Gallagher war mit der computergestützten Imitation zufrieden. Mehr wird dergleichen nie werden: Es ist das Prinzip von Chat GPT, Erwartbares zu erzeugen. Unerwartbares – wie es die Beatles im reichen Maße schufen – ist ihm fremd. Es fiel dem späten Lennon schon schwer, wie seine Songskizzen zeigen.

Noch eines zeigt uns die Debatte: wie einzigartig die menschliche Stimme ist, wie sie sich auch im Lauf des Lebens ändert. Wie würde ein alter Lennon klingen? Wie ein alter McCartney klingt, wissen wir. Dass seine Stimme in Beatles-Liedern so unterschiedlich klinge, war 1969 übrigens auch eines der Argumente in der Verschwörungstheorie, die wissen wollte, dass McCartney in Wahrheit schon 1966 gestorben sei: Aus akustischen Analysen könne man schließen, dass die ihm zugeschriebenen Gesangspassagen in Wirklichkeit von drei Sängern stammen. Für solche Erkenntnisse würde man heute wohl eine „künstlichen Intelligenz“ bemühen.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.