Leitartikel

Prigoschins Aufstand legte Schwächen im System Putin offen

Russlands Präsident Putin in seiner fünfminütigen TV-Ansprache zum Aufstand der Wagner-Gruppe.
Russlands Präsident Putin in seiner fünfminütigen TV-Ansprache zum Aufstand der Wagner-Gruppe.Imago / Pavel Bednyakov
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Die Rebellion in Russland wurde nach nur 24 Stunden abgesagt. Jewegenij Prigoschin pfiff seine Söldner-Truppe wieder zurück und erhielt freies Geleit nach Belarus. Doch für Kreml-Chef Putin bleibt ein bitterer Nachgeschmack.

Alle mussten ausrücken und sich hinter Präsident Wladimir Putin stellen: die Vorsitzenden der russischen Parlamentskammern, die Verwaltungschefs der besetzten Gebiete in der Ukraine und Patriarch Kyrill. Der Chef des Auslandsgeheimdiensts erklärte den „Putschversuch“ schon für gescheitert, als die Rebellion der Wagner-Armee von Jewgenij Prigoschin noch voll im Gang war. Die Panik muss groß gewesen sein im Kreml.

Russland bewegte sich am Rand eines Bürgerkriegs. Ohne einen Schuss abzugeben, hatte die Söldnertruppe das Hauptquartier der russischen Armee in der Millionenstadt Rostow nahe der Ukraine eingenommen. Der Vize-Verteidigungsminister und der Vize-Generalstabschef wirkten in einem Video völlig verdattert, als Prigoschin neben ihnen saß und ultimativ die Auslieferung von deren Vorgesetzten forderte. Auf sie hatte es der russische Wallenstein abgesehen: auf Verteidigungsminister Sergej Schoigu und Armeechef Waleri Gerassimow. Seit Monaten deckt der Militärunternehmer die beiden mit derber und unerbittlicher Kritik ein.

Den Präsidenten hat Prigoschin bisher nie persönlich angegriffen. Doch der Kreml-Chef meldete sich am Samstag seinerseits zu Wort und forderte eine harte Strafe für den „Hochverrat“. Putin schien sich damit die Möglichkeit zu verbauen, den Konflikt mit Prigoschin durch eine Rochade in der Militärführung zu begradigen. Lang hatte er seinen Protegé gewähren lassen. Der öffentlichen Erpressung aber wollte und konnte Putin nicht nachgeben. Prigoschin hatte den Rubikon mit dem Marsch auf Rostow und weiter auf Moskau überschritten. Schließlich ruderte er zurück. Am Abend beorderte Prigoschin seine Truppen in die Feldlager zurück. Um Blutvergießen zu vermeiden, wie der Söldner-Chef sagte. Möglicherweise war ihm angesichts mangelnder Unterstützung aus er Moskauer Elite die Aussichtslosigkeit seines Unterfangens bewusst geworden. Vermittelt hatte den Deal der Präsident von Belarus - in Absprache mit Putin.

Der russische Präsident habe den Aufständischen Strafffreiheit garantiert, hieße es aus dem Kreml. Und Prigoschin selbst werde nun nach Belarus gehen. Offen blieb zunächst die Frage, was nun aus der Wagner-Gruppe wird, die bis zu 25.000 Kämpfer in ihren Reihen zählt.

Auf einmal schien alles möglich in Russland: ein schnelles Ende Prigoschins, ein Umsturz in Moskau, sogar ein Bürgerkrieg.

24 Stunden lang war der Machtkampf offen eskaliert. Für Putin stand alles auf dem Spiel. Prigoschin hatte ihn einen Tag lang vor den Augen aller Welt vorgeführt. Wirklich stark wirkte das Kreml-Regime dabei nicht. In seiner Videoansprache erwähnte Putin auch selbst die Oktoberrevolution 1917 und den „Dolchstoß“ in den Rücken mitten im Ersten Weltkrieg. Eine interessante historische Parallele: Oft in der Geschichte gelangen Umstürze, weil sich Soldaten weigerten, auf ihre eigenen Landsleute zu schießen. Putin war es deshalb ein Anliegen, die Auseinandersetzung mit Prigoschin ohne Gewalt beizulegen. Für Putin war die Revolte trotzdem ein Desaster, auch wenn er sie rasch ersticken konnte. Denn im System wurden Schwächen sichtbar: Prigoschin konnte im Handstreich eine Garnisonsstadt wie Rostow einnehmen.

Nicht wenige Russen schätzen Prigoschin, weil er mit der Eroberung von Bachmut einen der wenigen Erfolge im Ukraine-Krieg erzielt hat. Ausgerechnet der Gründer von Troll-Fabriken sprach in seinen bizarren Auftritten bisweilen schonungslos die Wahrheit aus. Zuletzt erklärte er, dass die Ukraine nie eine Gefahr für Russland dargestellt habe. Damit entlarvte er den barbarischen Krieg als das, was er ist: völlig unnötig.

Putin musste das Söldner-Monster, das er geschaffen hat, schnell aus dem Weg räumen oder besänftigen. Sonst hätte es ihn selbst heimgesucht. Prigoschin hatte mit einem „Marsch der Gerechtigkeit“ auf Moskau gedroht und schon von einem „neuen Präsidenten“ gesprochen, den es bald geben werde. Seine Erfolgschancen hingen zu diesem Zeitpunkt davon ab, wie loyal die Armee nach 16 Monaten eines sinnlosen Krieges zu Putin steht und wie treu ergeben ihm die eigene Söldner-Truppe ist. Auf einmal schien alles möglich in Russland: ein schnelles Ende Prigoschins, ein Umsturz in Moskau, ein Bürgerkrieg.

Nach Prigoschins Rückzieher ist der Machtkampf entschärft. Gestärkt wurden die russischen Streitkräfte durch diese Episode jedoch nicht. Im Ukraine-Krieg hat ein neues Kapitel begonnen. Auf die Wagner-Gruppe kann sich Putin nicht mehr verlassen.

christian.ultsch@diepresse.com

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