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„Wenn Rostow Prigoschin hätte stoppen wollen, hätten sie es machen können“

Wagner Söldner und ein Kampfpanzer in Rostow. Militärexperte Gressel sagt: „Wagner hat keine Kampfpanzer, die kommen von der Armee.“
Wagner Söldner und ein Kampfpanzer in Rostow. Militärexperte Gressel sagt: „Wagner hat keine Kampfpanzer, die kommen von der Armee.“Reuters / Stringer
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Der Einmarsch in der südrussischen Millionenstadt Rostow war für Prigoschins Söldner ein Spaziergang. Militärexperte Gressel vermutet dahinter teils Kollaboration der frontnahen russischen Einheiten. Außerdem erklärt er, wie sich der Aufstand in Russland auf die ukrainische Gegenoffensive auswirken könnte.

Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. „Anstatt zu versuchen, Kiew in drei Tagen zu erobern, sind sie dazu übergegangen, Rostow in drei Stunden zu verlieren“, twitterte Sergej Radchenko augenzwinkernd. Der britische Historiker mit sowjetischen Wurzeln spielte darauf an, dass die Russen die Ukraine im Handstreich unterwerfen wollten, aber stattdessen 16 Monate später mit einem Aufstand im eigenen Land kämpfen. Auch in Kiew verfolgten sie das Aufbegehren des Söldner-Führers Sergeij Prigoschin, des „nützlichen Monsters“, gebannt und euphorisch. Ein Regierungsberater wähnte sein Land dem „vollständigen Sieg“ samt Krim-Rückeroberung gleich „ein paar Schritte“ näher.

Der Hub

Ob er recht hat und falls ja, wie groß die Schritte sind, ließ sich am Samstag nicht sagen. Denn die Ereignisse überschlugen sich. Sicher war, dass der Aufstand zu einem Schlüsselzeitpunkt erfolgt, während sich die Ukraine nämlich mit einer Gegenoffensive abmüht, die noch keine großen Erfolge zeitigt. Aber das könnte sich nun ändern. Aus Sicht des Militärexperten Gustav Gressel von der Denkfabrik European Council on Foreign Relations öffnet sich jetzt nämlich ein Möglichkeitsfenster.

Wobei das nicht daran liegt, dass der Wegfall der Wagner-Söldner die Russen militärisch besonders schmerzen würde. Die Prigoschin-Truppe spielt nämlich ohnehin keine große Rolle mehr. Vielleicht 5000 der 25.000 Söldner seien noch an der Front, schätzt Gressel – also ein Bruchteil der Gesamtzahl an russischen Kräften. Und es handle sich dabei zwar um gut ausgebildete Kämpfer mit einer vergleichsweise hohen Moral, weshalb die Söldner auch als Stoßtruppen in Bachmut eingesetzt wurden, die Privatarmee sei aber zugleich ein Mängelwesen: Sie haben vor allem nur „leichte Infanterie“ und ursprünglich auch keine Flugzeuge, keine Luftabwehr, keine Kampfpanzer. „Mit Wagner allein kann man nicht viel anstellen.“

»Die machen mit«

Gustav Gressel

Militärexperte

Umso bemerkenswerter erscheint dem Experten die Dimension des Aufstands in den ersten Stunden, in denen die Wagner-Gruppe militärische Einrichtungen in Rostow-am-Don mühelos übernommen haben soll. Denn die Millionenstadt an der ukrainischen Grenze spielt für die russische Armee eine Schlüsselrolle in diesem Krieg, und zwar nicht erst seit dem 24. Februar 2022, sondern schon seit 2014, seit die Kämpfe in der Ostukraine begonnen haben. „Rostow ist keine unbefestigte Stadt, da rennt genug Militär herum“, erläutert Gressel, „wenn die Prigoschin hätten stoppen wollen, hätten sie es machen können. Dasselbe gilt für Woronesch.“

Erstaunlich ist auch, dass auf den Bildern aus Rostow Panzer und andere schwere Fahrzeuge zu sehen sind. „Die Kampfpanzer kommen nicht von Wagner, die kommen von der Armee. Es muss Überläufe oder Kollaborationen gegeben haben“, erklärt der Militärexperte.

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