175 Jahre „Die Presse“

Die Kriegszeitung und der Patriotismus

 Ullstein Bild/picturedesk.com
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Aufarbeitung. Die Journalisten leisteten ihren Kriegsdienst am Schreibtisch. Sie schürten 1914 die Euphorie und militarisierten ihre Sprache.

Nach dem Attentat von Sarajewo am 28. Juni 1914 trauerte die „Neue Freie Presse“ auf ihre Weise: Lokales, Sport und Anzeigen verschwanden kurzfristig aus dem Blatt. Es lag das Verhängnis in der Luft, aber Kriegshetze findet man keine. „Die Fürsten müssen den Frieden wollen“, hieß es in dem Monat, der als „Juli-Krise“ in die Geschichte einging, „denn niemand kann sagen, wie die Gesellschaft aus dem nächsten Krieg hervorgehen würde.“ Entschieden wandte sich die Zeitung aber gegen das „Großserbentum“, hier fand sie zu militanten Tönen, wenn sie schrieb: „Der Sumpf muss ausgetrocknet werden, damit dieses bösartige Fieber verschwindet.“ Doch das müsse möglich sein, ohne dass ganz Europa in den Abgrund gleite.

Ein Weltkrieg wäre eine Todsünde

Man kann der Redaktion zunächst nicht vorwerfen, sich auf die Seite der Kriegstreiber gestellt zu haben. Es fehlte nicht an Appellen, Ruhe und Vernunft einkehren zu lassen. Bis zuletzt glaubte die „Neue Freie Presse“, dass sich die internationalen Spannungen beilegen lassen würden: „Ein Weltkrieg ohne zureichende Gründe wäre eine Todsünde.“ Bereits am 24. Juli kündigte die Zeitung freilich an: Der Kaiser werde ein Kriegsmanifest an die Völker der Monarchie erlassen. Da wollte man es nicht an Patriotismus und moderater Begeisterung fehlen lassen.

Es mutet seltsam an, dass es am 26. Juli in der Schlagzeile hieß: „Der bevorstehende Ausbruch des Kriegs mit Serbien“, und auf derselben Seite unten im Feuilleton ein Bericht über eine Skandalstory in den gehobenen Kreisen Frankreichs erschien. Jedenfalls gilt: Ab diesem Tag nahm die Zeitung endgültig Abschied von ihrem Friedenskurs und trat vehementer als zuvor für den Krieg gegen Serbien ein. Auch das Feuilleton war nun nicht mehr unpolitisch. Am 28. Juli schrieb Felix Salten über den bevorstehenden Krieg: „Es muss sein.“ Von Tag zu Tag mehr gilt jetzt: Dem Vorwurf, unpatriotisch zu agieren, darf sich keiner aussetzen, nicht einmal die Sozialdemokraten taten das.

Ab da schwamm die „Neue Freie Presse“ mit in der Euphorie bei dem, was man den „Geist von 1914“ nannte, und zwar in dem für sie typischen hymnischen Ton, der vor allem vom mächtigsten Journalisten der Monarchie stammte, von Moriz Benedikt. Der Krieg, der bevorstand, die „Bedeutung der Stunde“, würde alle „Schlacken des Zweifels und der Unentschlossenheit“ mit sich reißen, ein reinigendes Erlebnis stünde bevor, Parteiunterschiede würden eingeebnet, die Kümmernisse und Sorgen des Privatlebens unbedeutend werden.

Ganz große Stimmung also, Emotionen der Gemeinsamkeit, siegessicheres Hochgefühl. Ahnungsvoll schrieb man über eine neue österreichische Staatsmission, davon, dass die allgemeine Begeisterung die zentrifugalen Kräfte dieses Staats eindämmen und die gesamte Monarchie retten würde.

Die Tragödie rückte in den Nebensatz

Schwülstiges Pathos, wohin man den Blick richtete. Am 2. August 1914 sah die „Neue Freie Presse“ „Waffen von wunderbarer Vollkommenheit, und Millionen, die an diesem schönen Augusttage, an dem die Natur eine Freude über sich selbst zu haben scheint, Felder und Wiesen, Werkstätten und Schreibstuben verlassen, um sich dem Feind entgegenzuwerfen. Alles das ist so erhaben.“ Schade, dass ein Journalist „nicht die Sprachkraft eines Sophokles hatte, um die sich hoch auftürmende Tragödie des menschlichen Geschlechtes in Worte zu fassen“. Die Tragödie rückt in den Nebensatz.

So blieb die „Neue Freie Presse“ ein loyales Blatt, das mehr als 67 Prozent der Zeitung mit Kriegsthemen füllte, das anschrieb gegen Kleinmut und Unmut und dessen Ziel die Erhaltung der Monarchie und des Bündnisses mit Deutschland war. „In diesem Ozean der patriotisch-militärischen Lüge, wobei wir an der subjektiven Ehrlichkeit vieler Journalisten nicht zweifeln dürfen, gibt es aber auch regelmäßig eine freilich steinige Insel der Wahrheit: die von der ,Neuen Freien Presse‘ veröffentlichten amtlichen Verlustlisten“, schrieb der Germanist Sigurd Paul Scheichl.

Kriegszeiten sind Zeiten von Presselenkung und Pressekontrolle, in denen Zeitungen als Objekte der Regierungen instrumentalisiert werden. Die Zensur schlug zu, die Leser bekamen weiße Spalten in ihrem Leibblatt zu sehen. Das widersprach dem Selbstverständnis des ohnehin dem Patriotismus verpflichteten Blatts. Manchmal berichtete es zaghaft über Versuche, den parlamentarischen Betrieb wiederherzustellen. Dafür hatten liberale Journalisten im 19. Jahrhundert gekämpft. Doch das Parlament und seine Vorzüge durften nun nicht mehr erwähnt werden. Man entkam der Zensur nur, wenn man es bei vagen Andeutungen beließ, und oft nicht einmal dann.

Auch die an sich harmlose „Kleine Chronik“ im Lokalteil stand jetzt im Dienst des Krieges. Die Hof- und Personalnachrichten berichteten mit Vorliebe von Ordensverleihungen und Wohltätigkeitskonzerten für kranke Soldaten. Der Krieg reicht bis in die sprachlichen Details. Selbst die Aufforderung zu einer Altstoffsammlung wird nicht im gebotenen nüchternen Ton gehalten, sondern es geht hier um die „warme Wäsche für unsere Soldaten, die mit Zuversicht nach den siegreichen Sommer- und Herbstkämpfen einem glorreichen Winterfeldzug entgegensehen. Jeder Wollfetzen, den die Hausfrau hergibt, wird so zur Stärkung unserer Wehrmacht (. . . ) beitragen“. So könne jeder Bewohner Österreichs seine Pflicht tun und sich als Kämpfer im Hinterland betätigen. Zur Erinnerung: Es geht um eine Altstoffsammlung.

Und was war mit dem legendären Feuilleton, dieser Schöpfung bürgerlicher Kultur, in diesen Jahren passiert? Man ließ Schriftsteller zu Wort kommen, die in heute schwer nachvollziehbarer Weise die Euphorie schürten. Sie erfasste in der Anfangsphase auch Autoren wie Stefan Zweig und Hugo von Hofmannsthal, denen vor 1914 jede Anteilnahme am politischen Geschehen fern lag. Literaten schwadronierten von Kampfkraft und Heroismus, große Teile des Feuilletons waren mehr oder weniger reine Frontberichte, von Roda Roda, von Franz Molnar, von der berüchtigten Schützengrabenverherrlicherin Alice Schalek, Franz Karl Ginzkey, Ludwig Ganghofer. Auch in der traditionell friedfertigen Textsorte klirrten also die Waffen, die die Zeitung auch sonst beherrschten.

Entfernung von der Realität

Gustav Dreßler, der der „Neuen Freien Presse“ in der Zeit des Ersten Weltkriegs eine Analyse gewidmet hat, kommt zum Ergebnis: „Es bedarf nicht der zum Großteil berechtigten und beißenden Kritik eines Karl Kraus, um zu erkennen, dass die eigentliche Schwäche dieses Blattes in seiner Entfernung von der Realität lag. Die militärische Lage des Reiches, das Unsicherwerden der unteren Schichten und der nichtdeutschen Völker der Monarchie wurden ebenso zu wenig berücksichtigt wie die sich verschlechternde wirtschaftliche Lage des Reiches. Indem die ,Neue Freie Presse‘ die politische Ordnung der konstitutionellen Monarchie unterstützte, verlor sie den Anschluss an das aktuelle Zeitgeschehen.“ Ein vernichtendes Urteil über eine Zeitung.

Kriegstreiber

Nach dem Attentat in Sarajewo am 28. Juni 1914 gesellte sich die „Neue Freie Presse“ nicht sofort zu den Kriegstreibern. Aber es dauerte nicht lang, bis das Blatt, das für Ruhe und Vernunft stand, in die Kriegseuphorie einstimmte und sich in schwülstigem Pathos erging. Bald füllte es zwei Drittel seiner Zeitung mit heroischem Kriegsgeschrei.

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