175 Jahre „Die Presse“

Wirecard-Aufdecker Dan McCrum: „Gibt es ein Problem, wirf Geld darauf“

Dan McCrum
Dan McCrumKay Nietfeld
  • Drucken

Der Journalist Dan McCrum deckte den Wirecard-Skandal auf. Statt die Betrüger, nahmen die deutschen Behörden ihn ins Visier. Er wurde bedroht und ausspioniert.

Bedroht, verdächtigt, verleumdet. Dan McCrum wurde wegen seiner Wirecard-Recherchen zum Ziel von Justiz und Aufsichtsbehörden, die ihm Insiderhandel vorwarfen. Gegen alle Widerstände deckte der britische „Financial Times“-Journalist den größten Skandal der deutschen Wirtschaftsgeschichte auf, an deren Spitze die zwei Österreicher, Markus Braun, Ex-Wirecard-Chef, und der flüchtige Jan Marsalek, Ex-Vorstandsmitglied, stehen. Fast im Alleingang hat McCrum fünf Jahre lang versucht, die Wahrheit über den Finanzdienstleister aus Aschheim herauszufinden. Am Ende fand sich eine massive Bilanzfälschung – in Höhe von 1,9 Mrd. Euro. Am Aktienmarkt verbrannten Millionenbeträge. Derzeit müssen sich Braun und zwei weitere Manager vor Gericht in München verantworten. Bevor der ehemalige DAX-Konzern Ende Juni 2020 Insolvenz anmeldete, hatte dieser jahrelang Millionen investiert: in Spione und Anwälte. Sie sollten Kritiker vom Hals schaffen, allen voran: Dan McCrum.

Die Presse: Warum lag eine Zeit lang ein Hammer unter ihrem Bett?

Dan McCrum: Ich hatte Angst. Ich hatte keine Ahnung, womit ich es zu tun hatte. Als ich erstmals von Wirecard hörte, hieß es, Gangster seien involviert. Wir wurden observiert und Hacker versuchten, unsere E-Mail-Konten zu knacken. Ich wurde nervös, etwas auf mich genommen zu haben, von dem ich die Ausmaße nicht kannte.

Gibt es Ihnen eine gewisse Genugtuung, acht Jahre nachdem Sie ihre Recherche gestartet haben, die Manager vor Gericht zu wissen?

Es ist befriedigend, die Bastarde endlich mit einer drohenden Gefängnisstrafe konfrontiert zu sehen. Am 20. Juni kam es in Singapur zum ersten Urteil. Zwei Ex-Wirecard-Mitarbeiter wurden wegen der Veruntreuung von Geldern zu Haftstrafen verurteilt. Ein Weg, den wohl auch Markus Braun gehen wird. Entweder ist er die am meisten betrogene Person, die jemals gelebt hat, oder ein eiskalter Soziopath. Vielleicht ist er unschuldig. Dann fliege ich auf einem Schwein nach Deutschland und gratuliere ihm. Und im Juli beginnt der Prozess gegen den britischen Geschäftsmann Henry O‘Sullivan in Singapur, eine düstere Schlüsselfigur im Wirecard-Skandal. Nach all der Arbeit ist es sehr befriedigend, Ergebnisse zu sehen. Es hat lang gedauert.

Es hat sehr lang gedauert, bis die deutsche Justiz gegen Wirecard ermittelte . . .

Die zwei Verurteilten nannten wir das erste Mal namentlich in einem Artikel im Jänner 2019. Die Beweise waren von Anfang an da. Die Mühlen der Justiz mahlen langsam.

Nicht nur das. Statt gegen Wirecard zu ermitteln, zog es die Justiz vor, zunächst gegen Wirecard-Kritiker vorzugehen wie Sie. Auch die deutsche Finanzaufsicht Bafin stellte Strafanzeige gegen Sie und ihre Kollegin Stefania Palma . . .

Das ist ein erstaunlicher Aspekt der Wirecard-Saga. Wir deckten einen groben Missstand auf. Aber die deutsche Polizei ermittelte gegen uns.

Wie reagierten Sie?

Ich dachte, die Welt sei verrückt geworden. Ich hielt es für einen Scherz. Aber das war die schwarze Magie von Wirecard, ihre Angriffsstrategie. Man warf uns Marktmanipulation und Fake News vor. Es war bizarr. Und ich erhielt nie eine Erklärung, warum sich die deutschen Behörden lieber auf Journalisten als auf das Fehlverhalten von Wirecard konzentrierten. Es war unerträglich.

Hat Ihr Chef Ihnen vertraut?

Glücklicherweise, ja. Wenn man heikle Geschichten schreibt, braucht man das Vertrauen seines Herausgebers. Lionel Barber war seit 14 Jahren im Amt. Intern gab es nie einen Zweifel.

Dennoch hat die „Financial Times“ ihre E-Mails untersuchen lassen . . .

Damals spitzte sich die Geschichte in ihrer ganzen Verrücktheit zu. Die deutsche Wirtschaftszeitung „Handelsblatt“ schrieb, wir seien korrupt und berief sich auf dubiose Tonbänder. Um das wieder einzufangen, mussten wir etwas tun. Deswegen engagierten wir externe Anwälte, die überprüften, dass alles sauber ablief.

Empörte Sie das?

Angenehm war es nicht. Es war ein Tiefpunkt. Wir standen kurz vor dem Sieg. Ich saß auf dem Knüller, der alle endlich überzeugen würde. Doch wir konnten nichts schreiben, weil gegen uns ermittelt wurde. Wir mussten die Füße still halten und zusehen, wie Wirecard am Anleihenmarkt fast eineinhalb Milliarden Euro aufnahm. Das fühlte sich schrecklich an. Es sah so aus, als würde Wirecard mit allem durchkommen und meine Karriere am Ende sein. Ich fühlte mich sehr verwundbar.

Die Einschüchterung Wirecards funktionierte also. Doch dann veröffentlichten Sie, dass das Geschäft mit Drittpartnern in Asien nicht existierte . . .

Wirecard lenkte ab. Kurz bevor wir die Geschichte 2019 veröffentlichten, gab Wirecard bekannt, uns in München zu klagen. Deswegen spielte man den Artikel herunter. So bestimmte Wirecard die öffentliche Debatte. Erst sechs Monate später wurde mir die Klageschrift per Brief persönlich überbracht. Sie wussten also, wo ich wohne. Nicht nur die Zeitung, sondern ich persönlich wurden auf eine hohe Entschädigungssumme geklagt. Das war sehr einschüchternd. Ich dachte, die ziehen uns bis auf das Hemd aus. Dann stellte sich heraus: Die Klage war juristisch absoluter Quatsch. Es war offensichtlich eine Verzögerungstaktik, aber mir waren die Hände gebunden.

Ihrem Chef Paul Murphy wurden zehn Millionen Dollar angeboten, um die Berichterstattung über Wirecard zu stoppen. Hätten Sie das Geld genommen?

Das ist schon eine Menge Geld. Keiner von uns nahm es wirklich ernst. Wir gingen damit um, als wäre es eine Falle gewesen.

Irgendwann müssen Sie doch gezweifelt haben . . .

Das war Jan Marsaleks Munition: „Gibt es ein Problem, wirf Geld darauf.“ Und wen kann man nicht für zehn Millionen Dollar kaufen?

Journalisten – hoffentlich . . .

Für diejenigen, die Motivation aus großen Geldsummen ziehen, ist Journalismus nicht der richtige Job. Während Wirecard Millionen für Anwälte und Spione auf uns warf, sparten wir ein paar Pfund an Flugtickets nach Singapur.

Nach der Pleite von Wirecard wurden sie 2020 im deutschen Untersuchungsausschuss des Bundestags als Sachverständiger vernommen. Die Parteien CDU und SPD verhinderten, dass Sie öffentlich als Zeuge aussagen. Was passierte hinter den verschlossenen Türen?

Ich bereue, dass ich nicht kritischer war. Teilweise verstand ich nicht, wie die politischen Vorgänge funktionierten. Ich hätte klar aussagen müssen, dass die Prüfer und Regulierer inkompetent waren. Der Ausschuss war nicht fokussiert. Die Opposition gab der Regierung die Schuld und die Regierung allen anderen.

Der Finanzminister, dem die Bafin unterstellt war, hieß zu dieser Zeit Olaf Scholz. Er ist inzwischen deutscher Bundeskanzler . . .

So ist es. Es gibt aber weitere Dinge, mit denen ich unzufrieden bin. Die Reformen der Bafin und das Scheitern, weitere Personen strafrechtlich zu verfolgen, neben den drei, die derzeit vor Gericht sitzen. Um einen Betrug dieser Tragweite durchzuführen, braucht es mehr als drei. Die Mitglieder des Vorstands unterstützen fragwürdige Entscheidungen. Und der Wirecard-Finanzchef war mehr als eine Dekade im Amt. Warum ist er nicht vor Gericht?

Es gibt noch viele offene Fragen . . .

Ja. Warum ließ die Polizei Jan Marsalek aus dem Land?

Was wäre Ihre erste Frage an Jan Marsalek, wenn Sie ihn treffen würden?

„War es eine Erleichterung, als alles zusammenstürzte?“ Er ist dieser faszinierende und komplexe Charakter. Ich versuchte mich in ihn hineinzuversetzen, als ich mein Buch schrieb. Einerseits ist er der James-Bond-Typ, der mit Söldnern abhängt und jeder glaubt ihm alles. Anderseits hat er keine Ahnung, was er tut und improvisiert ständig. Es wäre großartig, sich mit ihm zu unterhalten.

Dan McCrum

Er arbeitete einst für eine Bank. Dort definierten sich zu viele über ihren Gehaltsscheck. Er aber wollte den nächsten großen Scoop und fand ihn bei Wirecard.

Jubiläum

Welche Zukunft haben Liberalismus und Meinungsfreiheit? Diese Frage stellte sich im Revolutionsjahr 1848, als „Die Presse“ erstmals erschien. Und sie stellt sich heute mehr denn je. In unserem Schwerpunkt zum Jubiläum blicken wir zurück und nach vorne.

>> Hier geht es zu den Geschichten der Jubiläumsausgabe
>> Bestellen Sie ein Exemplar der Jubiläumsausgabe im Presse-Shop

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.