175 Jahre „Die Presse“

Marina Owsjannikowa: „Ich pfeife auf den Informationskrieg“

Marina Owsjannikowa
Marina OwsjannikowaOEL SAGET/AFP via Getty Images
  • Drucken
  • Kommentieren

Marina Owsjannikowa wurde berühmt, als sie live in den russischen Abendnachrichten gegen den Krieg protestierte. Im „Presse“-Interview spricht sie über Prigoschins Putsch, TV-Propaganda und ihren Protest – und wie sie der Diskreditierung ihrer Person begegnet.

Wenn man sie fragt, wer sie ist, eine Ex-Journalistin, eine Emigrantin oder eine Putin-Kritikerin, dann sagt Marina Owsjannikowa in ihrer entwaffnend-ehrlichen Art, dass sie manchmal selbst nicht wisse, wer sie sei. Dann sagt sie: „Ich bin ein Mensch, der versucht, in diesem ganzen Wahnsinn nicht den Verstand zu verlieren.“

Owsjannikowa wurde im März 2022 schlagartig berühmt, als sie in den Abendnachrichten im Ersten Kanal ein Anti-Kriegs-Plakat hochhält. Seit 2003 ist sie Nachrichtenredakteurin bei der russischen staatlichen TV-Station, die für ihre Propaganda berüchtigt ist. Nach Kriegsbeginn entscheidet sie, dass sie etwas tun muss. Im Herbst 2022 kann sie mit Hilfe der Organisation Reporter ohne Grenzen nach Frankreich fliehen. Owsjannikowa hatte in Russland eine Gefängnisstrafe gedroht. Ihre Entscheidung hat sie im packenden Bericht „Zwischen Gut und Böse: Wie ich mich endlich der Kreml-Propaganda entgegenstellte“ beschrieben (Langenmüller). Heute lebt sie in Frankreich. „Die Presse“ erreicht sie über den verschlüsselten Messenger-Dienst Signal.

Die Presse: Hat Prigoschins Aufstand Sie überrascht?

Marina Owsjannikowa: Ich habe schon lang prognostiziert, dass es zu einem Zusammenstoß kommen wird. Putin hat eine große Menge an Leuten bewaffnet, Häftlinge wurden aus den Gefängnissen freigelassen, es gibt viele private Sicherheitsfirmen. Konflikte zwischen diesen Gruppen waren nur eine Frage der Zeit.

Warum war alles so schnell vorbei?

Prigoschin hat auf der höchsten Ebene keine politische Unterstützung gefunden. Aber er hat ja auch nicht versucht, die Macht an sich zu reißen. Er wollte seine Geschäftsprobleme lösen. Putin wollte Wagner in das Verteidigungsministerium eingliedern, aber Prigoschin konnte sein „Baby“ nicht so einfach hergeben. Deshalb hat er für seine Firma und deren Existenz gekämpft, für seinen Platz an der Sonne. Wenn Prigoschin Zugang zu Putin oder Schoigu gehabt hätte, hätte sich dieser Aufstand vermutlich nicht ereignet. Das ist ein Führungsversagen Putins.

Wenn Prigoschin keine Unterstützer gefunden hat, heißt das, dass die Elite noch hinter Putin steht?

Ja, die Elite steht hinter Putin. Prigoschin wirkt auf sie wie der Anführer einer Gaunerbande. Dennoch konnte er mit seinem Marsch verdeutlichen, wie schwach und ängstlich Putin ist. Wir werden in Zukunft mehr Verschwörungen innerhalb der Elite sehen. Es muss nicht unbedingt ein Palastcoup mit der Ermordung des Diktators sein. Vielleicht geht einfach mal jemand zu Putin und sagt: Wolodja, du bist müde, der Krieg ist verloren, tritt besser ab!

Wie lang wird der Krieg noch dauern?

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.