175 Jahre „Die Presse“

Florian Klenk: „Ich bin trotz der Linken links“

Florian Klenk, Falter Chefredakteur
Florian Klenk, Falter ChefredakteurClemens Fabry / Die Presse
  • Drucken

Der „Falter“-Chefredakteur über seine geänderte Sicht auf Sebastian Kurz, seine Art, sich journalistisch zu verbeißen, seine Abneigung gegenüber Sektierern und Unterschiede zum „Profil“.

Die Presse: Du hast unlängst getwittert: „Wie man Babler mit Untergriffen als stalinistischen Unmenschen zu branden versucht, ist schon erstaunlich. Vielleicht mal alle durchatmen und ihm 100 Tage Zeit gegeben.“ Bei Sebastian Kurz hast du noch atemlos jede Friseurrechnung umgedreht.

Florian Klenk: Nein, das ist falsch. Das erste Cover, als Kurz Staatssekretär wurde, lautete „Alt gegen geil“ und war ein Aufruf, sich den jungen Kurz einmal anzuschauen.

Du warst mit ihm einmal auf einer Reise im Iran und durchaus angetan. Sinngemäß: Er sei die Zukunft der Bürgerlichen. Was ist dann passiert?

Ich war skeptisch positiv. Ich habe einen aufgeschlossenen, gut gebrieften, von Experten begleiteten Außenminister erlebt, der die iranische Zivilgesellschaft besucht hat, mit den Diplomaten in einer Weise geredet hat, die für einen nicht einmal Dreißigjährigen beeindruckend war. Aber es gab da einen Schlüsselmoment am Flughafen: Da kam ein Aufruf, ob Kurz nicht zu „Maischberger“ kommen möchte, um dort mit Thilo Sarrazin zu diskutieren. Die Außenamtsberater haben gesagt: „Sebastian, das ist nicht deine Bühne, du bist Außenminister, ein Staatsmann.“ Gerald Fleischmann hat gesagt: „Du gehst dort hin.“ Eine wirkliche Irritation kam dann später, als ich herausgefunden habe, dass er wissenschaftliche Studien – im konkreten Fall nach Bataclan über Islamkindergärten – in seinem Kabinett so frisieren ließ, dass sie in die Boulevardberichterstattung passten. Also das, was dann später auch bei Beinschab passiert ist. Und dann habe ich noch bemerkt, wie er Leute, die ihm kritisch gegenüberstehen, auch in seinem eigenen Umfeld wegputzt.

Was auffällt, ist, dass du dich in manche Objekte deiner Berichterstattung regelrecht verbeißt, nahezu obsessiv, ob das nun Kurz, Karl Mahrer oder Richard Schmitt ist.

Ich bleibe dran. Ich lasse nicht los. Im österreichischen Journalismus geht man sehr schnell zur Tagesordnung über. Anstatt dass man Missstände beharrlich weiter beschreibt. Unser Journalismus ist sehr kurzatmig. Über Grasser habe ich zwanzig Jahre geschrieben.

Man könnte auch sagen: Du machst das, was man dem Boulevard gern vorwirft – Kampagnenjournalismus.

Nein. Der „Exxpress“ etwa gehört genau beobachtet, weil dort sehr viel Steuergeld hinfließt und sich die Frage stellt, ob da im Hintergrund russische Propaganda verbreitet wird: Wie kommen russische Narrative in die öffentliche Meinung?

Na gut, es gibt schon noch Meinungsfreiheit . . .

Absolut. Aber die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf, zu wissen, wofür sie bezahlt. Und Karl Mahrer finde ich insofern interessant, weil es zeigt, wie er die Partei dreht: weg von einer bürgerlich-liberalen Stadtpartei, wie sie unter Busek war. Ich leide ja auch darunter, dass es keine gute bürgerliche Partei in Wien gibt.

Würdest du dich als Linken bezeichnen?

Ich würde gern Doron Rabinovici zitieren: Ich bin trotz der Linken links. Ich gebe zu, dass mir das eigene Milieu manchmal schwer auf den Senkel geht.

Linksbürgerlich sozusagen.

Ich würde mich als Linksliberalen bezeichnen. Ich bin für eine linke Politik für die sozial Schlechtergestellten, und liberal bin ich im grundrechtlichen Sinne.

Ungewöhnlich für dein Milieu ist, dass du mit Political Correctness oder Wokeness durchaus kritisch ins Gericht gehst.

Ich bin skeptisch gegenüber jeder Form von Sektierertum und Missionarstum. Vor allem linke Bewegungen tendieren sehr dazu, sektiererisch zu werden. Das hat etwas Religiöses. Ich glaube ja, dass viele linke Bewegungen auch Erben des Katholizismus sind: die korrekte Sprache als das Kirchenlatein, das Predigen mit dem Rücken zum Volk, die Erbsünde, die in uns steckt, wir müssen alle bessere Menschen werden – das sind alles katholische Versatzstücke. Man soll die Leute aufklären, informieren, aber ich habe eine Aversion dagegen, die Leute zu erziehen.

Es wird öfter der Vorwurf erhoben, dass es ein Zusammenspiel der WKStA und eher linksgerichteten Medien wie dem „Falter“ gebe. Wie siehst du das?

Wir arbeiten genauso wie ihr. Es gibt Anwälte, die uns die Akten zur Verfügung stellen. Aus diesen zitieren wir dann. Das, was mich bei der Berichterstattung über die WKStA stört, ist, dass manche Medien, manchmal gehört auch „Die Presse“ dazu, den Spin von Anwälten nicht re-checken.

Dir wird jedenfalls ein guter Draht zur WKStA nachgesagt.

Mir wird eine grundsätzliche Sympathie für Korruptionsbehörden nachgesagt, weil ich es wichtig finde, dass es solche gibt. Im Gegensatz zur ÖVP bin ich ja für einen starken Staat, wenn es um Korruptionsbekämpfung geht.

Würdest du dich als Gerechtigkeitsfanatiker bezeichnen?

Nein.

Als moralische Instanz?

Nein. Ich bin Journalist.

Und du bist auch nicht Journalist, Staatsanwalt und Richter in Personalunion?

Das sind Diskreditierungsframes. Genauso wie man sagt: Du bist Aktivist. Oder ein ÖVP-Büttel.

Du bist jedenfalls Chefredakteur, Investigativjournalist, machst einen Podcast, bist dauernd auf Twitter, schreibst Bücher, spielst sogar in Filmen mit, hast Familie. Wie geht sich das alles eigentlich aus? Und das frage ich jetzt durchaus bewundernd.

Indem man erstens früh aufsteht. Dank meiner Kinder muss ich um sechs Uhr auf. Und ich kann mittlerweile sehr schnell schreiben. Und ich bin in der Verwertung der Recherchen relativ effizient.

Würdest du gern noch Politiker werden?

Nein. Ich würde dieser Verlockung auch nie erliegen, weil ich tatsächlich großen Respekt vor diesem Beruf habe. Weil Politik im Sinne eines professionellen Interessensmanagements, eines Konfliktmanagements, eines dauernden Ausgleichs ein hoch spezialisierter Beruf ist. Zu glauben, dass du als Theaterkritiker auch ein guter Schauspieler wärest – das ist ein Blödsinn.

Meine Kollegen haben mir noch eine Frage mitgegeben: Wie viel Selbstdarstellung braucht Journalismus?

Das ist eine schwierige Frage: Weil die Leute einerseits Journalistinnen und Journalisten wollen, an denen sie sich anhalten können, denen sie vertrauen. Die Kunst ist andererseits, nicht in die Eitelkeitsfalle zu rutschen, vor der wir alle nicht gefeit sind. Und soziale Medien sind natürlich unglaubliche Eitelkeitsfallen. Da braucht es ein Korrektiv.

Wer ist das bei dir?

Leute in der Redaktion. Und solche in der Familie. Die sagen dir: Das war jetzt wirklich ein Blödsinn, lösch das! Jeder von uns hat schon seine Tetschn auf Twitter gekriegt.

Was würdest du jungen Menschen empfehlen, die Journalisten werden wollen?

Ein Fachstudium, am besten für Zukunftsthemen, Medizin, Naturwissenschaften, Biologie, Klimatechnik . . .

Jus nicht?

Jus auch. Wirtschaft. Dann eine kurze handwerkliche Ausbildung für Journalismus. Und dann schreiben. Vor allem aber: hinausgehen. Dorthin, wo die Gesellschaft sich trifft, an den Rändern der Gesellschaft, in Altersheime, Gefängnisse, Spitäler, Jugendheime, aber auch ins Fabios zu den Superreichen. Und ich würde ihnen raten, anfangs einen Social-Media-Account nur zu benutzen, um eigene Produkte zu bewerben und sich nicht meinungsmäßig dort groß wichtig zu machen. Man soll – um Claus Gatterer zu zitieren – der Gesellschaft etwas über die Gesellschaft erzählen und nicht über sich selbst.

Hast du Vorbilder?

Ja. Einige Kollegen bei der „Zeit“. Oder die Enthüllungsjournalisten, die Wien und Prag zur Jahrhundertwende geprägt haben – ich lese gerade die Biografie von Egon Erwin Kisch. Alfred Worm hat eine wichtige Rolle gespielt. Oscar Bronner natürlich. Auch Hans Rauscher – einer der wenigen Bürgerlichen, die konstant nie falsch abgebogen sind. Und Clara Porak von der Plattform Andererseits.

Was macht der „Falter“ besser als das „Profil“?

Armin Thurnher hat bereits vor zehn Jahren begonnen, seine Nachfolge aufzubauen. Wir haben vor Jahren erkannt, dass wir digital eine moderne Strategie fahren müssen – über Newsletter, Podcasts. Und wir haben einen riesigen Jupiterring um das Blatt herum aufgebaut: Buchhandel, Verlag, Radio. Und wir haben den Print-„Falter“ nie hergeschenkt. Wir haben immer darauf geachtet, dass die Kunden auch das Papier in Händen halten.

Florian Klenk

Der Niederösterreicher (50) ist Chefredakteur der Wochenzeitschrift „Falter“, studierter Jurist, Buchautor, Twitterstar und Abonnent der „Presse“.

Jubiläum

Welche Zukunft haben Liberalismus und Meinungsfreiheit? Diese Frage stellte sich im Revolutionsjahr 1848, als „Die Presse“ erstmals erschien. Und sie stellt sich heute mehr denn je. In unserem Schwerpunkt zum Jubiläum blicken wir zurück und nach vorne.

>> Hier geht es zu den Geschichten der Jubiläumsausgabe
>> Bestellen Sie ein Exemplar der Jubiläumsausgabe im Presse-Shop

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.