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Franz Schuh: Niemals verliert er den Takt

Franz Schuh, geboren am 15. März 1947 in Wien
Franz Schuh, geboren am 15. März 1947 in WienFoto: Heribert Corn/Zsolnay
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Alles, was Franz Schuh sagt, hat Rhythmus. In „Ein Mann ohne Beschwerden“ zieht er Bilanz des vergangenen Jahres – und spannt einen Bogen von der Bundespräsidentenwahl über Anna Netrebko bis zur Hautevolee.

Ich weiß nicht, warum, aber es ist so. Immer, wenn ich Franz Schuh lese, habe ich seine Stimme im Ohr. Ich sehe ihn förmlich vor mir. In einer Pose der Rede. Breit auf seine Beine gestützt, sitzt der Autor in meiner Vorstellung da.

Ist das überhaupt ein Schriftsteller, so ganz ohne Schrift? Nie sehe ich von ihm ein Bild am Schreibtisch. Stets nur sitzt er da und balanciert seinen Körperschwerpunkt nach vorne. Diese Kippbewegung zum Gesprächspartner hin ist etwas zu gering, um sie angriffslustig zu nennen. Aber sie hebt seine Gestalt doch recht deutlich von dem ab, was noch ein Ruhen in sich selbst wäre.

Die Haltung des Autors bestimmt das Timbre seiner Stimme. Alles, was Schuh sagt, hat Rhythmus. Niemals verliert er den Takt. Etwas dreht sich in seinen Sätzen. Und dreht sich von Satz zu Satz weiter. Steigert sich unmerklich über die Ausgangslage. Vielleicht in einen Humor hinein oder in die Tiefe eines Gedankens. Extreme Pole gehören zum Stil des Autors. Dabei umklammert er seine Gegenstände nicht, lässt an ihnen aber auch nichts fallen.

Ich lege mir das so zurecht: Wie ein Akrobat (er selbst wird diesen Vergleich hassen), der die Dinge mit leichter Hand in der Luft hält, kommt mir seine Kunst bisweilen vor. Dabei balanciert Schuh auch schwere Sachen. Der Untertitel seines neuen Buches nennt Beispiele: Ästhetik, Politik und Heilkunde. In Manifestationen des vergangenen Jahres. Dieses Buch nämlich, so liest man darin, sei „von der ersten bis zur letzten Seite dem Jahr 2022 gewidmet“, einem „annus horribilis im Lebenslauf vieler Menschen“. Wer, der für eigenes Leiden nur irgend anfällig ist, wollte da nicht sofort mit einem kräftigen „Ja“ zustimmen?

Mir erklärt dieses Buch zunächst den Zusammenhang von Rede und Schrift. Schuh zitiert Karl Kraus: „Literatur ist, wenn ein Gedachtes zugleich ein Gesehenes und ein Gehörtes ist. Sie wird mit Aug und Ohr geschrieben. Aber Literatur muss gelesen werden, wenn ihre Elemente sich binden sollen.“ Darin, dass der Leser in der Schrift des Autors besser hört, was dieser sagt, weil die Rede des Autors im Echoraum der Schrift für spätere Betrachtungen erhalten bleibt, gründet sich für Schuh die wesentliche Überlegenheit der Schrift gegenüber der Stimme.

Sein neues Buch trägt den schönen Titel „Ein Mann ohne Beschwerden“. Dass dies doppeldeutig gemeint ist, braucht man nicht zu betonen. Einerseits geht es um einen Mann, der akut keine Beschwerden mehr hat. Zumindest in Relation zu den Beschwerden, die er noch im Jahr 2022 hatte, als er fast durchgängig hospitalisiert und beinahe schon „um die Ecke gebracht“ war. Andererseits verbleiben diesem Mann aber immer noch genügend Gründe, um Beschwerde zu führen. Hat man dieses Buch gelesen, will man in Österreich nie wieder krank werden. Als eine existenzielle Bedrohung hat der Patient insbesondere seine Isolation während der Corona-Besuchsverbote erlebt. Auch Prominenz half dagegen nichts, sie ist eh immer nur vermeintlich. Eines Tages spricht den Einsamen auf dem Gang eine Mitpatientin als „Herr Schuh“ an. Woher sie denn seinen Namen kenne, fragt er erfreut und bekommt zur Antwort: „Na ja, der steht an Ihrer Tür.“

Im Jahr 2022 fand in Österreich eine Präsidentschaftswahl statt. In Schuhs Reflexionen erscheinen die politischen Verhältnisse in diesem Land tatsächlich allumfassend hoffnungslos. Seine Ursache hat das darin, dass der Autor in diesem grandios analytischen Text den Kompromiss gleichermaßen als eine realpolitische Möglichkeit wie auch als eine Form eines nationalen österreichischen Habitus zerpflückt. In dem Text findet sich der Satz: „Unberührbar von dergleichen schwebt der real existierende österreichische Bundespräsident in den Wolken seines berühmtesten Spruchs: ‚So sind wir nicht!‘“ Doch: „Genau so sind wir“, tönt es diesen Worten aus dem Buch entgegen. Aber wir könnten anders sein. Im Falle medialer Hetzmeuten beispielsweise. Da macht Franz Schuh, an Elias Canetti geschult, nicht mit. Und so finden sich dann bei ihm Einlassungen zu Anna Netrebko oder André Heller, die ganz anders sind als jene, die wir vom Boulevard her hinlänglich kennen.

Die Meinung erscheint wie ein Infekt

2022 war in Europa ein Jahr des Krieges. Diese Bomben schlagen bei Schuh aber eher tangential ein. Er spricht in seinem Buch nicht nur von Putins Paranoia, sondern dezidiert auch von einer Verblödung durch den Nationalismus, die die Ukraine durch die Ächtung und das Verbot von Manifestationen russischer Kultur im eigenen Land betreibt. „Gleich“, so heißt es in einem der besten Texte des Bandes, es ist das Nachwort und trägt den Titel „Seid lieb!“, „werde ich eine Meinung haben.“ Kaum zuvor wurde das Heraufziehen einer Meinung im Meinenden sprachlich so unter die Lupe genommen wie hier. Die Meinung erscheint wie ein Infekt, den man sich irgendwo geholt hat.

An mehreren Stellen des Buches wird es radikal subjektiv. Schuh kleidet eigene Verletztheiten in Polemik. Den Finanzchefs der Salzburger Festspiele sei der Text „Postskriptum Salzburger Festspiele“ ans Herz gelegt. Vielleicht mögen sie dem Autor für die Arbeit, die er in ihrem Etablissement geleistet hat, doch noch ein Honorar überweisen.

Schlecht kommt in dem Buch die Hautevolee des schönen Luftkurortes Gmunden am Traunsee weg. Hintergrund: Der Lebensgefährtin von Franz Schuh und auch ihm wurde von dieser Mischpoke aus Adel und Bürgertum die in der Stadt statthabenden Festwochen entwunden. Ich kann jeden einzelnen Satz dieses Textes im Detail nachvollziehen, denn in Gmunden bin ich geboren, oh Hoamatland.

Im Vorwort zu einem seiner früheren Bücher hat Schuh geschrieben, dass ihm ein Stil vorschwebt, der zum Journalismus und zur akademischen Wissenschaft in etwa die gleiche Distanz hat. In seinem neuen Buch wechselt er mit Karl Kraus ins literarische Fach. Aber auch noch hier zeigen sich die Defizite, die die öffentliche Rede in Österreich hat. Deshalb, weil Franz Schuh an ihr einfach so vieles um so viel besser macht. Still denkt man: Ach, würden doch in diesem Land mehr Leute so reden wie er. Und daraus solche Bücher machen.

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