Ausstellung

Steve McCurry und das Fotografie-Dilemma

Steve McCurrys Bild von Shaolin-Mönchen in Zhengzhou, China, 2004. Was genau verändert wurde an der Szene, den Farben, anderen Personen etwa – wir wissen es nicht.
Steve McCurrys Bild von Shaolin-Mönchen in Zhengzhou, China, 2004. Was genau verändert wurde an der Szene, den Farben, anderen Personen etwa – wir wissen es nicht. Steve McCurry
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Das Wiener Semperdepot wurde effektvoll, aber ohne Absicht zu einer Kirche der Skepsis verwandelt: An der „Wahrheit“, die Fotografie uns immer noch, trotz KI, trotz Wissens um Retuschen und Photoshop, zu vermitteln scheint.

Das Erlebnis, das auf Überwältigung zielt, ist dieser Veranstaltung nicht abzusprechen: Der an sich schon spektakuläre Innenraum des Semperdepots mit seiner atemberaubenden Höhe, gebaut zur Aufbewahrung der Kulissen des Hoftheaters, ist abgedunkelt. Labyrinthisch sind in übermannshohen Vergrößerungen effektvolle Fotografien angeordnet – Fischer in Sri Lanka, die auf Stangen balancieren, der einstürzende Turm des World Trade Center, Mönche, die am Goldenen Felsen in Kyaikto in Myanmar beten. Man begegnet diesen Szenen, als würde man vor ihnen stehen, in Leuchtkästen montiert. Sie ziehen sich aber auch hinauf in die gesamte Höhe der offenen vier Geschoße. Es ist kein Zufall, dass der Eindruck an eine Kirche gemahnt, in der Märtyrerbilder glimmen. Im Scheitelpunkt, in der „Apsis“, dann eine tatsächliche Ikone der Fotogeschichte – das grünäugige afghanische Flüchtlingsmädchen mit dem erschrockenen Blick.

Als „Mona Lisa“ der Fotografie bezeichnete es einmal der Grazer Fotograf Christian Jungwirth. Er hat diesen Ausstellungsraum der Akademie der bildenden Künste gemietet diesen Sommer, um hierher zu bringen, was er 2021 für die Grazer Messe ersonnen hat: die Ausstellung des berühmten Reportage­fotografen Steve McCurry. 1984 gab er in einem Flüchtlingslager in Pakistan dem Afghanistan-Krieg sein Gesicht, als er dort ein vollwaises Mädchen mit grünen Augen aufforderte, sich zu entschleiern und ihn, den fremden Amerikaner, direkt anzublicken. Am Cover des National Geographic, auf Büchern und Plakaten wurde sie zur Stellvertreterin für ein ganzes Volk. Namenlos. McCurry dagegen wurde ein Star.

17 Jahre später fand er das Mädchen

Erst 17 Jahre später machte sich Steve McCurry auf die Spur des Schicksals: Er fand nahe Kabul die verheiratete Sharbat Gula und fotografierte sie erneut. Mittlerweile aber lebt sie in Italien, wohin sie 2021 vor den Taliban floh. Davon liest man im Semperdepot nichts mehr. Überhaupt wird hier einiges im Unklaren gelassen. Was auf ein Dilemma hinweist, das so alt ist wie die Fotografie selbst. Die Frage – ist sie Kunst? Oder Dokument der Wirklichkeit? Oder gar Vages in der Mitte?

Gerade anhand der Person McCurrys wurde das immer wieder debattiert, womit der Besucher der Schau aber anscheinend nicht groß belastet werden soll. Es ist auch keine institutionelle, diskursive Präsentation zum Thema Reportagefotografie, wie man sie bei der „Foto Wien“ heuer sah. Es ist die Verkaufsausstellung eines Unternehmens, des Ateliers Jungwirth, an sich nichts Verwerfliches. Und McCurry hat sich ohnehin auch schon selbst aus der Affäre gezogen.

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