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Das Zauberwort von der geregelten Migration

Peter Kufner
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Zuwanderung. In Europa beginnen immer mehr Staaten, das Asylrecht langsam zu entsorgen. Migration ist kein Fatum wie die Klimakrise.

Als Oberösterreichs Landeshauptmannstellvertreter Manfred Haimbuchner vor einiger Zeit sagte: „Ich will keinen einzigen Asylwerber in den nächsten Jahren sehen“, wurde das auffallend gleichmütig hinge­nommen, der Aufschrei in der Öffentlichkeit blieb aus. Man quittiert die Aussage fast wie eine Selbstverständlichkeit, obwohl damit ein international abgesichertes Recht infrage gestellt worden ist. In Deutschland zeigen Umfragen unterdessen, dass dort eine Mehrheit der Bevölkerung das Asylrecht nicht mehr für unumstößlich hält.

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Europa ist dabei, seine Migrationspolitik umzubauen – oder überhaupt erst eine zu erfinden. Bisher wurde Migration eher erlitten als gestaltet. Dass dabei das Asylrecht in seiner jetzigen Gestalt erhalten bleiben wird, ist unwahrscheinlich. Immer mehr Staaten von Skandinavien bis Großbritannien versuchen, um den Druck der Migration abzufangen, das Asylrecht zu schwächen oder zu entsorgen.

Eine Recht für alle Mühseligen

Nun ist erstmals eine Koalition an der Asylfrage zerbrochen. In den Niederlanden waren die Differenzen zwischen der rechtsliberalen Partei von Regierungschef Mark Rutte und seinen drei Koalitionspartnern nicht mehr zu überbrücken. Die calvinistische Christenunion wollte eine von Rutte vorgeschlagene Wartezeit von zwei Jahren für nachziehende Kinder von in den Niederlanden lebenden ausländischen Eltern nicht mittragen. Als Partei, die für die Familie eintrete, könne sie eine solche Aufschiebung der Familienzusammenführung nicht akzeptieren. Dass Heiratsmigration und Familienzusammenführung unterdessen die stärksten Zuwanderungsquellen sind, ist vielen entgangen.

Nichts einzuwenden hatten Christenunion, der christdemokratische CDA sowie der linksliberale Koalitionspartner gegen einen gravierenden Eingriff in das Asylrecht, den Rutte plante. Er stellt sich eine Zweiteilung des Asylrechts vor: Echtes Asyl nur für persönlich Verfolgte und einen beschränkten Aufenthaltsstatus ohne Asylverfahren für Menschen, die vor aktuellen Konflikten fliehen, wie er jetzt etwa schon für Kriegsvertriebene aus der Ukraine gilt.

Dass das Asylrecht infrage gestellt wird, ist auch Folge seiner Europäisierung und ständigen Ausweitung durch die Europäischen Gerichtshöfe. Aus dem lapidaren Satz des deutschen Grundgesetzes, „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht”, der nur auf streng definierte Einzelne anzuwenden ist, ist ein Recht für alle Mühseligen und Beladenen dieser Welt geworden. Am besten kommt das in dem gängig gewordenen Begriff „Schutzbedürftige” zum Ausdruck.

Darüber, dass die Beanspruchung von Asyl nicht länger ein Tor für Zuwanderung aus im weitesten Sinn ökonomischen Gründen (von der Armut bis zum Klima) sein soll, herrscht allgemein Einigkeit. Die CDU in Deutschland hat vorgeschlagen, das Asyl als individuelles Recht überhaupt aufzugeben und nur noch Zuwanderungswillige zu kennen und in großem Stil nach Europa zu übersiedeln. Dabei könnte man auch Menschen berücksichtigen, die jetzt keine Chance haben, weil es durch die Sahara und über das Mittelmeer nur junge, entsprechend rücksichtslose und auch nicht mittellose junge Männer schaffen.

Trotzdem kann es immer noch Menschen geben, die tatsächlich Asyl brauchen. Sie sollten so nah wie möglich am Herkunftsland Schutz finden. „Transitländer“ kann es also nach dem eigentlichen Sinn des Rechtsinstituts Asyl nicht geben. Und auch die Erpressung von Hilfe durch Selbstgefährdung auf den Meeren darf nicht zur akzeptierten Regel werden.

„Geregelte Kanäle“

Das neue Zauberwort in der Debatte über die Migration heißt daher „geregelte Migrationskanäle, die den Schleppern das Handwerk legen, indem sie die ungeregelten Wege, die ja für die Migranten sehr teuer und riskant sind, deutlich weniger attraktiv machen”. So formuliert es der Migrationsforscher Rainer Bauböck. Ob das wirklich den erwünschten Effekt, Menschen davon abzuhalten, es auf eigene Faust nach Europa zu versuchen, erreichen kann, muss man bezweifeln.

Angenommen, eine EU-Agentur sucht in zwei Dutzend Ländern zwischen Gambia am Atlantik und Bangladesch Menschen zusammen, die sie „auf geregeltem Weg” nach Europa bringt: beispielsweise tausend Studienabgänger aus Nigeria, die dann einen legalen Aufenthaltsstatus in einem europäischen Land erhalten. In Österreich würden sie vielleicht eine Rot-Weiß-Rot-Karte zu herabgesetzten Bedingungen bekommen.

In das Dorf im pakistanischen Kaschmir, aus dem viele der beim großen Unglück südlich der Peloponnes vor ein paar Wochen ertrunkenen jungen Männer stammten, kommen die Abgesandten aus Europa nicht. Die Leute dort erfahren überhaupt nicht, dass andere es auf gesichertem Weg nach Europa geschafft haben, anstatt sich irgendwie bis nach Libyen oder neuerdings nach Tunesien durchzuschlagen und dort auf ein ägyptisches Boot zu steigen, das sie in den Untergang führt.

Worauf sie sich einlassen und wie gefährlich eine solche Reise nach Europa ist, wissen sie. Wobei die stärkste Anziehungskraft nach allen Erfahrungen die Gemeinschaften der eigenen Ethnie oder Sprachgruppe in einem europäischen Land ausüben. Die Kundschaft für die Schlepper dürfte also kaum kleiner werden.

Die „gerechte Verteilung“

Es gibt Millionen Menschen, auf die keines der Flüchtlingskriterien zutrifft, die aber dennoch ihre Heimat verlassen wollen und bereit sind, alle Risiken dafür in Kauf zu nehmen. Es gibt viele Staaten, Pakistan und die Philippinen gehören dazu, die die Auswanderung zu einem Teil ihrer Wirtschaftsplanung gemacht haben. Pakistan nimmt auch keine abgelehnten Asylwerber zurück.

Zur Konzeption der geregelten Wege gehört auch die „gerechte” Verteilung der Immigranten. Das kann aber nur für Teilnehmer an einem gemeinsamen Programm gelten. Denn es ist immer noch das souveräne Recht eines Staats, darüber zu entscheiden, wen er aufnehmen will. Selbst Verfechter großzügiger Umsiedlungsprogramme geben zu, dass damit auch demokratiepolitische Legitimitätsprobleme aufgeworfen werden.

Angesichts der demografischen Lücken und des Arbeitskräftemangels in Europa könnten auch Staaten, die bisher ablehnend gegenüber Migration waren, gezwungen sein, ihre Politik zu ändern. Polen zum Beispiel. Gerade für solche Länder wären Übersiedlungsprogramme interessanter als die zwangsweise Zuteilung von abgelehnten Asylwerbern, die nicht abgeschoben werden können.

Rigorose Grenzkontrolle

Wer aus wirtschaftlichen Gründen in die EU will, muss sich einem legalen, formalen, sicheren Verfahren im Rahmen von verkraftbaren Quoten stellen. Damit das funktionieren kann, muss es eine rigorose Kontrolle der Außengrenzen geben, die auch nicht von humanitär gesinnten NGOs unterlaufen werden darf. Wir werden in Zukunft mehr und nicht weniger Zäune und Mauern sehen und Anhaltelager an den EU-Außengrenzen. Der Emigrationsdruck aus dem Globalen Süden kann nicht der Maßstab für das Maß der Immigration im Norden sein. Die Migration ist kein Fatum wie die Klimakrise, sie ist steuerbar und muss es bleiben.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Der Autor

Hans Winkler war langjähriger Leiter der Wiener Redaktion der „Kleinen Zeitung“.

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