Morgenglosse

Twitter wird „X“: Dieser Buchstabe ist eine Verweigerung

Hart, konkret, männlich? So sieht sich Elon Musk wohl gern. Das X steht aber auch gern für Jesus - und für ein Bussi.
Hart, konkret, männlich? So sieht sich Elon Musk wohl gern. Das X steht aber auch gern für Jesus - und für ein Bussi.APA / AFP / Joel Saget
  • Drucken
  • Kommentieren

Wohin er geht, kritzelt Elon Musk sein Xerl hin. Jetzt schießt er damit das Twitter-Vogerl ab. Ob er weiß, wie widersprüchlich der Buchstabe ist?

Xylofon, Xenophobie und X-Beine: Die Wörterbuchsektion des Buchstabens X ist kurz. In unserer Sprache führt er eigentlich eine Randexistenz, nur das Q kommt in deutschsprachigen Texten noch seltener vor. In deutschsprachigen Tweets wird es wohl ähnlich sein – wobei: Kann man noch Tweets dazu sagen? Elon Musk hat Twitter einen neuen Namen verpasst, der Kurznachrichtendienst heißt jetzt X. Mit der Umbenennung soll ein Umbau einhergehen: Musk schwebt eine allumfassende „Super-App“ nach dem chinesischen Vorbild Wechat vor, mit der man nicht nur Nachrichten absondern, sondern etwa auch Bankgeschäfte abwickeln kann.

Da passt das blaue Vögelchen, das bislang die Twitter-Oberflächen zierte, offenbar nicht mehr. Und auch die Assoziationen, die damit einhergingen: Das Zwitschern hatte schließlich dieselbe lautmalerische Lieblichkeit wie das Tratschen, das Patscherte und das Zwutschgerl. Natürlich hatte auch vor der Twitter-Übernahme durch den selbst ernannten „Meinungsfreiheitsabsolutisten“ Musk (der sich auch als „antiwoker“ Kulturkämpfer geriert) einiges, was da „gezwitschert“ wurde, Sprengkraft. Aber die Oberfläche animierte doch eher zu Leichtigkeit.

»Das X steht für Jesus und die Sünde, für ein klares Statement und die Beliebigkeit – und für ein trotziges „Nein“.«

Jetzt also ein X: Der Buchstabe, der in Produkt- und Markennamen (von der X-Box bis zum Twix) schon lang seine Plakativität beweist, dürfte es Musk – übrigens selbst aus der Generation X – besonders angetan haben. Er nannte nicht nur seine Raumfahrtfirma Space-X, sondern auch seinen Sohn „X Æ A-XII“, gerufen „X“. Ob der Kleine den Erwartungen gerecht werden kann, die in dem Buchstaben mitschwingen? Schwarz und kantig steht das neue Logo von Ex-Twitter nun da, man könnte sagen: breitbeinig. Stur. Standhaft: Ein X bleibt ein X, auch wenn man es umwirft. Ein X flattert nicht, es ist präzise, hart und deutlich. Musk würde vielleicht meinen: männlich. (Und die PR-Leute der Deomarke Axe würden vielleicht nicken.)

Die Pornoindustrie setzt auf gleich drei „X“

Aber so einfach ist es natürlich nicht. Das X ist auch ein Symbol der Widersprüche. Es steht zugleich für Christus (abgeleitet aus dem Altgriechischen, wo das „Chi“ noch weicher ausgesprochen wurde als unser heutiges [ks]) und für die Sünde: Mit dem X-Rating versehen Zensoren nicht jugendfreie Filme, die Pornoindustrie vermarktet sich gleich selbst mit dem Prädikat „XXX“. Das X steht für eine klare Aussage (wenn man sein Xerl macht), aber auch für eine Auslassung, eine Variable, einen Platzhalter für etwas x-beliebiges anderes.

Das X ist im Grunde eine Verweigerung, ein mit zwei überkreuzten Unterarmen in die Luft gemaltes „Nein“. Wie viele der Twitter-Nutzer, die seit Musks Übernahme eine Schwächung der Diskussionskultur beklagen, nun wohl in diesem Sinne reagieren werden? Zum Abschied könnten sie ein letztes Bussi mitschicken: xoxo!

E-Mails an: katrin.nussmayr@diepresse.com

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.