Der ökonomische Blick

Standards zur Erfassung von Nachhaltigkeit im Wettbewerb

Für Unternehmen und Adressaten der Nachhaltigkeitsberichterstattung wären international harmonisierte Standards zur Nachhaltigkeit wünschenswert. (Im Bild das Braunkohlenkraftwerk Jänschwalde).
Für Unternehmen und Adressaten der Nachhaltigkeitsberichterstattung wären international harmonisierte Standards zur Nachhaltigkeit wünschenswert. (Im Bild das Braunkohlenkraftwerk Jänschwalde).IMAGO/Rainer Weisflog
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Mit den Sustainability Reporting Standards ist die EU Vorreiter für eine umfassende verpflichtende Nachhaltigkeitsberichterstattung. Der Green Deal wurde somit um eine Initiative erweitert.

Dieser Tage veröffentlicht die Europäische Kommission die endgültige Fassung der europäischen Standards zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (European Sustainability Reporting Standards, ESRS), die dieses Jahr Rechtskraft in der EU bekommen. Sie sind für Unternehmen, die jetzt schon einen nichtfinanziellen Bericht oder eine nichtfinanzielle Erklärung veröffentlichen müssen, ab 2024 und für andere große Kapitalgesellschaften ab 2025 anzuwenden. Die EU ist damit international Vorreiter für eine umfassende verpflichtende Nachhaltigkeitsberichterstattung, die eine von mehreren Initiativen des Green Deal bildet. 

Die ESRS bestehen aktuell aus zwölf sektor-unabhängigen Standards zu Umwelt-, Sozial- und Governancebelangen. Um ein Gefühl über den Umfang der ESRS zu bekommen: es sind über 900 Datenpunkte, zum Teil quantitativ und zum Teil verbal, zu berichten, wenn diese Angaben wesentlich sind. In Zukunft kommen zusätzlich KMU-Standards sowie sektor-spezifische Standards hinzu. An diesen wird gerade gearbeitet. 

Was ist „Der ökonomische Blick“?

Jede Woche gestaltet die Nationalökonomische Gesellschaft (NOeG) in Kooperation mit der „Presse“ einen Blog-Beitrag zu einem aktuellen ökonomischen Thema. Die NOeG ist ein gemeinnütziger Verein zur Förderung der Wirtschaftswissenschaften. Dieser Beitrag ist auch Teil des Defacto Blogs der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät an der Central European University (CEU). Die CEU ist seit 2019 in Wien ansässig.

Beiträge von externen Autoren müssen nicht der Meinung der „Presse“-Redaktion entsprechen.

Der Wettbewerber ISSB 

Einen Monat davor, am 26. Juni, veröffentlichte das neu gegründete International Sustainability Standards Board (ISSB), eine Schwesterorganisation des IASB, seine ersten beiden internationalen Standards zur Nachhaltigkeitsberichterstattung allgemein und zu klimabezogenen Angaben. Bei letzteren gibt es auch schon umfangreiche sektor-spezifische Leitlinien. Für die Festlegung des weiteren Arbeitsprogramms und der nächsten Standards wird gerade eine Konsultation durchgeführt. Das ISSB hat die Rückendeckung internationaler Organisationen wie der International Organization of Securities Commissions, des Financial Stability Boards und der G20- und G7-Länder. Und die IFRS Foundation hat Organisationen, die früher schon freiwillige Standards erarbeitet hatten, konsolidiert.

Die ESRS und ISSB Standards unterscheiden sich in mehrfacher Hinsicht. Die ISSB Standards decken momentan nur allgemeine Angaben und Klima ab, die ESRS sind umfassender. Die ISSB Standards sind investor- und kapitalmarkt-orientiert, die ESRS stakeholder-orientiert und damit breiter angelegt. Die ISSB Standards sind eher prinzipienorientiert, die ESRS mehr Checklisten-orientiert. 

Harmonisierung der Standards

Für Unternehmen und Adressaten der Nachhaltigkeitsberichterstattung wären international harmonisierte Standards wünschenswert. Das erhöht die internationale Vergleichbarkeit und die Verfügbarkeit von Daten von Unternehmen in der internationalen Wertschöpfungskette jedes berichtenden Unternehmens. Dies gilt besonders für Angaben zu Treibhausgasen und die Einhaltung von Menschenrechten. 

Eine Harmonisierung zeichnet sich derzeit nicht ab, weil die beiden Standards weitgehend parallel entwickelt wurden. Das ISSB möchte eine „global baseline“ vorgeben. Und es gibt eine gewisse Zusammenarbeit und Lippenbekenntnisse zu einer „interoperability“, das heißt einer möglichst hohen Deckungsgleichheit. Dies ist aber international schwierig umzusetzen. Die EU hat mit der Verpflichtung der Unternehmen zu ESRS Fakten gesetzt und insofern einen First-mover Vorteil, den sie nicht gerne opfern möchte. 

Im Grunde erinnert dieser aufkommende Wettbewerb der beiden Standardsetter an die Situation vor gut 20 Jahren, als es auf den Kapitalmärkten zu einem Wettbewerb zwischen International Financial Reporting Standards (IFRS) und den US-amerikanischen Rechnungslegungsstandards (US-GAAP) kam, der letztlich von den IFRS gewonnen wurde, nicht zuletzt, weil es sich um internationale Standards handelt. Die IFRS wurden in der EU im Jahr 2002 für kapitalmarktorientierte Unternehmen ab 2005 verpflichtend. Die IFRS werden seitdem in der EU formal übernommen. Dieser Weg funktioniert bei den ISSB Standards nicht, weil die EU ja ihre ESRS hat. 

Wer gewinnt das Rennen?

Inwieweit die ESRS internationale Ausstrahlung bekommen werden, ist fraglich. Die ESRS haben zwar ihren zwingenden Heimmarkt, sie sind jedoch für viele andere Länder zu detailliert und vielleicht auch zu stark politisch getrieben. 

Eher wahrscheinlich ist eine breite Akzeptanz der „baseline“ Standards des ISSB. Etliche Länder entwickeln derzeit eigene Standards zur Nachhaltigkeitsberichterstattung und erwägen, die ISSB Standards als Grundlage dafür zu übernehmen. Dies gilt zum Beispiel für Australien und Kanada. Auch asiatische Länder analysieren die Situation, wie auf dem letzten Treffen des International Forum of Accounting Standard Setters zu hören war. Die ESRS werden dabei vermutlich eher eine Obergrenze für Berichtserfordernisse darstellen. Aus europäischer Sicht ist es schade, dass hier EU-Interessen vor einen stärkeren internationalen Regulierungseinfluss gesetzt werden. 

Der Autor

O.Univ.-Prof. Dr. Dr. h.c. Alfred Wagenhofer ist Leiter des Center for Accounting Research an der Karl-Franzens-Universität Graz und Co-Vorsitzender der AFRAC Arbeitsgruppe Sustainability Reporting. Aktuelle Forschungsgebiete sind ökonomische Wirkungen von Rechnungslegung und Reporting.

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