Nachruf

Zum Tod von Martin Walser: Der frustrierte, aufbegehrende Mann

„Man muss schon bei Lebzeiten sterben“: Martin Walser vor seinem Haus im Ortsteil Nußdorf am Bodenseeufer.
„Man muss schon bei Lebzeiten sterben“: Martin Walser vor seinem Haus im Ortsteil Nußdorf am Bodenseeufer.APA / Patrick Seeger
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Er war der Seelenzeichner einer zermürbten männlichen Mittelschicht und wurde vom Anecker in deutschen Debatten zum Feindbild: Porträt eines gefeierten, oft hingerichteten und nun verstorbenen Autors.

„So endet alles bei Lebzeiten. Man muss schon bei Lebzeiten sterben und nicht in einem Schlussaugenblick“: Das sagte Martin Walser 2002 im Gespräch mit der „Presse“, mitten im öffentlichen Streit um seinen Roman „Tod eines Kritikers“, der in seinem Leben viele Dinge zerbrechen ließ, auch langjährige Freundschaften.

Schon zu Walsers Lebzeiten ging, vor langem, die Ära der intellektuell prägenden deutschen Nachkriegsautoren unter, im Grunde die Ära der großen Vier: Heinrich Böll ist seit Jahrzehnten tot, Siegfried Lenz starb 2014, Günter Grass 2015. Nun ist Martin Walser gefolgt, am 28. Juli im Alter von 96 Jahren.

Aus bescheidenen Verhältnissen stammend – am Bodensee betrieben die Eltern des 1927 Geborenen ein Lokal und eine Kohlehandlung –, wurde er als junger Mann zum Schreibwütigen und politischen Revoluzzer. Für die Erzählung „Templones Ende“ erhielt er 1955 den Preis der Gruppe 47, er arbeitete als Journalist, studierte Germanistik und dissertierte über Kafka. Walsers Debütroman „Ehen in Philippsburg“ (1957) erzählte von einem jungen Emporkömmling in der Wirtschaftswunderzeit. Bald begann die Trilogie aus „Halbzeit“, „Das Einhorn“ und „Der Sturz“. Die Novelle „Ein fliehendes Pferd“ (1978) brachte ihm einen großen Durchbruch, obwohl sie eigentlich nur als ein in kurzer Zeit geschriebenes „Nebenwerk“ entstanden war. Zwei Paare mittleren Alters treffen darin im Urlaub am Bodensee aufeinander, die beiden Männer sehen sich in ihren Lebensentwürfen bald gründlich in Frage gestellt, Konflikte eskalieren und einer geht am Ende über Bord.

Sehr typisch, sehr Walser. Trotz seiner zeitweisen Sympathien für die Kommunistische Partei und die radikale Linke manifestierte sich in seinen Romanen bald, dass er innerlich Angehöriger einer bürgerlichen deutschen Mittelschicht geblieben war. Er zeichnete deren Alltag, vor allem aber deren geistige und seelische Befindlichkeiten in ihrer Lebensbewältigung mit spöttischer Sympathie und praktisch durchwegs männlichen Antihelden.

Wenn es bei Walser ein Hauptthema gibt, ist es wohl die seelische Bedrängnis von Männern, eingesperrt in amouröse, finanzielle, soziale Abhängigkeiten, die sie an ihrer Selbstverwirklichung hindern, frustriert von den gesellschaftlichen Anforderungen, denen sie nicht entsprechen können. Im Spätwerk kommen dazu die Nöte des Alters. Zu Walsers Antihelden gehören einfache Angestellte wie Franz Horn in „Jenseits der Liebe“ und „Brief an Lord Liszt“, Professoren wie Helmut Halm in „Ein fliehendes Pferd“ und im USA-Roman „Brandung“, Immobilienmakler wie im Roman „Jagd“ oder Medienleute wie im Roman „Ohne einander“. Am meisten entblößte er sich persönlich in seinen Meßmer-Bänden, einer Art innerer Autobiografie. Formal war Walser vielfältig, schrieb neben den Romanen viele Erzählungen, Theaterstücke, Gedichte, Essays.

Vom Anecker zum großen Feindbild

Mit Letzteren griff er auch stark in die gesellschaftlichen Debatten der BRD ein. Intellektuell erlebte sich Martin Walser im deutschen Kulturbetrieb als Außenseiter, Anecker, Nicht-Zugehöriger: Zunächst in den Sechziger Jahren, als, wie er der „Presse“ einmal erzählte, „die Konservativen die Feuilletons besetzt hatten. Damals hieß es, man stehe nicht auf dem Boden des Grundgesetzes, weil man gegen den Vietnamkrieg war. Der Verleger sagte: Wenn du so weitermachst, wirst du hier bald keinen Leser mehr finden.“ In den 70er-Jahren ging Walser dann regelmäßig mit seiner Familie nach Amerika, auch weil ihm die dortigen Universitäten ein ordentliches Einkommen erlaubten. Als Achtundsechziger und Linksliberale die Feuilletons zu prägen begannen, eckte er dann immer öfter mit denen an – und fand sie sogar noch intoleranter, noch „vernichtungsbereiter“ als die früheren Konservativen.

Im Grunde war die Rolle des Aneckers diesem Widerspruchsfreudigen wohl auch gemäß – er ahnte nur nicht, wohin es ihn in der BRD führen würde.

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