Hochqualifizierte verlassen Österreich

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Immer mehr Akademiker wandern aus. Dass vor allem Ärzte und die unter 40-Jährigen gehen, bedrohe auch das Pensionssystem, warnen Experten.

Wien. Hochgerechnet mehr als 21.000 Österreicher haben im Vorjahr das Land verlassen. Im ersten Halbjahr 2012 waren es exakt 10.526 „Abwanderer“, wie vorläufige Daten der Statistik Austria zeigen, die der „Presse“ vorliegen. Dem stehen 7379 Österreicher gegenüber, die (wieder) ins Land gezogen sind – macht einen Überhang von 3147 Auswanderern. Vor allem die 25- bis 39-Jährigen zieht es ins Ausland.

Den 3652 „Abwanderern“ in der ersten Hälfte 2012 standen „nur“ 2270 Zuzüge von Inländern gegenüber. Es ist ein neuer Höchststand gemessen an den Ein- und Auswandererbewegungen der Vorjahre (siehe Grafik). Die endgültigen Daten für 2012 werden erst im Juni vorliegen.

Weil vor allem die Jungen gehen, schlagen nun Experten Alarm: Der Schluss liege nahe, dass es sich bei den Auswanderern zunehmend um gut und sehr gut Ausgebildete handle, sagt der Migrationsexperte und Vizerektor für Personalentwicklung und Internationale Beziehungen der Universität Wien, Heinz Faßmann. Auf jährlich mehr als 5000 schätzt er die Gruppe jener unter den Auswanderern, die mindestens die Matura, großteils aber einen Universitätsabschluss aufweisen. „Es ist jedenfalls ein erklecklicher Anteil.“ Gesamtzahlen weisen öffentliche Stellen nicht aus– auch, weil sich Auswanderer dort nicht „abmelden“ müssen.

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2000 Ärzte nach Deutschland

Für einzelne Berufsgruppen sind dennoch Zahlen bekannt: So arbeiteten laut deutscher Ärzteschaft Ende 2011 exakt 2025 österreichische Ärzte in Deutschland. 2010 waren es noch 1872. Das bedeutet ein Plus von 8,17 Prozent. In der Schweiz waren 408 österreichische Ärzte gemeldet (2011), in Großbritannien 285 (Dezember 2009). Auch Dänemark und Schweden sind beliebte Zielgebiete für österreichische Mediziner. Die Ärztekammer hat deshalb bereits mehrfach vor einem eklatanten Ärztemangel gewarnt – etwa auf dem Land könnten viele Praxen unbesetzt bleiben, weil Österreicher lieber unter besseren Bedingungen und mit mehr Gehalt im Ausland arbeiten und forschen.

Für die Wissenschaft und Forschung insgesamt nennt Andreas Breinbauer, Leiter des FH-Kollegiums an der Fachhochschule des BFI Wien, eine Größenordnung von etwa 6500 bis 10.000 Österreichern, die mittlerweile im Ausland arbeiten würden. Vergleichbare Zahlen hat er bereits für seine Dissertation aus dem Jahr 2007 zum Thema erhoben. Und, so Breinbauer: „Der Schluss liegt nahe, dass eher die hochklassigen Akademiker, zum Beispiel im Postdoc-Bereich, gehen als jene mit niedrigeren Abschlüssen.“ Für Thomas Mayr, Geschäftsführer des Instituts für Bildungsforschung (IBW), liegen die Konsequenzen auf der Hand: vor allem ein „viel attraktiveres“ Dienstrecht an Universitäten sowie mehr Geld für die universitäre und außeruniversitäre Forschung, was auch Faßmann fordert.

Um die Volkswirtschaft, vor allem aber um die älteren Menschen sorgt sich Winfried Pinggera, Generaldirektor der Pensionsversicherungsanstalt. Ein Grund sei die Abwanderung von Ärzten. „Da droht ganz klar ein Ausdünnen der medizinischen Versorgung.“

Die kräftigsten Zahler fehlen

Ebenfalls besorgniserregend sei, dass offenbar die Besten der Besten– und damit die stärksten „Einzahler“ im Pensionssystem – gehen: „Wenn die Produktivität bei gleichbleibender oder sogar steigender Beschäftigung sinkt, sinkt auch das Beitragsaufkommen. Wir leben ja davon, dass wir möglichst viele hoch qualifizierte Menschen anstellen“, warnt Pinggera.

Allein: Der Braindrain ins nahe und ferne Ausland habe nicht zuletzt damit zu tun, dass es in Österreich nur wenige große und damit nur wenige forschungsintensive Industriebetriebe gebe, sagt Faßmann. Entsprechende Arbeitsplätze für Spitzenkräfte seien also rar.

Auf einen Blick

Der Braindrain beschäftigt Politik und Wirtschaft seit Langem, für die nächsten Jahre planen Statistik Austria und die Regierung eigene Erhebungen. Experte Faßmann geht von mehr als 5000 hoch qualifizierten „Abwanderern“ unter den 21.000 Auswanderern im Jahr aus. Die 25- bis 39-Jährigen machen den Großteil aus.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.02.2013)

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