Schwere Tumulte bei U-Bahn-Prozess - Frau freigesprochen

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Jener Wiener, der im Jänner eine Frau aus Kenia auf die Schienen einer U-Bahn gestoßen hatte, bekam ein Jahr bedingte Haft. Die Frau des Täters wurde freigesprochen.

Wien. Ein Prozessbeobachter der afrikanischen Community in Wien springt am Donnerstag mitten in der Verhandlung auf, stürmt zum Beschuldigten, brüllt diesen an: „This was attempted murder!“ („Das war Mordversuch!“). Die Sicherheit des 51-jährigen Wieners, jenes Mannes, der am 5. Jänner in der U2-Station Taborstraße eine 35-jährige Frau aus Kenia auf die Geleise gestoßen hat, scheint nun nicht mehr gewährleistet. Keine Justizwache, keine Polizei, keine Sicherheitsleute weit und breit.

Am Ende der Verhandlung, die streckenweise im lauten Geschrei empörter Zuschauer untergeht, stehen eine Verurteilung und ein Freispruch: Der 51-Jährige, ein Elektriker, wird wegen schwerer Körperverletzung verurteilt. Seine Strafe: ein Jahr bedingte Haft. Ein Jahr bedingt, dafür, dass er eine Frau nach einem Wortgefecht über die Bahnsteigkante auf die U-Bahn-Schienen gestoßen hat. Das Opfer, Nelly N., wurde dabei schwer verletzt. Ihr Fersenbein wurde gebrochen. Sie musste operiert werden. Noch heute geht sie auf Krücken. Passanten drückten damals eine Notstopptaste. Die U-Bahn blieb daher schon eine Station früher stehen.

Volle Berufung angemeldet

Die Frau des Beschuldigten, eine 38-jährige Russin (beide verteidigt von Roland Friss), wird freigesprochen. Und zwar vom Vorwurf „Unterlassung der Hilfeleistung“. Staatsanwältin Dagmar Pulker, deren Anklage, lautend auf absichtliche schwere Körperverletzung – eben nicht auf Mordversuch – der Hauptgrund für die Ausschreitungen ist, meldet Berufung gegen beide Urteile an.

Was wäre nun gewesen, wenn es zu Handgreiflichkeiten gekommen wäre? Wie sieht es überhaupt im Grauen Haus mit der Sicherheit aus? Fragen, die vorerst auf Antworten warten.

Zurück zur Verhandlung: Nach den ersten lauten Schreien aus dem Publikum, „We want justice“, „We need justice“, „We are not animals“, schreit Einzelrichterin Gerda Krausam schrill zurück: „Ruhe“. Und dann, leiser: „Sie werden jetzt verwarnt, ich will hier eine ruhige Verhandlung.“ Danach telefoniert sie. Nach einer gefühlten Ewigkeit, die Situation scheint wieder halbwegs kontrollierbar, taucht ein einzelner Beamter der Justizwache auf. Später erscheint ein Mann des Sicherheitsdienstes, der für die Kontrolle der Taschen beim Betreten des Gebäudes zuständig ist. Dann zeigt sich Verstärkung der Justizwache. Und Polizei. Ganz am Schluss, als zwei Mitglieder der afrikanischen Community ausdauernd vor dem Saal gegen die Urteile anschreien, rücken Kräfte der Wega (Wiener Einsatzgruppe Alarmabteilung) an. Ein Demonstrant wird fixiert und abgeführt. Der andere abgedrängt. Auch jene Frau, die als Begleiterin des Opfers in der Tatnacht dabei war, empört sich über die Urteile.

Warum ein Jahr bedingte Haft für einen Stoß auf die U-Bahn-Schienen? Warum „nur“ schwere, nicht absichtlich schwere Körperverletzung? Die Richterin bringt ein Beispiel für absichtlich schwere Körperverletzung: So ein Urteil sei ergangen, als ein Mann mit einem Messer einen anderen in Brust und Hals gestochen habe. „Einen Stoß muss man differenziert sehen.“ Der Beschuldigte sei in einer „Stresssituation“ gewesen. Mildernd sei etwa das „reumütige Geständnis“ gewesen.“

„Wir wollen Gerechtigkeit“

Tatsächlich: Der Elektriker ist zuvor aufgestanden, um sich in aller Form zu entschuldigen. Dreitausend Euro muss er – vorerst – als Entschädigung zahlen. Den Stoß erklärte er so: „Ich bin beschimpft worden. Ich bin bespuckt worden. Ich war leicht verärgert.“ Nach dem Stoß lief er davon.

Opfer Nelly N. sagt, dass vor allem die Frau des Mannes üble rassistische Beschimpfungen von sich gegeben habe (die Frau gibt dies auch zu). So habe es, laut Opfer, geheißen: „Neger gehören in den Busch, Bananen essen.“ Obendrein habe ihr der Mann – vor ihrem Sturz – einen Faustschlag gegen den Kopf versetzt. Passanten zogen die Kenianerin damals zurück auf den Bahnsteig.

Nun warten alle auf die nächste Instanz. Denn nach der Verhandlung liest man auf eilig gebastelten Transparenten, die Demonstranten nahe dem Gerichtssaal hochhalten: „We demand total justice. No justice no peace.“ – „Wir fordern vollständige Gerechtigkeit. Keine Gerechtigkeit, kein Frieden.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.03.2013)

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