Schüssel: "Habe die Macht leichtfüßig abgegeben"

Schuessel Habe Macht leichtfuessig
Schuessel Habe Macht leichtfuessig(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Wolfgang Schüssel über die nötigen Ruhephasen in der Politik, die Wirkung des Cellospiels, sein Image als "Schweigekanzler", seine Vorstellung von Luxus, und was den neuen Papst so "großartig" macht.

Als Sie Kanzler waren, wurde Ihnen nachgesagt, Sie würden nur die allerwichtigsten Abendtermine wahrnehmen und sonst lieber nach Hause fahren, um Cello zu spielen.

Wolfgang Schüssel: Ein rührendes Gerücht. Leider hat das nicht gestimmt. Ich habe viele Abende im Büro verbracht oder war unterwegs auf Versammlungen, bei Wahlkämpfen, Nachtsitzungen. Aber was ich versucht habe durchzuhalten, war, mir einen Tag in der Woche, den Samstag oder den Sonntag, für die Familie freizuhalten. Und das kann ich jedem nur empfehlen. Weil man das einfach braucht – auch zur inneren Regeneration.

Aber das Gerücht hat schon einen wahren Kern: Sie haben als Bundeskanzler Cellospielen erlernt.

Das stimmt schon. Ich habe immer geschaut, wenn ich heimgekommen bin, zumindest zwanzig Minuten zu üben. Nicht jeden Tag, aber so oft es ging.

War das Ihre Art abzuschalten?

Mir hat mein geliebter, väterlicher Freund Mstislav Rostropowitsch, der berühmte Cellist, einmal gesagt: „Das Cello ist wie eine Frau. Manchmal kratzt sie, manchmal beißt sie, manchmal schmust sie mit dir.“ Das ist genau so: Wenn du dich nicht hundertprozentig einlässt, wenn du nicht total fokussiert bist, dann wird's nichts, dann klingt es wie Katzenmusik. Du musst dich wirklich ganz konzentrieren – und das heißt abschalten können. Das ist ja auch bei Skitouren oder beim Laufen der Fall – da setzen sich die Dinge und werden klarer.

Sie haben oft auf der Regierungsbank im Parlament Karikaturen gezeichnet. War das auch ein Ventil?

Nein, das war ein Zeichen höchster Aufmerksamkeit. Da konzentriert sich sozusagen die bildnerische Hälfte auf das eine und die zweite Hälfte, der intellektuelle Teil des Gehirns, bleibt dann frei für das andere.

Die Religion hat in Ihrem Leben auch immer eine wesentliche Rolle gespielt. Selbst als Kanzler haben Sie sich immer wieder ins Benediktinerkloster zurückgezogen. Hat Ihnen das im Regierungsalltag genützt?

Nein, das hatte damit überhaupt nichts zu tun. Ich bin ja ein Benediktinerschüler. Ich bin auch schon damals zur Sommerfrische nach Seckau gefahren. Ich habe ja eigentlich erst durch Intervention des damaligen Abtes die Zulassungsmöglichkeit zur Aufnahmeprüfung ins Schottengymnasium bekommen – meine Eltern waren geschieden, das war damals nicht so einfach – und ich habe dort dann jeden Sommer mein Zeugnis vorzeigen müssen. Daher rührt diese ganz enge Bindung. Das hat mir sehr gutgetan. Und bis heute habe ich die Freundschaft zu einigen Mönchen aufrechterhalten. Wir haben da eine Gruppe, die versucht, sich mit philosophisch-theologischen Gedanken auseinanderzusetzen. Das hilft zunächst gar nicht für die Regierungspraxis, aber es klärt die Sicht auf die Welt.

Wie finden Sie den neuen Papst?

Er macht einen extrem sympathischen Eindruck. Wer dorthinkommt, der hat schon etwas. Nach dem großen Visionär und eigentlichen Politiker Karol Wojtyła und dem ganz großen Theologen Joseph Ratzinger gibt es jetzt einen, der – so hat man den Eindruck – ein wirklicher Seelsorger sein will. Ich finde das großartig.

Manchen, an Ratzinger gewöhnten Puristen ist er ein wenig zu populistisch.

Man soll ihm eine Chance geben. Er hat die ersten Tage hervorragend genützt. Er hat der Kirche etwas Neues gegeben. Ich finde es auch toll, dass er den Namen Franziskus nach Franz von Assisi gewählt hat – als Programm.

Der neue Papst legt anscheinend viel Wert auf Bescheidenheit. Ein Attribut, das auch Ihnen immer wieder zugeschrieben wurde. Haben Sie gar keinen Sinn für Luxus?

Kommt drauf an, was man unter Luxus versteht. Ich kann an keiner Buchhandlung oder an keinem Musikgeschäft vorbeigehen, ohne etwas zu kaufen. Da bin ich sehr unbescheiden. Andererseits wohnen wir seit vierzig Jahren in der gleichen Wohnung und fühlen uns dort wohl. Wir haben uns da nie ein höheres Ziel gesetzt. Aber: Anspruchsvoll muss der Mensch schon sein. Im intellektuellen Leben, im kulturellen Leben. In Konzerte zu gehen, selbst mitzumusizieren – das ist für mich schon Luxus. Das hat nicht jeder.

Sie galten lange Zeit als jemand, der eine eher losere Zunge hat. Dann waren Sie auf einmal der „Schweigekanzler“. Wie sehr muss man als Regierungschef Selbstzensur üben, die Worte auf die Goldwaage legen?

Das mit dem „Schweigekanzler“ war lächerlich und hat mich daher auch nicht getroffen. Ich war als Parteichef und Kanzler einer, der am meisten Interviews gegeben, die meisten Reden gehalten hat. Ich habe vielleicht nicht immer das gesagt, was ein Fragesteller hören wollte. Das Pickerl mit dem Schweigen wurde mir von anderen aufzukleben versucht, gestimmt hat es nicht. Aber eines stimmt schon: Ein unbedachtes Wort – etwa von Mario Draghi oder Jean-Claude Trichet – das kann die Märkte auf der ganzen Welt in Angst oder Begeisterung versetzen. Daher ist Zurückhaltung oder das Abwägen von Worten absolut sinnvoll. Verantwortungsvolle Politik muss darauf achten, dass man die Dinge im Lot lässt und die Leute nicht unnötig beunruhigt.

Kann man nach den Gesetzen der heutigen Mediengesellschaft – jeden Tag wird eine neue Sau durchs Dorf getrieben – überhaupt in Ruhe dem eigentlichen Regierungsgeschäft nachgehen?

Ich habe immer Wert darauf gelegt, mir nicht Medienberichte vorlegen zu lassen, sondern selbst die Zeitungen zu lesen. Da kann man gut beurteilen: Was stimmt? Welche Kritik trifft zu? Sehr wichtig ist auch: Routinearbeiten möglichst delegieren. Sich nicht mit Routinearbeit zuschütten lassen. Damit man Zeit hat, die wichtigen Dinge bis zum Ende durchzudenken. Das Wichtigste für einen Kanzler ist Zeitmanagement: Wer wird durchgestellt? Welcher Brief muss persönlich beantwortet werden? Welche Fragen müssen heute entschieden werden? Und gute Führung heißt vor allem auch, die Mitentscheider und Mitträger einzubinden, etwa jene in den Ländern, sie rechtzeitig zu informieren, bevor sie draußen vom Sturm der Medien überfallen werden. Das habe ich immer gemacht.

Man hatte den Eindruck, Sie haben sich mitunter unverstanden gefühlt.

Auch ich habe nicht immer gewusst, wie die Dinge liegen. Wichtig ist aber, dass man selbst das Gefühl hat, es einigermaßen richtig zu treffen.

Braucht man zum Regieren auch Kreativität? Oder kommt man den vorgegebenen Normen ohnehin nicht aus?

Natürlich braucht Regieren eine gewisse Ordnung. Aber du musst auch die Sehnsucht nach Neuem haben. Die wirklich erfolgreichen Unternehmer setzen auf kreative, innovative Produkte. Wenn wir unseren Status halten wollen, müssen wir in die Innovation investieren. In der Wirtschaft ist das so, in der Politik ist das noch nicht so ausgeprägt. Die Politik der kleinen Schritte ist zu wenig. Es ist notwendig, mehr Innovation und Kreativität in die Politik hereinzuholen. Das ist der einzige Bereich, in dem man zusätzliche Werte schaffen kann. In zehn Jahren werden wir das fahrerlose Auto haben, es wird Hilfsroboter für ältere, pflegebedürftige Menschen geben, und die Kommunikationstechnologie steckt in Wirklichkeit noch in den Kinderschuhen.

Wenn Sie auf Ihre Zeit als Kanzler zurückblicken, gibt es etwas, was Sie bedauern – etwa in anderen Ministerien zu wenig nach dem Rechten gesehen zu haben?

Ich bin ja kein Oberkontrollor. Ich glaube, dass man einfach akzeptieren muss, dass einem nicht alles gelingen kann. Im Großen ist aber, glaube ich, viel gelungen. Heutzutage würde man aber sicher nicht mehr die Ambulanzgebühr für den Hauptverband inhalieren, sondern sie den Spitälern lassen. Auch die Studiengebühren sind sinnvoll, man muss das nur besser kommunizieren. Überhaupt ist Kommunikation heute ein Schlüsselthema.

Das war ja auch die Kritik an Ihnen: dass Sie Ihre Politik zu wenig erklärt haben.

Die Kritik gibt es bei jeder Regierung. Es stimmt ja auch, dass zu wenig erklärt wird. Aber man kann das auch nicht immer nur an eine Person, den Regierungschef, delegieren.

Wie sehr hat Sie das Amt verändert? Als Wirtschaftsminister galten Sie noch als „bunter Vogel“, später dann als kühler Machtmensch.

Hängt das nicht auch ein bisschen mit der Funktion zusammen? Je mehr Verantwortung, desto ernster wird man.

Ist es Ihnen schwergefallen, Macht abzugeben? Immerhin sind Sie dann ja noch als Abgeordneter im Parlament geblieben.

Auf Bitte der damaligen Parteichefs. Ich habe Macht nie angestrebt. Wenn sie mir angetragen wurde und sie zu mir gepasst hat, dann habe ich sie angenommen. Ich habe sie dann aber auch leichtfüßig abgeben können.

Biografie

Wolfgang Schüssel,geboren am 7. Juni 1945 in Wien, war nach dem Studium der Rechtswissenschaften Generalsekretär des Wirtschaftsbundes, Abgeordneter zum Nationalrat, Klubobmann, Wirtschaftsminister, ÖVP-Bundesparteiobmann, Außenminister und Bundeskanzler.

Heute schreibt er regelmäßig Kolumnen in der „Neuen Zürcher Zeitung“, er sitzt im Kuratorium der Bertelsmann-Stiftung, im Aufsichtsrat der RWE, in etlichen europäischen Thinktanks und ist Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Außenpolitik mit Sitz in Wien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.03.2013)

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