Totale Ordnung wäre Terror – oder Tod

Totale Ordnung waere Terror
Totale Ordnung waere Terror(c) Die Presse (Clemens Fabry)
  • Drucken

Wie viel Klarheit, Ruhe braucht der Geist? Und wann wird es zu ruhig – totenstill? Wie viel Struktur ist im Leben nötig? Eine Einführung in das ambivalente Thema Ordnung von Johanna Rachinger.

Wenn du einen Garten hast und dazu noch ein Bibliothek, wird es dir an nichts fehlen“, schrieb Marcus Tullius Cicero vor mehr als 2000 Jahren an seinen Freund Varro. Und auch heute können wir kaum schönere Oasen der Muße, der Ruhe und des Zu-sich-selbst-Kommens nennen. Der Garten, die von Menschenhand gezähmte und geordnete Natur, ist Ruhepol und unerschöpfliche Quelle entspannter Tätigkeit im Dialog mit der Natur. Und was könnte unseren Geist besser anregen, als das stille Gespräch mit den großen Dichtern und Denkern vergangener Epochen in einer Bibliothek?

Sobald Bibliotheken groß und unüberschaubar werden, benötigen sie ausgeklügelte Ordnungssysteme. Kataloge werden so zum Prototyp einer universellen geistigen Ordnung. Einer der ältesten Zettelkataloge findet sich übrigens in der ehemaligen kaiserlichen Hofbibliothek, heute Nationalbibliothek in Wien. Der Garten repräsentiert ein anderes System vom Menschen geschaffener Ordnung. Den Weg zur Ruhe durch Reduktion gemäß dem Grundsatz „Weniger ist mehr“ zeigt in ganz besonderem Maße der japanische Zen-Garten, wesentliches Moment buddhistischer Klöster in Japan. Die verwirrende Vielfalt der Formen und Farben in der Natur wird auf eine leere Sandfläche und einige moosumwachsene Felsstücke reduziert. Der Geist soll durch die Wahrnehmung einer reduzierten, klar geordneten Form zur Ruhe kommen.

Beunruhigender Rest. Permanenter Lärm erzeugt Stress und macht uns krank. Gibt es also ein menschliches Grundbedürfnis nach Ruhe und Ordnung? Über ein hohes Maß an Ordnung können wir zur inneren Ruhe finden: Der geregelte Tagesablauf in einem Kloster ist ein Beispiel dafür. Doch immer bleibt ein beunruhigender Rest, der sich der idealen Ordnung der Vernunft zu widersetzen scheint. Meist versuchen wir, diese widerspenstigen, fremden Elemente, die unsere Ruhe von innen wie von außen bedrohen, in unsere Ordnung zu zwingen, oder – wo dies nicht gelingt – sie von uns fernzuhalten, zu negieren, zu verdrängen. Schon Sigmund Freud wusste freilich, dass der einzig richtige Weg wäre, uns mit ihnen zu versöhnen.

Der liebenswerte General Stumm von Bordwehr in Robert Musils „Mann ohne Eigenschaften“ kommt am Ende seines Besuchs in der Wiener Hofbibliothek zu bemerkenswerten Einsichten bezüglich Ruhe und Ordnung. Er realisiert, dass eine totale Ordnung nach militärischem Muster nicht wirklich ein erstrebenswertes Ideal darstellt: „. . .aber jetzt stell Dir bloß eine ganze, universelle Menschheitsordnung, mit einem Wort eine vollkommene zivilistische Ordnung vor: so behaupte ich, das ist der Kältetod, die Leichenstarre, eine Mondlandschaft, eine geometrische Epidemie!“

Der Zwang zu totaler Ordnung und Unter-Ordnung zerstört in letzter Konsequenz jede individuelle Entfaltungs- und Lebensmöglichkeit, das Individuum wird ausgelöscht. Wenn General Stumm schließlich etwas beunruhigt resümiert: „Irgendwie geht Ordnung in das Bedürfnis nach Totschlag über“, so wird darin jener grauenvolle Aspekt totalitärer Macht und Ordnung sichtbar, den die politischen Diktaturen des vergangenen Jahrhunderts mit bisher nie da gewesener Brutalität gezeigt haben. Die totale politische Ordnung ist von Terror nicht mehr zu unterscheiden. Sie schafft jene totale Ruhe, die man nur auf dem Friedhof antrifft. Die angebliche Ruhe der Toten ist aber eine Projektion.

Das Ideal jener vollkommenen Ruhe, die wir in diesem irdischen Leben niemals finden, soll zumindest für die Toten gelten und spiegelt sich in der respektvollen Stille und architektonischen Ordnung der Friedhöfe wider. Lebendiges wird sich der totalen Ordnung immer widersetzen. Innere Ruhe zu finden bleibt unsere ewige Sehnsucht.

Zur Person

Johanna Rachinger ist seit 2001 Generaldirektorin der Österreichischen Nationalbibliothek. Eines ihrer bekanntesten Projekte ist die groß angelegte Digitalisierung.

Rachinger ist zudem auch Senatsmitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.
Sebastian Reich/Verlagsgruppe News/picturedesk.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.03.2013)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Ordentliche Orte
Vier Jahre Presse am Sonntag

Ordentliche Orte

Vom Weinkeller bis zum Lesesaal, von der Bibliothek bis zum Kloster: Es gibt Plätze, die sind so aufgeräumt und still, dass sie im Kopf etwas verändern.
Schuessel Habe Macht leichtfuessig
Vier Jahre Presse am Sonntag

Schüssel: "Habe die Macht leichtfüßig abgegeben"

Wolfgang Schüssel über die nötigen Ruhephasen in der Politik, die Wirkung des Cellospiels, sein Image als "Schweigekanzler", seine Vorstellung von Luxus, und was den neuen Papst so "großartig" macht.
Laerm halten
Vier Jahre Presse am Sonntag

Lärm: "Wie halten Sie das aus?"

Wenn Sie eine fremde Frau fragt, warum Sie laut telefonieren, könnte es Angelika Kirchschlager sein. Protokoll eines Wiener Lärmspaziergangs mit einer Empfindsamen.
Normen fuer Verbrechen Regeln
Vier Jahre Presse am Sonntag

Normen für Verbrechen: Die Regeln des Totalitarismus

Das NS-Regime versuchte mit einem fast unüberschaubaren Regelwerk die Vernichtung der Juden zu "rechtfertigen".

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.