Von Futtertrögen und Sümpfen am Moskauer Bolschoj-Theater

Ein Attentat mit Salzsäure hat einem der bedeutendsten Markenzeichen Russlands hässliche Schmutzflecken zugefügt.

Das Mariinskij-Theater in St. Petersburg und das Bolschoj-Theater in Moskau gehören zu Russland wie Tschaikowsky und Puschkin, Wodka und Kaviar, Orthodoxie und Kreml. Sie sind russische Markenzeichen – und Premier Dmitrij Medwedjew hat noch als Präsident das Bolschoj-Theater als solches benannt, als das Haus im Oktober 2011 nach sechsjähriger Sanierung wiedereröffnet wurde. Gerade dieses ehrfürchtig als „Allerheiligstes der russischen Musik“ bezeichnete Markenzeichen hat zuletzt hässliche Schmutzflecken und tiefe Kratzer bekommen. Nicht nur, weil dem künstlerischen Leiter der Balletttruppe dieses Hauses, Sergej Filin, am 17. Jänner auf dem Parkplatz vor seiner Wohnung in Moskau ein Glas Salzsäure ins Gesicht geschüttet wurde.

„Das Attentat führte allen Russen vor Augen, dass Gewalt, Korruption und Intrigen inzwischen nicht nur in ihrem Land alltäglich sind, sondern auch in ihrem Großen Theater“, hieß es im März in einem Dossier der deutschen Wochenzeitung „Die Zeit“. Für das Magazin „New Yorker“ reiste sogar Chefredakteur David Remnick persönlich nach Moskau, um den Skandal im Bolschoj-Theater zu recherchieren. Gut, Remnick ist ein Russland-Kenner. Er berichtete für die „Washington Post“ in den späten 1980er-, frühen 1990er-Jahren über das Ende der Sowjetunion und die schwere Geburt des neuen Russland. „Danse Macabre“ – also „Totentanz“, hat er seinen langen Essay im „New Yorker“ betitelt.

Auch Remnick bekam bei seinen Interviews in Moskau immer wieder den Satz zu hören: Was da im Theater passiere, widerspiegle nur, was auf den Straßen Russlands vor sich gehe. „In der gegenwärtigen Version ihres Fatalismus“, schreibt der US-Autor, „sehen die Russen ihr Land als eine Landschaft endloser bespredel, also Gesetzlosigkeit – einer Welt ohne Ordnung und Gerechtigkeit oder innere Hemmnisse. Ein Desaster reiht sich da an das nächste.“

So hat die Generalsanierung des Bolschoj-Theaters beinahe eine Milliarde Euro gekostet (im Februar 2012 war von umgerechnet 910 Millionen Euro die Rede). Das ist das Sechsfache der Kosten, die ursprünglich projektiert worden waren. „Mir ist das vollkommen egal“, zitiert Remnick Alexander Budberg, den Vorsitzenden des Verwaltungsrats des Bolschoj, „entweder man gehört zu den drei Top-Theatern der Welt oder eben nicht. Wenn man 50 Millionen Dollar extra bezahlen muss – wen kümmert's? Was sind ein paar hundert Millionen für ein Land wie das unsere?“

Angesichts solcher Unbekümmertheit darf es nicht wirklich verwundern, wenn Abermillionen Rubel bei einer solchen Großsanierung in dunklen Kanälen versickern, bei windigen Baufirmen, verschlagenen Inspektoren oder gierigen Bürokraten. Und natürlich spielt Geld im Skandal um den Säureanschlag auch eine Rolle. Auch bei den ganzen Intrigen unter den Tänzern und in der Theaterleitung, die im Dossier der „Zeit“ und noch viel ausführlicher im Remnick-Essay geschildert werden, spielt Geld eine wichtige Rolle: So bedeuten Auftritte in tragenden Bühnenrollen auch besseren Zugang zu den – finanziellen – Futtertrögen.

Dass die Ex-Ballerina Anastasija Wolotschokowa – wie andere Ex-Stars und Stars des ganzen Intrigantenstadls offenbar krankhaft geltungssüchtig – das Bolschoj als eine Art Luxusbordell für russische Superreiche beschrieben hat, ist nur noch das Tüpfelchen auf dem i. Kein Wunder, dass der langjährige Generaldirektor des Bolschoj-Theaters, Anatolij Iksanow, zuletzt fast schon verzweifelt ein „Ende der Schlammschlacht“ erfleht hat. Wohl leichter gesagt als durchgesetzt: Iksanow steht schließlich mittendrin im Sumpf.

E-Mails an: burkhard.bischof@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.04.2013)

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