Bolschoi-Theater: Tänzer, Tränen und Intrigen

Bolschoi Theater
Bolschoi Theater(c) REUTERS (SERGEI KARPUKHIN)
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Das wiedereröffnete Bolschoi-Theater kommt nach Säureanschlag und Skandalen nicht zur Ruhe. Nun hat Putins Kulturminister kurz vor der morgigen „Onegin“-Premiere den Chef des Hauses abgesetzt.

Als Winston Churchill die hinter den Kulissen ausgetragenen Intrigen und Machtkämpfe im russischen Kreml der Stalin-Zeit auf den Punkt bringen wollte, suchte er Anleihen in der Tierwelt und fand schließlich im Ringen von Bulldoggen unter einem Teppich jenen griffigen Vergleich, der auch im Russland des 21. Jahrhunderts noch nicht hinkt: „Außenstehende hören nur das Knurren. Wenn die Knochen herausfliegen, ist klar, wer gewonnen hat.“

Zumindest im Kreml. Einen Steinwurf weit entfernt, gerade mal vis-à-vis auf der anderen Straßenseite, im berühmten Bolschoi-Theater, war auch gestern nicht einmal klar, wer eigentlich gewonnen hat. Ja, es gibt mit dem 63-jährigen Wladimir Urin seit Dienstag völlig überraschend einen neuen Generaldirektor. Ja, der bisherige Langzeitchef Anatoli Iksanov, dessen Vertrag erst im Oktober 2014 ausläuft, wurde urplötzlich kurz vor der Premiere des Balletts „Onegin“ am Freitag und kurz vor den imagefördernden Gastspielen in London abgesetzt. Dass er eigenen Worten zufolge selbst bereits im April darum gebeten hat und Urin sogar zur Übernahme überreden musste, trug nicht zur Aufklärung der Hintergründe bei. Immerhin angedeutet wurden sie von Kultur- und Bildungsminister Wladimir Medinski: Um das Haus und dessen Ensemble sei eine derart schwierige Situation entstanden, dass eine personelle Erneuerung unausweichlich geworden sei.

Tätersuche unter den Solotänzern

Damit wurde immerhin Bezug genommen auf das Knurren, das Außenstehende aus dem traditionsreichsten Theater des Landes und dem weltgrößten Ballettensemble zuletzt immer häufiger vernommen hatten. Das Knurren begann im Vorjahr, als der bekannte Tänzer Nikolaj Ziskaridse in Eigenregie Unterschriften für eine Petition an Kreml-Chef Wladimir Putin verfasste, in der er sich selbst als Generaldirektor anstelle des kurz zuvor vertraglich verlängerten Iksanov vorschlug.

Wenige Wochen später verlor der künstlerische Leiter des Balletts, Sergej Filin, der für eine internationale Öffnung und Modernisierung des Theaters stand, bei einem Säureanschlag fast sein Augenlicht. Ein Unbekannter hatte ihm auf dem Parkplatz vor seiner Wohnung Schwefelsäure in die Augen geschüttet. Der Verletzte wird seither in einer Klinik im deutschen Aachen behandelt. Als einer der Drahtzieher des Anschlags wurde ein Solotänzer festgenommen. Ziskaridse aber ritt weiter seine Attacken auf Iksanov, bagatellisierte die Folgen des Säureanschlags und bekam dieser Tage keine Vertragsverlängerung mehr.

Es knurrte auch an anderer Stelle. Eine vor zehn Jahren entlassene Primaballerina blitzte mit ihrer Schadenersatzforderung von 750.000 Euro vor Gericht ab. Und ein deutscher Choreograf verwies dieser Tage die Starballerina Svetlana Zacharova in die Ersatzmannschaft. Weil Zacharova früher auch als Parlamentarierin in der Duma saß, mutmaßen manche, dass ihr Fall der Auslöser für die Absetzung Iksanovs war. Letztendlich bleibt es Spekulation, die erst dann geklärt sein wird, wenn neue Besetzungen vollzogen sind.

Netrebkos Radikalkur: Alle entlassen!

Kürzlich soll sich sogar die bekennende Putin-Sympathisantin Anna Netrebko in die Bolschoi-Debatte eingebracht haben. Ihr radikaler Tipp: Das Haus brauche eine Erneuerung, die nur gelingen könne, wenn man alle Mitarbeiter – das sind derzeit allein 900 Künstler – entlasse und neue einstellt.

Der neue Chef Urin jedenfalls kündigte an, es werde mit ihm keine Revolutionen geben. Er hatte sich bisher mit der Leitung des Theaters Stanislawski viel Ruhm erworben.

Revolutionen hatte ohnehin der scheidende Bolschoi-Chef Iksanov vollzogen. Er hat die Einrichtung binnen 13 Jahren von einer sowjetischen Institution hin zu einer europäischen getrimmt. Er hat auch die historische Renovierung des zwischendurch vom Verfall bedrohten Hauses umgesetzt und vor zwei Jahren mit der spektakulären Wiedereröffnung gefeiert. Die Nutzfläche wurde stark vergrößert, die Bühnentechnik modernisiert. Dass dabei Unmengen von Geldern verschwunden sind, versteht sich im russischen Baugeschäft von selbst.

Die dabei mitmischende Mafia hat Iksanov genauso wenig ausschalten können wie diejenige, die den Kartenauf- und -weiterverkauf kontrolliert. Am Ende war er sogar den Bulldoggen im eigenen Haus nicht mehr gewachsen.

Auf einen Blick

Das Bolschoi-Theater in Moskau (Russisch für „Großes Theater“) wurde 1776 erstmals errichtet, brannte 1805 ab und erhielt 1825 sein heutiges Aussehen. In Sowjetzeiten tagte hier die Kommunistische Partei. Nach sechsjähriger Umbauphase wurde das Haus im Oktober 2011 wiedereröffnet. Heute verfügt das Theater über 1800 Sitzplätze und beschäftigt 900 Tänzer, Sänger und Musiker.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.07.2013)

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