Die ÖVP – eine Partei unter Kuratel des Bauernbundes

Der Landwirtschaftsminister sieht sich als oberster Interessenvertreter der Bauern – dabei sollte er deren natürliches Feindbild sein.

Michael Spindelegger hat gerade noch einmal die Notbremse gezogen. Die Debatte um das Bienensterben hatte gedroht zu einem PR-Desaster für die Nationalratswahl zu werden, bevor der ÖVP-Chef seinen Landwirtschaftsminister zu einem Schwenk für ein Pestizidverbot zwang. Man stelle sich einen Wahlkampf vor, in dem sich Nikolaus Berlakovich in immer abstrusere Ausreden verstrickt, warum der Schutz der Bienen nicht, noch nicht oder nur ein kleines bisschen stattfinden darf, während alle anderen Parteien auf sympathische Weise Biene Maja und den faulen Willi retten.

Warum sich der Minister überhaupt in diese Sackgasse begeben hat? Ganz einfach, weil er aus seinem Selbstverständnis heraus agiert hat: In Österreich ist der Landwirtschaftsminister – das gilt auch für die Vorgänger von Berlakovich – der oberste Lobbyist der Bauernschaft. Diese Tradition ist einigermaßen absurd. Kein Gesundheitsminister, der einigermaßen bei Trost ist, würde in erster Linie die Interessen der Ärzte vertreten, keine Unterrichtsministerin würde als Lobbyistin der Lehrer agieren. Aber offensichtlich kann kein Landwirtschaftsminister an dieser Rolle vorbei – zumindest keiner, der aus der ÖVP kommt.


Die Bauernschaft ist in den vergangenen Jahrzehnten dramatisch geschrumpft: Betrug ihr Anteil an den Erwerbstätigen um 1900 noch 60 Prozent, so waren es 1961 noch 22,8 Prozent, heute sind es gerade noch einmal fünf Prozent. Doch ihre politische Macht haben sie sich erhalten: Kaum eine wichtige Entscheidung, bei der sie ihre Interessen nicht weitgehend durchsetzen können. Das reicht von der Pauschalierung bei der Einkommensteuer über die Steuerbefreiung beim Agrardiesel bis zur Ökostromförderung. Und wenn Tierschutz auf Bauerninteressen trifft, gewinnen normalerweise die Landwirte – siehe die großzügigen Übergangsregelungen bei der Abschaffung von Kastenständen für Schweine. Über all dem steht natürlich die ausgiebige Förderung für die Bauern aus Mitteln der EU und aus dem nationalen Budget. Rund zwei Drittel der bäuerlichen Einkommen kommen aus diversen Fördertöpfen. Und diese werden seit Jahren erfolgreich gegen alle Angriffe verteidigt.

Das alles zeigt: Die Bauern haben das beste Lobbying im Land, besser noch als jenes der Beamten. Still und ohne großes öffentliches Aufsehen gelingt es, die eigenen Interessen durchzusetzen und dazu noch – im Gegensatz zu den Beamten – ein gutes Image zu behalten. Die aktuelle Diskussion um Pestizide und Bienensterben ist einer der ganz wenigen Fälle, in denen das nicht funktioniert hat.

Die Machtbasis sind natürlich weiterhin der Bauernbund und die ÖVP: Von den 51 Nationalratsabgeordneten gehören 15 dem Bauernbund an, ebenso zwei der letzten drei ÖVP-Chefs. Wirkung entfaltet die Lobby aber weit über die ÖVP hinaus – etwa, wenn der SPÖ-Bundeskanzler beim EU-Gipfel die Interessen der Landwirtschaft auf Platz eins seiner Agenda setzt.


Die ÖVP wird sich gut überlegen müssen, ob sie sich weiterhin automatisch einer schrumpfenden Klientel ausliefert. Wer es einer Lobby besonders recht machen will, vergrämt andere potenzielle Wählerschichten. Auf dem Land hält die Volkspartei zwar ihre Position, aber in den Städten schwächelt sie, wie auch die letzten Landtagswahlen gezeigt haben.

Dass die Bauern für ihre Anliegen eintreten, ist natürlich legitim – gerade im Kernbereich, bei den Förderungen: Wer will, dass Nahrungsmittelproduktion und bäuerliche Struktur in Österreich erhalten bleiben, wird dafür Geld in die Hand nehmen müssen. Gerade in diesem sensiblen Bereich gibt es viele gute Gründe, dass man sich heimische Produktion etwas kosten lässt.

Auf die Aufgabe, genau das zu managen, sollte sich der Landwirtschaftsminister konzentrieren. Damit steht er im Normalfall in einem natürlichen Spannungsverhältnis zu seiner Klientel. Anders gesagt: Ein Landwirtschaftsminister macht seine Aufgabe dann gut, wenn er von der Agrarlobby heftig bekämpft wird. Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg.

E-Mails an: martin.fritzl@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.05.2013)

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