Wiener Poliklinik: Station geschlossen, Park eröffnet

Auf dem Areal der ehemaligen Wiener Poliklinik entstand in den letzten Jahren eine stille, grüne Wohn- und Arbeitsinsel – mitten in der Stadt.

Als düsterer Ort erscheint das „Elisabethinum“ in Arthur Schnitzlers „Professor Bernhardi“, einer „österreichischen Charakterkomödie“ über den verbohrten Katholizismus und wenig verhohlenen Antisemitismus um 1900. Schnitzler hatte den Schauplatz, das Gebäude der ehemaligen Wiener Allgemeinen Poliklinik literarisch nur wenig verhüllt. Er kannte das Haus schließlich gut: Sein Vater, Johann Schnitzler, war Mitbegründer und später auch Direktor der Klinik. Und der junge Schriftsteller und Arzt hatte selbst kurz in dem ab 1892 errichteten Klinikkomplex in Wien Alsergrund gearbeitet, in dem einerseits die Mittellosen behandelt wurden, andererseits wegweisende Lehre und Forschung betrieben wurde.

Der Krankenhausgeruch ist weg, die Aura des Bedeutenden geblieben: Am mächtigen Hauptgebäude in der Mariannengasse 8 zeigen 13 Majolika-Porträts die Gründer dieser berühmten medizinischen Einrichtung. Hier hatte Viktor Frankl von 1946 bis 1970 die neurologische Abteilung geleitet, hier agierten immer wieder medizinische Vorreiter. Seit 1998 ist die Allgemeine Poliklinik kein Spital mehr und stand zum Teil länger leer. Es gab verschiedene Pläne, auch einen Architektenwettbewerb. „Ursprünglich wollten wir hier Gebäude mit Ausrichtung auf Lifesciences und Medizin, weil sich der Bezug ja geradezu aufgedrängt hat“, erzählt Martin Nemeth, Geschäftsführer des Prisma Zentrums für Standort- und Stadtentwicklung.

Alle Wohntypen durchgespielt

Die Vorgaben und Umweltauflagen haben sich allerdings geändert, und so ist von 2004 bis heute in mehreren Etappen ein Stadtteilerneuerungsprojekt mit Wohn- und Büronutzung umgesetzt worden: Zwei Pavillons im riesigen Innenhof wichen ähnlich dimensionierten Wohnhäusern, eine Baulücke wurde modern geschlossen, den Altbestand hat man hochwertig saniert, und wo die Substanz schlechter war, blieben immerhin die neoklassizistische Fassade plus tragende Mauern, sie gaben das Maß für den neuen Wohnraum dahinter vor. Im gründerzeitlichen Hauptgebäude, dessen Fassade und Stiegenhaus unter Denkmalschutz stehen, befinden sich heute Büros. In den anderen vier Objekten wurden alle möglichen Wohnungstypen – in Miete wie in Eigentum – durchgespielt: Stapelmaisonetten, große Altbauwohnungen, kleine Appartements, Citylofts, exklusivere Dachgeschoßflächen.

Architekt Walter Stelzhammer versuchte nach einem längeren Sichtungsverfahren und in Abstimmung mit dem Bundesdenkmalamt die „größtmögliche Beibehaltung der Struktur der Gebäude“ zu sichern. Ihn interessierte bei seinen Eingriffen sozusagen „die Umkehr der Vorgabenlast“. Was im Fall eines der Wohngebäude bedeuten konnte, straßenseitig Raumhöhen mit 5,30 Metern zu erhalten, die Mittelwand bestehen zu lassen und dahinter jeweils zweigeschoßige Einheiten anzudocken. Verbunden werden diese Teile durch eine Galerieebene. Stelzhammer, der sich schon lange auf die Nachverdichtung im städtischen Raum wie auf großvolumige Wohnbauten konzentriert, sieht hier die seltene Gelegenheit, dass ein innerstädtisches, zum Teil ensemblegeschütztes Quartier mit mehreren Objekten und einem schönen Garten saniert und umgebaut werden kann. Das geschieht höchst selten in Wien, mittlerweile.

Stilles Grün, neu für alle

Unvermutet still wirkt es in diesem Karree hinter der Ecke Mariannengasse/Höfergasse angesichts der Nähe zum Alten AKH, durch das Horden an Studenten und Gastgartenbesuchern strömen. Diese Ruhezone ist nicht etwa reserviert für Anrainer, sondern durch drei Eingänge (auch von der Pelikangasse) öffentlich zugänglich: Prisma hat den früheren Klinikgarten im Rahmen eines Public-Private-Partnership-Modells (mit dem Bezirk Alsergrund, der Stadt Wien und den Eigentümern der Liegenschaft) adaptiert. Fast 4000 verwilderte Quadratmeter mit schönem alten Baumbestand wurden neu gestaltet. Dass sich das ursprüngliche Klinikareal zu einer größeren Wohn-, Arbeits- und Parkinsel entwickeln konnte, brauchte laut Martin Nemeth zudem den ständigen Dialog mit den Stakeholdern, Anrainern, Behörden und dem Denkmalschutz. Hinsichtlich des Parks war die Kooperation mit dem Bezirk sehr eng. Dieses versteckte Grün erinnert ein wenig daran, wie es in dem dicht verbauten Bezirk vor der Gründerzeit ausgesehen haben mag: ein großer Barockgarten, unweit der Alsbach.

Das Areal

Gestern. Die Allgemeine Poliklinik wurde 1872 gegründet, ursprünglich mit Sitz in der Wipplingerstraße. Nach kurzen Stopps in der Oppolzergasse und Schwarzspanierstraße wurde sie 1892 in der Mariannengasse/Höfergasse in 1090 Wien errichtet. Schließung 1998.

Heute. Von 2004 bis 2012 Entwicklung durch Prisma zum „poli.life“ (vier Wohnbauten) und „Vienna Policenter“ (Büros und Dachgeschoßwohnungen im Hauptgebäude). 13.100 m2 Nutzfläche. 3900 m2 öffentlicher Viktor-Frankl-Park (als PPP-Projekt).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.05.2013)

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