Deutschland: De Maizière im Abwehrkampf

Deutschlands Verteidigungsminister de Maizière
Deutschlands Verteidigungsminister de Maizière(c) REUTERS (FABRIZIO BENSCH)
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Der deutsche Verteidigungsminister Thomas de Maizière gerät in der Drohnenaffäre immer stärker unter Druck. Nun muss er vor Bundestag und Nato Erklärungen liefern – sein letztes Gefecht?

Berlin. Es wirkt wie eine Szene aus einem Computerspiel: Ein seltsamer Flugkörper schießt auf ein großes Passagierflugzeug zu. Im letzten Moment reißt der Airbus einen Flügel hoch, vermeidet knapp eine Kollision. Schon seit Jahren steht die Videosequenz, von der Drohnenkamera aufgenommen, auf YouTube. Ein Jux? Darüber diskutierten im Netz nur ein paar Waffenfreaks.
Doch nun schreibt der „Spiegel“: Das Video ist echt. Es zeigt eine deutsche Aufklärungsdrohne, die vor neun Jahren über der afghanischen Hauptstadt Kabul zwei Meter an einer Katastrophe vorbeigeschrammt ist – weil der fernsteuernde Pilot vergessen hatte, den Flug zu melden.

Der geheim gehaltene Zwischenfall zeigt, wie heikel der Einsatz von unbemannten Militärflugkörpern in einem von Zivilflugzeugen genutzten Luftraum ist. An der dafür nötigen Zertifizierung in Europa scheiterte vor drei Wochen das deutsche Projekt Euro Hawk – was den Steuerzahler mit hunderten Millionen Euro teuer zu stehen kommt.

Knapp und eng wird es deshalb auch für den deutschen Verteidigungsminister. Am Mittwoch muss Thomas de Maizière dem Verteidigungs- und dem Haushaltsausschuss im Bundestag Rede und Antwort stehen: Wer ist für das Beschaffungsdebakel verantwortlich? Warum wurde der Kauf eines Prototypen vom US-Rüstungskonzern Northrop, der mit Aufklärungstechnik von EADS bestückt werden sollte, nicht schon früher gestoppt? Für den Fall, dass die Antworten nicht befriedigend ausfallen, fordern die Grünen einen Untersuchungsausschuss.

Opposition reibt sich die Hände

Auch SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann sieht über dem bisher allseits respektierten CDU-Regierungsmitglied „dunkle Wolken aufziehen“. Ein Bauernopfer genüge nicht, es sei nicht sicher, ob der Minister bis zur Bundestagswahl im September im Amt bleiben kann. Die Opposition reibt sich die Hände: Nichts Schöneres könnte ihr passieren, als wenn der Merkel-Vertraute, der seit Jahren als möglicher Nachfolger der Kanzlerin gehandelt wird, mitten im Wahlkampf zurücktreten muss.

Doch auch ohne parteitaktisches Vorschussmisstrauen wird sich de Maizière schwertun, die Parlamentarier zu überzeugen. Denn der „Spiegel“ hat noch mehr in Erfahrung gebracht. Schon im Februar des Vorjahres klärte ein vertraulicher Vermerk die beiden beamteten Staatssekretäre im Verteidigungsministerium auf, dass die ersehnte Zulassung des Prototypen bis zu 600 Mio. Euro zusätzlich kosten würde – und selbst damit sei eine erfolgreiche Prüfung keineswegs sicher. Das Projekt weiter zu betreiben berge „nicht abschätzbare technische, zeitliche und finanzielle Risiken“. Mit einem Wort: Es war bereits gescheitert. Dennoch dauerte es noch 15 Monate, bis der Minister die Reißleine zog.

In der Zwischenzeit lief die Gewährleistungsfrist aus. Mehr noch: Bei einem Nato-Verteidigungsministertreffen im vorigen Frühling setzte sich de Maizière mit Feuereifer für den gemeinsamen Kauf von fünf Drohnen des Typs „Global Hawk“ für Europa ein – das gleiche Trägersystem vom gleichen Hersteller. Zu erwarten sind, mit großer Wahrscheinlichkeit, die gleichen Probleme bei der Zulassung. Die Deutschen sind mit 480 Mio. Euro beteiligt. Mit ihrem Engagement wollten sie das Drückeberger-Image loswerden, das ihnen anhaftet, seit sie 2011 nicht am Libyen-Einsatz teilgenommen haben. Für dieses diplomatische Ziel wurden offenbar alle Probleme unter den Teppich gekehrt.

Nato-Prestigeprojekt in Gefahr

Schon am Dienstag steht de Maizière deshalb ein nicht minder unangenehmer Termin bevor: Er muss sich vor seinen verärgerten Nato-Kollegen in Brüssel rechtfertigen. Sollte Deutschland aus dem Prestigeprojekt aussteigen, wäre es wohl nicht mehr zu finanzieren.

Im Bundestag aber geht es vor allem um die Frage: Was wusste der Minister? Einer der beiden eingeweihten Staatssekretäre, Stéphane Beemelmans, gehört zu seinen engen Vertrauten. Schwer vorstellbar, dass er ihn nicht warnte. Aber selbst wenn de Maizière nicht informiert war, sieht es für ihn kaum besser aus. Denn dann verfestigt sich der Eindruck, er habe seinen Laden nicht im Griff.

Dabei galt stets als seine Stärke, ein grundsolider, von preußischem Verantwortungsgefühl beseelter Organisator der Verwaltung zu sein. So sieht sich der frühere Innenminister und Leiter des Kanzleramts auch selbst: In einem kürzlich erschienenen Interviewbuch erzählt der 59-Jährige, er habe sein halbes Berufsleben lang Organigramme gemalt. Umso schwerer treffen ihn nun die Vorwürfe. Statt sich zu verteidigen, gestand der Verteidigungsminister der „Bild“-Zeitung: „Ich leide.“ Sollte er wirklich zurücktreten, wird er es vermutlich schon bald tun, ohne Zaudern und Klagen. Wie ein Soldat.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.06.2013)

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