Wilhelminenberg: Gewalt bestätigt

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Wilhelminenberg (c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Es gab Gewaltexzesse, massiven sexuellen Missbrauch und Vertuschung. Das zeigt jener Bericht auf, der Missstände im damaligen Kinderheim untersucht hat.

Wien/Stu. Es ist ein bedrückendes Dokument, das am Mittwoch vorgelegt wurde. Man liest über die Vergewaltigung von Kindern, sadistische Strafen, exzessive Gewalt von Erziehern, die die ihnen anvertrauten Schützlinge bei den geringsten Vergehen halb totschlugen. Auf 344 Seiten zeichnet die Kommission unter der Leitung von Barbara Helige (Präsidentin der Österreichischen Liga für Menschenrechte und Ex-Präsidentin der Richtervereinigung) ein erschütterndes Bild: Im Kinderheim Wilhelminenberg, das 1948 eröffnet und 1977 geschlossen wurde, gab es grobe Missstände. Und die Wiener Stadtverwaltung wusste das – spätestens seit 1960. Bereits damals hätte es nachweisliche massive Beschwerden von Eltern, Erziehern und Jugendamt gegeben, so Helige. Passiert ist trotzdem nichts, die Missstände wurden einfach vertuscht.

Eineinhalb Jahre hat die Expertenkommission die damalige Situation auf dem Wilhelminenberg untersucht. Ehemalige Heimkinder und Erzieher wurden interviewt, Akten durchforstet, Zeugen befragt. „Die Arbeit der Kommission bestätigte massive Gewalt über Jahrzehnte hinweg“, erklärte Helige. Es gehe um schwerste Misshandlungen, sexuellen Missbrauch und erschütternde Zustände. Diese werden nun die Staatsanwaltschaft beschäftigen. Die Kommission konnte knapp 20 Personen namentlich identifizieren, die von ehemaligen Heimbewohnern massiv belastet werden. Diese Liste wird nun an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet. Mehr Täter zu ermitteln sei nicht möglich gewesen, bedauert Helige. Denn die meisten seien in der Zwischenzeit verstorben, einige hätten trotz großer Anstrengung nicht identifiziert werden können.

Viele Akten bereits vernichtet

In diesem Zusammenhang wurde auch der Vorwurf erhoben, dass die Stadt Wien Akten bewusst vernichtet hätte, um die Aufklärung zu behindern. Das weist Helige zurück: Viele Akten aus dieser Zeit seien nach Ablauf der gesetzlichen Aufbewahrungsfrist vernichtet worden. Das sei nicht ungewöhnlich.

Zwei gravierende Vorwürfe konnte die Kommission in ihrer Arbeit nicht bestätigen: einerseits, dass ein Kind in dieser Zeit durch Misshandlungen getötet wurde. Zwar wurde von einem Zeitzeugen der Name des angeblich getöteten Kindes genannt, Recherchen hätten allerdings ergeben, dass nie ein Kind mit diesem Namen im Kinderheim Wilhelminenberg untergebracht war. Weitere Hinweise auf die Tötung eines Kindes habe es nicht gegeben. Der zweite Vorwurf: Es habe auf dem Wilhelminenberg organisierte Kinderprostitution gegeben. Also eine Bande, die mit Mitarbeitern zusammengearbeitet hat, um Kinder zur Prostitution zu zwingen. Dafür fand die Kommission keine Belege. Auch Polizisten, die damals für die Bekämpfung der Kinderprostitution zuständig waren, hätten keine Hinweise auf eine organisierte Bande gehabt, so Helige.

Doch was belegt werden konnte, wiegt auch so schwer genug: Helige bestätigte, dass es „massiv sexuelle Gewalt“ in dem Heim gegeben hat. Mehrere Zeugen berichten, dass Kinder in der Nacht aus dem Schlafsaal geholt und in ein Zimmer gebracht wurden, wo sie von unbekannten Männern vergewaltigt wurden – wobei diese Männer in das Gebäude eingedrungen bzw. von Erzieherinnen eingelassen worden sind. Auch Mitarbeiter bzw. Erzieher hatten laut Zeugenaussagen Kinder immer wieder sexuell missbraucht.

Die Heimleitung hatte in dieser Zeit ein Terrorregime errichtet. Ehemalige Heiminsassen berichteten, dass sie von einer Erzieherin verprügelt wurden, wenn sie in der Nacht auf die Toilette gingen bzw. gehen wollten. Wer ins Bett machte, wurde ebenfalls verprügelt und öffentlich gedemütigt. Kinder mussten zur Strafe auch Erbrochenes essen oder nackt im Winter in der Kälte stehen. Eine Erzieherin dämpfte eine brennende Zigarette auf der Hand eines Kindes aus.

Die Heimkinder wurden völlig von der Umwelt isoliert und anonymisiert – das heißt, alle persönlichen Gegenstände wurden den Kindern abgenommen, zum Teil wurden auch Redeverbote mit anderen Kindern verhängt.

Zahlreiche beschuldigte Ex-Erzieherinnen dementierten gegenüber der Kommission eine massive Gewaltanwendung, gaben allerdings einzelne Ohrfeigen zu – dann nämlich, wenn die Kinder provoziert hätten. Und sie zeigten sich insgesamt über die massiven Vorwürfe verwundert: Derartige Übergriffe hätten nie stattgefunden. Eine Erzieherin, die 1975 neu in das Heim kam, erklärte dagegen der Kommission: Es sei eine totalitäre Institution gewesen. „Auspeitschen (der Kinder, Anm.) mit nassen Handtüchern? Das wurde propagiert.“

Auf einen Blick

Der Endbericht jener Expertenkommission, die die massiven Vorwürfe gegen das frühere Kinderheim Wilhelminenberg rund eineinhalb Jahre lang untersucht hat, zeichnet ein dramatisches Bild. In dem 1977 geschlossenen Heim gab es massiven sexuellen Missbrauch, Sadismus und exzessive Gewalt gegen Kinder. Die Wiener Stadtverwaltung wusste spätestens seit 1960 von den Zuständen. Passiert ist trotz Beschwerden von Eltern, Erziehern und Jugendamt nichts– die Missstände wurden vertuscht.

WEITERE INFORMATIONEN UNTER

www.kommission-wilhelminenberg.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.06.2013)

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