Die Staatsanwaltschaft schließt nicht mehr aus, den wegen einer Abhöraffäre zurückgetretenen Nečas anzuklagen. Der Ex-Premier spricht von „Kriminalisierung“.
Prag. Glich der Politikskandal in Tschechien bisher vor allem einer Schmonzette über einen verliebten Premier, der sich von seiner Geliebten vorführen lässt, wird es nun deutlich ernster. Der wegen der Affäre zurückgetretene Premierminister Petr Nečas ist nicht mehr nur unbeteiligtes Opfer. Die federführende Staatsanwaltschaft will nicht ausschließen, dass Nečas tatsächlich beschuldigt werden könnte.
„Innerparteiliche Interessen“
Aus den Mitschnitten und Abschriften der Telefonate zwischen Nečas und seiner in Untersuchungshaft sitzenden Büroleiterin und Geliebten Jana Nagyova soll hervorgehen, dass Nečas selbst die Bestechung dreier früherer Abgeordneter seiner Partei ODS angeregt habe.
Die drei hatten sich dem Sparkurs des Premiers widersetzt und angedroht, die Regierung zu stürzen. Tage später gaben sie überraschend ihr Mandat zurück. Danach tauchten sie in hohen Funktionen halb staatlicher Unternehmen auf, die Regierung Nečas war gerettet.
Eine solches Vorgehen ist in Tschechien nichts Neues. Nečas selbst wirft der Staatsanwaltschaft vor, die Sache „zu kriminalisieren“. Es habe sich um einen typischen Fall der „Durchsetzung innerparteilicher Interessen“ gehandelt. Das mag einen üblen Geruch haben, gestand der Regierungschef. „Wenn daraus aber eine Straftat gemacht wird, dann müssen wir die ganze politische Klasse einsperren“, sagte er.
Nečas steht mit dieser Ansicht nicht allein. Für zahlreiche Abgeordnete selbst der Opposition ist es nicht vorstellbar, dass das Parlament die Immunität von Nečas aufhebt, damit die Ermittler freie Hand für Ermittlungen gegen den Premier bekommen. Auch in anderen Ländern werden scheidende Politiker mit lukrativen Posten „abgefunden“, heißt es nahezu unisono. So lesen sich auch zahlreiche Zeitungskommentare, in denen sich der Wind zu drehen beginnt.
Danach seien die Ermittler auf dem besten Weg, über das Ziel hinauszuschießen. „Wann ist die politische Durchsetzung von Machtinteressen noch moralisch annehmbar und wann nicht mehr?“, fragt sich beispielsweise die Tageszeitung „Mlada fronta Dnes“. Und weiter: „Diese Frage ist sicher ernst zu nehmen, aber nicht definitiv zu beantworten. Sie sollte Gegenstand einer politischen, ethischen, vielleicht auch philosophischen Debatte sein. Mit Sicherheit aber kann sie nicht Teil einer Anklageschrift sein. Wenn wir das zu Ende denken, dann wäre jeder Politiker auf der Welt korrupt.“
Die Tschechen sehen das allerdings ein bisschen anders, wie aus einer repräsentativen Umfrage für das Fernsehen hervorgeht. Danach betrachten 58 Prozent der Befragten die Abfindung mit hohen Posten als „Korruption“. Nur 18 Prozent halten das für „normal“.
Keine lebenslange Immunität
Womöglich braucht die Staatsanwaltschaft gar keinen Auslieferungsantrag für Nečas an das Abgeordnetenhaus zu schicken. Fakt ist nämlich, dass die Politiker in Tschechien nicht mehr lebenslange Immunität genießen, sondern nur noch bis zum Ende ihrer Laufbahn. Das hat das Parlament erst unlängst beschlossen.
Nečas selbst hat gesagt, dass er bei Neuwahlen nicht mehr kandidieren würde. Dann hätten die Gesetzeshüter Zugriff auf ihn – ob nun nach regulären Wahlen im kommenden Mai oder schon nach einem vorgezogenen Urnengang. Die Festnahme eines früheren Premiers gab es in Tschechien noch nie. Aber im Zusammenhang mit dem Politskandal ist für das Land vieles völlig neu.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.06.2013)