Festnahme nach mysteriösem Vierfachmord von Annecy

Archivbild - Die Polizei riegelte den Tatort in den franzöischen Alpen bei Annecy ab.
Archivbild - Die Polizei riegelte den Tatort in den franzöischen Alpen bei Annecy ab.(c) EPA
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Die Polizei verhaftete den Bruder des ermordeten britisch-irakischen Familienvaters in England. Er hatte eine Vorladung, erschien aber nicht.

Fast zehn Monate nach dem mysteriösen Vierfachmord von Annecy hat es eine erste Festnahme gegeben: Die britische Polizei nahm in Surrey bei London einen 54-jährigen Mann fest, wie die Ermittler am Montag mitteilten. Nach Angaben der französischen Justiz handelt es sich um den Bruder von Saad al-Hilli, der zusammen mit seiner Ehefrau, deren Mutter und einem französischen Radfahrer in Ostfrankreich erschossen worden war. Er soll einer Vorladung nicht gefolgt sein. Der Mann wurde laut britischen Behörden wegen des Verdachts auf Verschwörung zum Mord festgenommen und befragt.

Die französische Staatsanwaltschaft in Annecy bestätigte, dass es sich bei dem Festgenommenen um den Bruder des ermordeten Ehemannes handelt. Man sei der Ansicht, dass es Belastungsmaterial vorliege, um ihn in Gewahrsam zu nehmen. Er solle zum Verhältnis zu seinem Bruder, zum Familienerbe und seinem Terminkalender befragt werden.

Der 54-Jährige hatte eine Vorladung für den 21. Juni, der er nicht gefolgt war. Vor allem deshalb sei es zu der Festnahme am Montag gekommen. Die Ermittlungen konzentrieren sich nach Angaben der Staatsanwaltschaft auf einen familiären Hintergrund der Tat. Grundsätzlich neue Anhaltspunkte seien in der jüngsten Zeit aber nicht aufgetaucht, räumten die Ermittler ein.

Lange keine konkrete Spur

Die Ermittler in Frankreich und Großbritannien tappten in dem mysteriösen Fall monatelang im Dunkeln: Mit Kopfschüssen waren der aus dem Irak stammende Brite Saad al-Hilli, seine Frau Ikbal, deren Mutter und der Radfahrer am 5. September auf einem Waldparkplatz bei Annecy regelrecht hingerichtet worden.

Die beiden Töchter der al-Hillis überlebten wie durch ein Wunder: Die damals siebenjährige Zainab wurde durch Schläge auf den Kopf und einen Schuss schwer verletzt; die vierjährige Zeena überlebte unverletzt - sie wurde erst acht Stunden später in dem Auto der Familie entdeckt, weil sie sich unter der Leiche ihrer Mutter versteckt hatte. Die al-Hillis machten in der Region Urlaub.

Verdacht gegen Bruder besteht schon länger

Trotz Großfahndung und unzähliger Zeugenbefragungen konnten die Ermittler auch nach Monaten noch keinen Tatverdächtigen ausmachen. Sie gingen zwar davon aus, dass die al-Hillis das eigentliche Ziel des Angriffs waren und der Radfahrer, der für eine Nuklearfirma in Frankreich arbeitete, nur "zur falschen Zeit am falschen Ort" war. Doch der anfängliche Verdacht gegen den heute 54-jährigen Bruder Zaid al-Hilli wegen Erbstreitigkeiten mit dem ermordeten Familienvater konnte zunächst nicht erhärtet werden.

Die britische Polizei teilte nun mit, der Bruder sei wegen des Verdachts "der Beteiligung an einem Mordkomplott" festgenommen worden. Der Staatsanwalt von Annecy, Eric Maillaud, bestätigte Durchsuchungen in dessen britischen Wohnsitz sowie auf dem Golfplatz, dessen Geschäftsführer er ist. Es gebe "ausreichend Belastungsmaterial" für ein Verhör in Polizeigewahrsam. Zaid al-Hilli solle unter anderem nach der Familienerbschaft befragt werden. Erst vor wenigen Tagen hatte der Staatsanwalt auf auffällige Telefonate des Bruders mit Teilnehmern in Rumänien verwiesen.

Zaid al-Hilli war bereits kurz nach dem Vierfachmord verhört worden. Er erschien damals sogar freiwillig bei der britischen Polizei, um seine Unschuld zu beteuern. Ende März wurde er erneut befragt. Angehörige der Familie warfen den Ermittlern jedoch vor, sich einseitig auf die Spur der Familie zu konzentrieren. Sicher ist, dass der 2011 in Spanien verstorbene Vater der Brüder al-Hilli auf einem Schweizer Konto fast eine Million Euro liegen hatte.

Laut BBC fahndete die Polizei zuletzt nach einem schwarzen oder Grauen BMW X5, der etwa 20 Minuten vor dem Mord in der Nähe des Tatortes gesehen wurde.

Zahlreiche Spekulationen

Die Ermittler gingen in den vergangenen Monaten aber auch dem Verdacht nach, dass die Morde mit der Arbeit von Saad al-Hilli als Ingenieur im sensiblen Luft- und Raumfahrtsektor zusammenhängen könnten oder mit dessen irakischer Herkunft. In der Presse kamen zahllose Spekulationen auf, die von Geldwäsche für den irakischen Ex-Diktator Saddam Hussein bis zu einer Unterstützung des Iran durch den 50-Jährigen reichten.

Die beiden überlebenden Mädchen konnten der Polizei nicht weiterhelfen: Die Jüngere hatte in ihrem Versteck nichts gesehen, die Ältere, die tagelang im künstlichen Koma lag, konnte sich lediglich an einen "bösen Mann" erinnern. Die Familie al-Hilli hatte im idyllischen Claygate in der Grafschaft Surrey rund 30 Kilometer südlich von London in einem großzügigen Fachwerkhaus gewohnt.

Radfahrer traf erste Kugel

Gleichzeitig waren die Ermittler aber auch dem Verdacht nachgegangen, dass die Morde mit der Arbeit des Radfahrers Sylvain Mollier als Ingenieur im sensiblen Luft- und Raumfahrtsektor zusammenhängen könnten. Die erste Kugel traf laut dem Polizeibericht, der in der französischen Zeitung „Le Parisien“ und dem britischen Blatt "Daily Mail" veröffentlicht wurde, Mollier. Der Mörder könnte von der britisch-irakischen Familie beobachtet worden sein.

(APA/Red.)

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