In Syrien droht ein Bürgerkrieg im Bürgerkrieg

Syrien droht Buergerkrieg Buergerkrieg
Syrien droht Buergerkrieg Buergerkrieg(c) REUTERS (MUZAFFAR SALMAN)
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Opposition zersplittert: Die Widerstandsbewegung gegen das Assad-Regime schwächt sich selbst, weil sich moderatere und radikalere Gruppen untereinander blutig zu bekämpfen beginnen.

Kairo/Damaskus. Der bedrängte syrische Machthaber Bashar al-Assad kann sich die Hände reiben. Seit dem Wochenende schießen Rebellen nicht mehr gegen seine Sicherheitskräfte, sondern vielmehr aufeinander. „Sie haben uns den Krieg erklärt“, empörten sich Sprecher der Freien Syrischen Armee (FSA).

Nachdem al-Qaida-Bewaffnete vergangene Woche den populären FSA-Kommandeur Abu Bassir an einer Straßensperre nahe von Latakia exekutierten, explodierten die schon seit Längerem anhaltenden Spannungen zwischen den moderaten und radikalen Gegnern des Diktators von Damaskus.

Abu Bassir gehörte zur Führungsspitze der Aufständischen, er war Mitglied im 30-köpfigen Nationalen Militärrat. Seine Mörder dagegen kommen aus dem „Islamischen Staat im Irak und Syrien“ (Isis), der neuen Einheitsfront der Gotteskrieger, der auch die von Washington geächtete al-Nusra-Front angehört.

Kämpfen für ein Kalifat

Ihre Bataillone bestehen hauptsächlich aus Ausländern – Irakern und Saudis, Ägyptern, Libyern und Tunesiern –, aber auch Europäern, Bosniern und Tschetschenen. Diese kämpfen für ein islamistisches Kalifat. Mit Demokratie und Freiheitsrechten für die syrische Bevölkerung haben diese Leute nichts am Hut.

Auf mindestens 4000 Kämpfer wird die fremde Streitmacht der Fanatiker inzwischen geschätzt, bestens ausgerüstet von den erzkonservativen Golfstaaten und zu allem entschlossen. Die meisten schweren Selbstmordattentate, bei denen viele hundert Menschen ums Leben gekommen sind, gehen auf ihr Konto. In ihrer Kampfkraft sind sie aufgrund der Versorgung mit modernen Waffen den schlecht gerüsteten heimischen FSA-Rebellen deutlich überlegen.

Doch deren Geduld mit ihren fanatischen Verbündeten schwindet von Tag zu Tag. In der nordsyrischen Provinz Idlib kam es zu Feuergefechten, als Gotteskrieger versuchten, ein Waffendepot der FSA zu plündern. In Dana demonstrierten vor einer Woche Tausende „für unsere Freiheit und dagegen, dass uns künftig ein Emir regiert“. 13 Menschen starben, als der Protest in Gewalt gegen al-Qaida-Stellungen umschlug. Zwei FSA-Kämpfer, die offensichtlich einem Racheakt zum Opfer gefallen waren, wurden mit abgeschnittenem Kopf in einer Mülltonne gefunden. „Geht zurück nach Afghanistan, ihr habt die Revolution ruiniert“, sprühten Menschen in Aleppo an die Hauswände.

„Nicht besser als Assad“

Als im Mai drei schwarz gekleidete Bärtige mit ausländischem Akzent einen 14-jährigen Kaffeeverkäufer wegen angeblicher Gotteslästerung vor den Augen seiner entsetzten Eltern hinrichteten, zogen aufgebrachte Menschen vor die Zentrale der al-Nusra-Brigaden. „Haut ab, raus mit euch! Ihr seid nicht besser als Bashar al-Assad“, skandierte die empörte Menschenmenge.

Von der wachsenden Zerrüttung in den Reihen ihrer Gegner profitiert unterdessen vor allem die syrische Armee. Vor zwei Wochen starteten Assads Soldaten in der Region um Homs eine neue Offensive. Ähnlich wie zuvor die 30.000-Einwohner-Ortschaft Qusair wollen sie nun auch die umkämpfte Schlüsselstadt am Orontes-Fluss komplett zurückerobern, um den Korridor zwischen Damaskus und dem von Alawiten dominierten Küstenstreifen am Mittelmeer weiter zu befestigen.

Freilich, auch Assads Regime kann sich auf radikale Hilfstruppen aus dem Ausland stützen – in seinem Fall sind es kampferprobte schiitische Hisbollah-Krieger aus dem Libanon.

„Wir haben das Meer vor uns und den Feind hinter uns“, klagte ein kommunaler Stammesführer aus Raqqa, der in den vergangenen Tagen vor den sunnitischen Radikalen auf der Rebellenseite in die Türkei geflüchtet war. „Die Freie Syrische Armee aber kann nicht an zwei Fronten gleichzeitig kämpfen“, sagte er. Sogar rund um deren Hauptquartier in der Provinz Idlib brachen am Wochenende Schießereien aus.

Radikale haben eigene Agenda

Oberbefehlshaber General Salim Idriss befand sich zum Zeitpunkt des Angriffs nicht in dem Gebäude. „Ihr Extremismus ist unerträglich geworden“, klagte ein örtlicher Kommandeur der FSA.

Die ausländischen Kämpfer folgten nur ihrer eigenen, fremden Agenda. „Wir fordern die internationale Gemeinschaft auf: Versorgt uns mit Waffen, damit wir diese Krankheit ausmerzen können.“

Auf einen Blick

Im syrischen Bürgerkrieg tun sich neue Fronten auf. Es kämpfen nicht nur die Sicherheitskräfte von Machthaber Assad gegen die Opposition. Inzwischen ist auch innerhalb der Widerstandsbewegung eine Front entstanden: Radikale, im Ausland angeworbene und von erzkonservativen Golfmonarchien finanzierte „Gotteskrieger“ kämpfen gegen die einheimischen Rebellen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.07.2013)

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