Bei seiner Lateinamerika-Reise hat Franziskus gezeigt, dass er bei sozialpolitischen Themen etwas zu sagen hat und mitreden will. Damit eroberte er auch die Herzen der Pilger. Eine Analyse.
Rio de Janeiro. Eine argentinische Zeitung hat schon gescherzt: „Papst Franziskus vollbringt erstes Wunder – Brasilianer mögen einen Argentinier!“ Die Anspielung auf die traditionelle Rivalität zwischen den beiden südamerikanischen Nachbarn birgt eine tiefere Wahrheit: Der gestern beendete katholische Weltjugendtag in Rio de Janeiro war nur dank des neuen Pontifex nicht völlig verkorkst.
Das nasskalte Wetter zerrte an den Nerven der rund zwei Millionen Pilger, und die Stadt Rio unterstrich eindrucksvoll, warum die Brasilianer genug haben von der korrupten Inkompetenz ihrer Regierenden. Diese können mit Milliarden von Steuergeldern Fußballstadien bauen, die hinterher an private Betreiber verscherbelt werden, bringen es aber nicht fertig, den öffentlichen Nahverkehr chaosfrei zu organisieren: Stromausfälle, überfüllte Busse, blockierte Straßen, unzureichende Ausschilderung. Die gute Laune der Pilger wurde strapaziert, auch von zahlreichen Taschendieben. Dann verlegte die Stadt kurzerhand den Abschlussgottesdienst vom „Glaubensfeld“ 50 Kilometer vor der Stadt an die Copacabana, weil das Campus Fidei im Schlamm zu versinken drohte. Nun kam heraus, dass die Fläche nie hätte gerodet werden dürfen: Naturschutzgebiet. Rios Bürgermeister gestand schon ein, dass die Stadt eher eine Note in der Nähe der Null verdient hätte.
„Nur der Papst rettet!“
Die Zeitung „O Globo“ titelte: „Nur der Papst rettet!“ Tatsächlich fuhr Franziskus beseelt lächelnd in einem Kleinwagen durch die Stadt, traf Gefängnisinsassen, Drogenabhängige, Favelabewohner, Künstler und Ex-Fußballer. Er küsste Kinder und setzte sich im altehrwürdigen städtischen Theater wie selbstverständlich den bunten Federschmuck auf, der ihm von einer Abordnung bedrohter Ureinwohner überreicht worden war. Da waren auch die Indios berührt. Die Federkrone verbindet den Menschen mit Gott. Gleichzeitig symbolisiert sie den Widerstand gegen den Raubbau, den Brasiliens Agro-, Minen- und Holzindustrie mithilfe der Regierung an der Natur im Amazonas verübt. „Verändert die Welt“, appellierte er an die jungen Menschen, kurz vor der Abschlussveranstaltung des Weltjugendtages in Rio. An der großen Messe am Sonntag nahmen mehrere Millionen Gläubige teil.
Ja, „dieser Papst ist politisch“, wie Brasiliens großer Befreiungstheologe Leonardo Boff vorausgesagt hat. Er hat keine Scheu, Themen auch konkret anzusprechen, kritisierte etwa die Befriedung von Rios Favelas, die zwar Polizeitruppen erhalten, aber nicht die viel nötigeren Investitionen in Infrastruktur. Er erinnerte an ein Massaker von Rios Polizei an Straßenkindern vor genau 20 Jahren. Er verurteilte die Korruption in Politik und Wirtschaft und lobte die Massenproteste der brasilianischen Jugend als moralischen Beitrag zur Demokratie, die nicht der institutionalisierten Repräsentation bestimmter Interessen überlassen werden dürfe. Kurzum: In einem Land mit extrem ungleicher Verteilung des Reichtums mahnte Franziskus Gerechtigkeit ein.
Restriktive Haltung bei Drogen
Andererseits machte er aus seiner restriktiven Haltung gegenüber einer in Lateinamerika gerade breit diskutierten teilweisen Legalisierung von Drogen keinen Hehl, was bei vielen nicht auf Begeisterung stieß.
Und doch hat Franziskus in den vergangenen sieben Tagen in Brasilien bewiesen, dass er einer ist, der mitreden will, wenn es darum geht, wie eine gerechte Gesellschaft im 21. Jahrhundert aussehen kann.
Auf einen Blick
Der nächste große Weltjugendtag findet 2016 in der südpolnischen Stadt Krakau statt. Es handelt sich dann um 31. Weltjugendtag insgesamt und um das 13. internationale Treffen. Krakau ist die einstige Bischofsstadt des seligen Johannes Paul II. (1978-2005). Schon 1991 fand ein Weltjugendtag in Polen statt, im Marienwallfahrtsort Tschenstochau.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.07.2013)