Wikileaks-Enthüller Manning drohen bis zu 154 Jahre Haft

U.S. Army Private First Class Manning departs the courthouse at Fort Meade, Maryland
U.S. Army Private First Class Manning departs the courthouse at Fort Meade, MarylandReuters
  • Drucken

Ein US-Militärgericht spricht den 25-jährigen Soldaten vom Vorwurf der Feindeshilfe frei, verurteilt ihn aber in 19 weiteren Anklagepunkten.

Bradley Manning wollte weder Al-Qaida noch sonstigen Feinden Amerikas helfen, als er rund 700.000 geheime Regierungsdokumente an die Enthüllungsplattform Wikileaks weitergab. Er hat sich aber sehr wohl in 19 Fällen des Diebstahls von Eigentum der US-Regierung beziehungsweise der Weitergabe geheimer Informationen schuldig gemacht. Zu diesem Urteil kam die Militärstrafrichterin Denise Lind am Dienstag in ihrem Urteil im Armeestützpunkt Fort Meade im Bundesstaat Maryland.
Ab Mittwoch wird Lind Mannings Strafe verkünden. Sie wird gesalzen sein. Addiert man das Höchststrafmaß für 19 Punkte des Urteils, kommt man auf bis zu 154 Jahre Gefängnishaft. Und selbst dann, wenn die Richterin dem Plädoyer der Verteidigung folgend das Strafmaß in einigen Punkten senken sollte, drohten Manning noch immer 85 Jahre Haft.

Dieses Urteil rückt die Gefahr, der sich amerikanische Enthüller von problematischen Regierungsgeheimnissen aussetzen, in ein grelles Licht. Manning, ein heute 25-jähriger Gefreiter der Armee, hatte während seines Einsatzes im Irak rund 700.000 Regierungsdokumente (von diplomatischen Depeschen bis zu Videoaufnahmen von Kampfhandlungen) an die Enthüllungsplattform WikiLeaks weitergegeben.

Diese Dokumente zeichneten ein desaströses Bild von der amerikanischen Kriegsführung im Irak und in Afghanistan, der es an langfristiger Planung und Lernfähigkeit zu mangeln schien. Für weltweite Empörung sorgten die Aufnahmen eines Hubschrauberangriffs auf mutmaßliche islamistische Untergrundkämpfer, bei dem zahlreiche Zivilisten, darunter zwei Kameramänner der Nachrichtenagentur Reuters, im Geschosshagel der Bordwaffe eines Apache-Helikopters starben.

Drakonisches Gesetz aus Erstem Weltkrieg

Ein Hacker, dem sich Manning anvertraut hatte, verriet ihn an die US-Behörden. Manning wurde im Mai 2010 verhaftet, eine Zeitlang in Isolationshaft gesteckt und ziemlich rüde verhört. Die Militärstaatsanwaltschaft hatte ihn auch noch nach dem Tatbestand der Hilfe für den Feind aus dem Espionage Act angeklagt, worauf lebenslängliches Gefängnis stand. Von der Forderung nach der Todesstrafe hatte sie schon vorab Abstand genommen. Der Espionage Act stammt aus dem Jahr 1917 und sollte nach dem Eintritt der USA in den Ersten Weltkrieg den Verrat von Staatsgeheimnissen an den Feind bestrafen. Im Fall Mannings argumentierte die US-Regierung, dass die Veröffentlichung der Dokumente auf WikiLeaks und - in redigierter Form - in internationalen Zeitungen wie der „New York Times", dem „Guardian" und dem „Spiegel" den al-Qaida-Terroristen wertvolle Hinweise auf Taktiken und Strategie der amerikanischen Streitkräfte geliefert habe.

"Streng geheime" Zeitungsartikel

Diese Begründung alarmiert Amerikas Journalisten. Konsequent zu Ende gedacht bedeutet sie schließlich, dass jeder Bericht über eine wie auch immer als „geheim" ausgezeichnete Information über Amerikas Militär Hochverrat bedeutet.
Renommierte investigative Reporter geben im Übrigen zu bedenken, dass Amerikas Diplomaten und Militärs den „Streng geheim"-Stempel auf so gut wie jedes Blatt Papier knallen, das über ihre Schreibtische wandert. David Sanger von der „New York Times" erzählte vor einigen Monaten in Washington bei einer Diskussion, dass er immer wieder überrascht sei, bei Recherchen manchmal seine eigenen Berichte als „vertrauliche" Regierungsdokumente wieder zu finden. „Man kann nicht erwarten, dass Journalisten ein Klassifizierungssystem ernst nehmen, das ihre eigenen Artikel als ,streng geheim‘ bezeichnet", sagte er.

Wie man Kritiker mundtot macht

Die Regierung von Barack Obama jedenfalls macht reichlich Gebrauch vom Espionage Act. Seit Obama im Jänner 2009 das Weiße Haus bezogen hat, sind die Behörden mit diesem Gesetz gegen sechs Whistleblower vorgegangen. Unter allen anderen amerikanischen Präsidenten seit 1917 gab es nur drei Verfahren nach dem Espionage Act. Auch Sympathisanten Obamas wundern sich über dieses drakonische Vorgehen. Schließlich wird der Friedensnobelpreis-Träger Obama nicht müde, den Mut und die Bedeutung kritischer Medien zu loben - zumindest dann, wenn es sich um fremde Länder handelt.
Zwar hat Obama ein Gesetz zum Schutz von Whistleblowern unterzeichnet. In der Praxis ist es aber totes Recht. Denn am 25. Jänner dieses Jahres hat, von der breiten Öffentlichkeit unbemerkt, der Direktor der nationalen Sicherheitsdienste, James Clapper, angeordnet, dass die Bundesbehörden Beamte und Angestellte entlassen können, wenn sie diese als nicht tauglich für vertrauliche Arbeiten einschätzen. Wie die Behörden festlegen, wer vertrauenswürdig ist und wer nicht, bleibt ihnen überlassen. Ein Rechtsmittel dagegen gibt es nicht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.07.2013)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

FILE CHINA HONG KONG EDWARD SNOWDEN
Außenpolitik

Trotz US-Garantien: Russland liefert Snowden nicht aus

Snowden könne nicht an die USA übergeben werden, da es kein bilaterales Auslieferungsabkommen gebe, erklärte die russische Führung.
Wikileaks Obamas Jagd Aufdecker
Außenpolitik

Wikileaks und NSA: Obamas Jagd auf die Aufdecker

Unter keinem US-Präsidenten wurden so viele Enthüller problematischer Staatsgeheimnisse verfolgt wie unter Obama.
Wikileaks Obamas Jagd Aufdecker
Außenpolitik

Wikileaks und NSA: Obamas Jagd auf die Aufdecker

Unter keinem US-Präsidenten wurden so viele Enthüller problematischer Staatsgeheimnisse verfolgt wie unter Obama.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.