Junge Forschung

Vor der Geburt ins Hirn schauen

Der Wiener Patric Kienast erkennt an Bildern aus der Magnetresonanztomografie (MRT), wie Einflüsse auf das Gehirn der Ungeborenen wirken.
Der Wiener Patric Kienast erkennt an Bildern aus der Magnetresonanztomografie (MRT), wie Einflüsse auf das Gehirn der Ungeborenen wirken.Clemens Fabry
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In MRT-Bildern aus dem Mutterleib findet Patric Kienast Hinweise auf frühe Erkrankungen. Der Mediziner vermisst im AKH aber Sonnenlicht am Arbeitsplatz.

Patric Kienast orientiert sich am Nobelpreisträger: „Anton Zeilinger hat gesagt: Man soll auch seinen spinnerten Ideen nachgehen.“ Solche Betreuer und Betreuerinnen brauche es für ein gutes PhD-Projekt, meint Kienast. Er hat mit Gregor ­Kasprian so einen Glücksgriff gemacht. Der Abteilungsleiter der Neuroradiologie im AKH Wien führt ein motiviertes Team, das auch „verrückte Ideen“ unterstützt. Hier haben immer Fragen Platz, die zuvor keiner gestellt hat. Kienast erkundete zum Erreichen seines Dr. med. vor vier Jahren in der Forschungsgruppe der Med-Uni Wien die Hirnasymmetrie bei Föten.

Über 700 MRT-Untersuchungen (Mag­netresonanztomografie) werden jährlich im AKH an Ungeborenen vorgenommen. Dabei erhält man hochaufgelöste Bilder aus dem Inneren des Körpers. „Wenn im Ultraschall in der Schwangerschaft etwas unklar aussieht, wird man zum fötalen MRT überwiesen“, sagt Kienast. So baut sich der Datenschatz der MRT-Bilder von Babys in den Schwangerschaftswochen 18 bis 35 immer weiter auf. Die Bilder dienen – anonymisiert – auch, um andere Probleme zu lösen als die akut für die Familie wichtige Frage zur Gesundheit des eigenen Kindes.

Ein Körper im Spiegelbild

„Bei Föten wachsen die Hirnhälften asymmetrisch“, sagt Kienast. Die linke und rechte Hirnhemisphäre haben bei Ungeborenen stets unterschiedliche Erscheinungsbilder, erst im Kindesalter sind sie spiegelgleich. Kienast schaute sich fötale MRT von Menschen an, die später als Fälle von Situs inversus erkannt wurden. Das ist ein Krankheitsbild, bei dem die Organe im Körper seitenverkehrt angeordnet sind. „Das Herz liegt rechts, die Leber links. Oft entdeckt man das Krankheitsbild erst, wenn bei einer Blinddarm-Entzündung der Schmerz links statt rechts sitzt“, sagt Kienast. Er fand in der MRT-Datenbank, dass diese Fehllage der Organe das Gehirn gar nicht betrifft.

„Der Mechanismus, der die Körperasymmetrie verursacht, ist also ein anderer als der, der die Gehirnasymmetrie lenkt.“ Nach dem Abschluss des Medizinstudiums arbeitete Kienast anlassbezogen zwei Jahre als Epidemiearzt, bevor er 2022 zurück ans AKH kam, um in der Neuroradiologie-Gruppe weiter zu forschen.

Jetzt macht er den PhD in Neuroscience, finanziert vom Wiener Forschungsfonds WWTF. Wieder sind die Bilder der fötalen MRT sein Steckenpferd, wieder sitzt er mehr vor dem Computer als in Klinikräumen.

„Ich hätte lieber ein Fenster“

Auf Ebene 6 im AKH ist die Radiologie abgeschnitten von Tageslicht. Es gibt einen freien Tag pro Monat extra, als Ausgleich für das fehlende Sonnenlicht. „Aber mir wäre ein Fenster lieber“, sagt Kienast, der sich eine Tageslichtlampe angeschafft hat. „In der Früh mit dem Rad ins AKH zu fahren, um mehr Sonne abzubekommen, das schaffe ich nicht als Langschläfer“, lacht er.

»Gibt das Gehirn Hinweise auf Trisomie oder Genmutationen, könnte man eine genetische Untersuchung vorschlagen.«

Die Frage im aktuellen Projekt ist, wie äußere Einflussfaktoren auf den Fötus wirken. Vieles, was ein Ungeborenes im Mutterleib erlebt, stellt Weichen für das restliche Leben. Kienast analysiert Bilder der Gehirne von Föten, deren Mütter Unterschiedliches durchmachten. „Wir haben schon belegt, dass Alkohol in der Schwangerschaft stark auf die Gehirnentwicklung des Babys wirkt. Jetzt bitten wir die Kinder in höherem Alter in die Klinik, um deren kognitive Entwicklung und das Sprachbild zu erforschen.“

Covid und Alkohol verändern das Baby

Auch Covid hatte Einfluss auf die Un­geborenen. Besonders bei frühen Varianten des Coronavirus nahm die Plazenta Schaden, sodass manche Babys mit Wachstumsretardierung geboren wurden. „Auch hier will unser Team aus Kognitionspsychologinnen, Sprachwissenschaftlern und Pädiatern nachforschen, wie sich das im weiteren Leben entwickelt“, sagt Kienast.

Weiters sucht der angehende Neuroradiologe mit künstlicher Intelligenz nach Mustern in MRT-Bildern, die eine genetische Erkrankung erkennen lassen. „Vielleicht gibt das Gehirn Hinweise auf Trisomie 13, 18 oder 21 oder auf Genmutationen, sodass man Anzeichen früh sehen und eine genetische Untersuchung vorschlagen kann“, sagt Kienast.

Zur Person

Patric Kienast (31) forscht an der Neuroradiologie der Med-Uni Wien. Aufenthalte in Zürich und München machten ihm klar: „Wien kann international sehr gut mithalten. Doch woanders ist mehr Geld für Forschung da. In Österreich braucht man Drittmittel.“ Als Ausgleich macht Kienast den Kampfsport Krav Maga und geht zu Poetry-Slams.

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