Simon und die Wachteleier

Simon Wachteleier
Simon Wachteleier(c) Zötl
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Ein Achtjähriger versorgt einen Haubenkoch mit Wachteleiern. Geschichte einer ungewöhnlichen Geschäftsbeziehung.

Er würde gern mitkommen in die Wachau, sagt Christian Domschitz am Telefon, er möchte möglichst viele seiner Lieferanten persönlich kennen. Und Simon zu treffen, den Achtjährigen, der ihm, dem Zwei-Hauben-Koch, wöchentlich Wachteleier liefern lässt, dazu hatte er noch keine Gelegenheit.

Dass Simon aus Trandorf in der Wachau – „gerade noch Wachau“, wirft sein Vater ein – nun als Wachteleier-Lieferant auf der Speisekarte des Restaurants Vestibül im Wiener Burgtheater angeführt wird, ist einer Kaffeepause am Kohlmarkt zu verdanken. Simons Tante, Schneiderin beim Modelabel Akris, hatte erzählt, dass ihr Neffe seit Kurzem leidenschaftlicher Wachtelzüchter sei. Die Chefin von Akris Österreich, Stammgast bei Christian Domschitz im Vestibül, hörte zu, erzählt es Domschitz, und die ungewöhnliche Geschäftsbeziehung zwischen einem Achtjährigen und einem Haubenkoch war quasi schon beschlossene Sache. Seit Juni serviert man nun im Vestibül „Simons Wachteleier im Spinatbett“. 170 dieser Wachteleier waren es bei der Akris-Modeschau im Juli. Das Schälen der kleinen wachsweich gekochten Eier wird gedauert haben.


Wie Wachteln wohnen. Zwölf Wachteln wohnen bei Simon in einem kleinen Stall hinterm Haus, der bunt beschriftet ist mit „Simons Wachtelfarm“. Im Mai hat der Bub sich die ersten vier Wachteln gewünscht, eine französische Kreuzung aus Mast- und Legewachteln, etwas später folgte der Rest der braun meliert gefiederten Stallbelegschaft: acht Japanwachteln.

Im Internet hat man recherchiert, welches Interieur die Vögel bevorzugen, hat ein Häuschen im Häuschen als Rückzugsort gebaut, Sägespäne ausgestreut, ein Sandbad und Tannenzweige aufgestellt. Simon weiß auch sonst schon so ziemlich alles über Wachteln: Dass sie einen warmen, windgeschützten Platz brauchen. Dass es für ihre Verdauung gut ist, wenn sie ein bisschen Sand essen. Dass die Legeleistung abnimmt (so wissenschaftlich formuliert es der achtjährige Experte), wenn es kälter wird – „im Winter geben wir sie wahrscheinlich in den Keller“. Oder wenn mehr als dreimal pro Woche zusätzlich zum Wachtelfutter Salat gefüttert wird. „Und wir haben ja Liefertermine mit dem Vestibül, die Wachteln müssen Eier legen!“, wirft Simons Mutter, die zweite Wachtelexpertin in der Familie, ein und lacht.

Eiersuche wie zu Ostern. Simon liebt seine Wachteln, und nur in seinen Händen bleiben sie ruhig, ihn kennen sie. Bei anderen Familienmitgliedern werden sie nervös. Für das Foto greift sich Simon mit geübtem raschem Griff einen Vogel aus dem Stall, „die Flügel muss man festhalten, damit sie nicht herumflattern“. Fünf Euro haben die Wachteln jeweils gekostet. Auf die Bemerkung, dass das ja wirklich günstig sei, sagt er: „Schon, oder? Dafür, dass sie so lieb sind.“ Zwischen neun und zwölf Eiern pro Tag kann Simon „abnehmen“, wie man in der Fachsprache sagt. „Einmal hatten wir 13 an einem Tag“, wagt die Mutter einen verbalen Einwurf, und wie aus der Pistole geschossen kommt Wachtelkönig Simons Korrektur: „Dreimal!“

Das Eierabnehmen ist ein bisschen wie Ostereier suchen. Die Wachteln verstecken die gesprenkelten Eier in ihrem Häuschchen, vor der Sandkiste, hinter den Tannenzweigen. „Ich such immer alles ganz genau ab, grab ein bisschen.“ Man weiß aber ziemlich genau, wie viele Eier es sein sollten. Nur anfangs, erzählt er, hätten sie noch nicht gelegt – die Umstellung.


Spitze und runde Wachteleier. Jeden Tag zwischen sieben und acht Uhr am Abend kommt Simon die Eier holen. In der Küche werden sie gereinigt, dann im Kühlschrank in jenen kleinen Plastikeierbehältern, die man aus dem Feinkosthandel kennt, gelagert. Simon nimmt eine Handvoll Wachteleier aus dem Kühlschrank und weist auf die Vielfalt hin: Da gibt es – selten – welche, die keinen einzigen braunen Fleck haben, solche mit größeren Kuhflecken oder Eier, die über und über mit winzigen Sprenkeln übersät sind. Simon hat spitze und rundere Wachteleier erlebt, kleinere und größere. Christian Domschitz, der Abnehmer von Simons Wachteleiern – 60 bis 80 Stück werden ihm von Simons Tante jede Woche geliefert – sagt, dass die Wachauer Eier durchwegs größer sind als andere.

In der Küche des Vestibül werden sie, so zumindest die derzeitige Idee, irgendwann passiert wahrscheinlich etwas anderes mit ihnen, wachsweich gekocht. Das dauert bei der geringen Größe gerade einmal eine Minute fünfzehn. Dann werden sie vorsichtig geschält, in Mehl gewendet und in Tempurateig getaucht.

In heißem Öl kurz herausgebacken, springen korallenartige Fadenwulste aus dem Teig, die den Wachteleiern ein extravagantes Aussehen verleihen. Die frittierten Eier werden vorsichtig in vorbereitete Martinigläser gebettet: auf knallgrüne Spinatcreme aus Spinatsaft und Olivenöl, Kefirschaum und mit Pinienkernen, Oliven und Knoblauch marinierte Spinatblattjulienne.


Aromafütterung. Als Christian Domschitz mit Simons Mutter über die Wachteleier redet, fällt ihm ein, dass man auch mit Kräuterfütterung experimentieren könnte, um noch mehr Aroma in den Dotter zu bringen. „Eier nehmen ja Fremdgeschmäcker leicht an, wie man von diversen Fischmehlgeschichten weiß.“ Oregano schlägt Domschitz vor und Thymian – praktischerweise wachsen beide fast neben dem Wachtelstall in Trandorf. Und sein Lieblingskraut, Liebstöckel vulgo Maggikraut, schlägt er auch vor. „Davon hat die Schwiegermutter genug, das probieren wir!“

Für einen Koch ist es ein großer und seltener Vorteil, so unmittelbaren Einfluss auf die Produkte für seine Küche zu haben. Mit einem großen Geflügelhändler wäre das nicht so einfach möglich. Um den Dotter der Wachteleier sattgelb zu färben, überlegt Domschitz, ob man Simons Wachteln nicht auch mit zerstoßenen getrockneten Maiskörnern füttern solle. Zerstoßen deshalb, „weil sonst die Körner durch die Wachteln durchwandern“. Auch der Koch hat offenbar schon zu Wachteln recherchiert.

Falls Christian Domschitz die Qualität der Wachteleier noch mehr steigern möchte: Sein achtjähriger Lieferant spielt auch Knopfharmonika. Welche Eier die Wachteln wohl legen, wenn sie von Simon mit Harmonikaspiel bezirzt werden?

Wachtelfarm

Zwölf Wachteln leben bei Simon in einem kleinen Stall hinterm Haus in Trandorf in der Wachau – vier französische Kreuzungen aus Mast- und Legewachteln und acht braun meliert gefiederte Japanwachteln.

60 bis 80 Eier bekommt Haubenkoch Christian Domschitz für sein Restaurant Vestibül im Wiener Burgtheater jede Woche aus „Simons Wachtelfarm“.

Fünf Euro haben die Wachteln jeweils gekostet. Zwischen neun und zwölf Eier legen sie pro Tag.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.08.2013)

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