Serienkritik

Netflix-Doku „Depp vs. Heard“ schlägt (ebenso) Kapital aus dem Skandal

Die Mini-Serie bemüht sich das herausragende Interesse der Öffentlichkeit darzustellen.
Die Mini-Serie bemüht sich das herausragende Interesse der Öffentlichkeit darzustellen.Courtesy of Netflix © 2023
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Netflix sortiert die Aufnahmen des Gerichts-Showdowns von Johnny Depp und Amber Heard neu. Eine umfassende Aufarbeitung des ziemlich absurden Showdowns bleibt aus.

Zurück im Sitzungssaal 5J, im 4. Stock des Bezirksgerichts in Fairfax im US-Bundestaat Virginia. Amber Heard und Johnny Depp haben dort vergangenen Juni jeweils unter Eid versucht, ihre Seite – oder viel mehr ihre Version – der Geschichte glaubhaft zu machen, mehr (Depp) oder weniger (Heard) erfolgreich. Auf Entscheid der Richterin wurde der Showdown schon da live auf unser aller Smartphones gestreamt (Depps Team war dafür, Heards dagegen). Netflix hat 200 Stunden Videomaterial aufgewärmt, in abgespeckter Form. Für „Depp vs. Heard“ wurden drei Folgen zu je etwa 45 Minuten aus dem Material gebastelt und mit diversen Einspielern unterfüttert.

Neues erfahren jene, die schon vergangenes Jahr sämtliche Videoschnipseln verschlungen hatten, durch die Melange aus Gerichtsaufnahmen, Beweismaterial, alten Interviews und Filmszenen der Protagonisten sowie jeder Menge TikTok und YouTube-Snippets wohl kaum. Es ist immer noch derselbe traurige Fraß des letzten Jahres, der nun mit einer zarten Glasur externer, ältlicher Kommentare überzogen serviert wird. Ein Bonus der Mini-Serie ist bestenfalls die neue Reihenfolge des Gesagten. Wurden Depp und Heard 2022 im Abstand von zwei Wochen vor Gericht befragt, so stellt die Doku die jeweiligen Aussagen (zu den gleichen Geschehnissen) direkt gegenüber.

Detailreiche Schilderungen von Heard treffen so auf einsilbige Aussagen des damit konfrontierten Depp („It didn‘t happen“, „all false“) und lassen das ohnehin umstrittene Urteil abermals zweifelhaft daherkommen. Eine große Rolle wird – zurecht – dem Social-Media-Zirkus beigemessen. Man begibt sich in die Tiefe des Hashtags #JusticeForJohnnyDepp (mittlerweile 20 Milliarden Klicks), findet zahlreiche Leute, die Depp Rückenstärkung zusagen. Heard wird im selben Atemzug diffamiert, ihre Aussagen werden diskreditiert. Ja, sogar der Tod wird ihr gewünscht. Ein ähnliches Bild zeichnete sich direkt vor Ort, vor dem Bezirksgericht in Fairfax. Die Aufnahmen zeigen, wie der Schauspieler bejubelt wird, die Schauspielerin ausgebuht und beschimpft. Neu ist zwar auch das nicht, schockierend ist es aber gewiss auch ein zweites Mal, vor allem in komprimierter Version.

Profit und mehr Profit

Netflix versucht sich mithilfe der Regisseurin Emma Cooper in der Rolle des unparteiischen Erzählers. Eine Rolle, die dem profitorientiert Streaming-Dienst gar nicht so gut steht. Ein Jahr nach der Urteilsverkündung hat man eine umfassendere Analyse und Aufarbeitung erwartet, Platz wäre allemal gewesen, gemangelt hat es nur am Bestreben. Der unverhohlene Hass, den (wieder einmal) die Frau ertragen musste, wird zwar tüchtig dargestellt, hier genauer hinzuschauen, hat Netflix allerdings verabsäumt.  

Schlussendlich hat man den Eindruck, der Streamingriese wollte nicht auf sein Stück vom Kuchen verzichten (schon Content Creator konnten aus dem Gerichtsmaterial hohen Profit schlagen). Oder gar Johnny-Depp-Fans verschrecken. Man mag dabei vergessen: Es geht hier immer noch um Vorwürfe häuslicher Gewalt und sexuellen Missbrauchs. Der Kardinalfehler wurde wohl schon mit dem Hereinbitten der Öffentlichkeit ins Fairfax-County-Gericht begangen. Netflix ist so zwar „late to the party“, aber immerhin noch mit dabei.

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