Porträt

Ohne Schwellenländer geht’s nicht

Die Politikwissenschaftlerin Elina Brutschin debattierte heuer beim Forum Alpbach über mögliche Wege zu Netto-Nullemissionen.
Die Politikwissenschaftlerin Elina Brutschin debattierte heuer beim Forum Alpbach über mögliche Wege zu Netto-Nullemissionen.Elisabeth Mandl
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Weniger Fleisch oder kleinere Wohnung? Was ist gerechter? Elina Brutschin untersucht, wo welche Szenarien auf dem Weg zur Klimaneutralität gut oder schlecht bewertet werden.

Nicht nur Mann, Kind und Wanderschuhe, sondern auch ihr Fahrrad hat Elina Brutschin für ihre Premiere beim Europäischen Forum Alpbach eingepackt. Üblicherweise tritt sie entweder beim Spinning oder von Wien Neubau bis zum Arbeitsplatz am Internationale Institut für Angewandte Systemanalyse (IIASA) in Laxenburg, Niederösterreich, in die Pedale.

In Alpbach gestaltete sie das Seminar „Gerechter Wandel oder der Energie-Wettlauf zu Netto-Nullemissionen“ mit. Debattiert wurde hier zum Beispiel anhand des laufenden Projekts „Just Trans 4 ALL“, das von IIASA-Kollegin Caroline Zimm geleitet wird, welche Klimaszenarien als gerecht eingestuft werden – und welche nicht. Erste Befragungen zeigen: Den Fleischkonsum überall auf der Welt zu reduzieren wird eher als ungerecht empfunden, als den Wohnraum zu verkleinern. Wie das mit dem politischen System – und in der Fleischfrage wohl auch mit der kulinarischen Identität eines Landes – zusammenhängt, schaut sich die Politologin genauer an.

Von Kasachstan an den Bodensee

Definitiv fleischlastig ist die Küche in Kasachstan, wo Brutschin geboren ist. Als Zwölfjährige wanderte sie mit ihrer Familie nach Tschechien aus, mit 16 kam sie nach Stuttgart, an den Bodensee zog sie, um Politik- und Verwaltungswissenschaften zu studieren. „Der Studiengang an der Uni in Konstanz war besonders, da er einen starken Fokus auf Statistik und quantitative Sozialwis­senschaft legte – damals einzigartig in Deutschland“, sagt sie. „Besonders der Energiebereich interessiert mich, weil es interdisziplinär und naturwissenschaftlich ist und sozialwissenschaftliche Aspekte beinhaltet.“

Jene Gruppe, die sich am IIASA damit befasst, befragt weltweit im EU-Projekt „Genie“ in Zusammenarbeit mit der Aarhus University in Dänemark, wie verschiedene negative Emissionstechnologien, die Treibhausgase aus der Atmosphäre entnehmen sollen, eingeschätzt werden. Untersucht werden zehn verschiedene Methoden. Beispielsweise die Abscheidung und Speicherung von Kohlendioxid aus der Luft (Daccs), Bioenergie mit Kohlendioxidabscheidung und -einlagerung (Beccs) oder Wiederaufforstung. Wo ist die Akzeptanz für welches Vorgehen höher und warum? Wo besteht das größte Risiko, dass zu wenig passiert?

„Die Verbreitung von neuen Technologien ist ein komplexer Prozess. Es braucht technologische Kapazität, institutionelle Stabilität und öffentliche Akzeptanz“, weiß Brutschin. In Südamerika liege viel Potenzial. Absorbiert doch der Regenwald riesige Mengen an Kohlendioxid aus der Atmosphäre. Allerdings gelten die meisten lateinamerikanischen Nationen als politisch instabil, und Klimapolitik hat dort keine hohe Priorität. Wenn die OECD-Länder, also Staaten mit hohem Pro-Kopf-Einkommen, auf Daccs setzen, könnten die Schwellenländer länger bei den oft erst vor zehn Jahren erbauten Kohlekraftwerken bleiben – das hielt man lange Zeit für eine Chance für mehr Klimagerechtigkeit. Brutschin und ihre Kollegen zeigen nun jedoch: Es geht nur gemeinsam. „Ohne die Beteiligung von Schwellenländern, wird das 1,5-Grad-Ziel unerreichbar bleiben“, betont die Forscherin.

Der Zuspruch für Daccs ist in den OECD-Ländern vergleichsweise gering. Gerade über neue Technologien wüssten die hier Befragten wenig, meint Brutschin und ergänzt, dass ihr deshalb die Wissensvermittlung etwa in Alpbach ein Anliegen sei. „Mir ist es wichtig, neueste Erkenntnisse zu teilen und so oft wie möglich zu hören, woher die Skepsis kommt.“ Ihre Rolle sieht sie als ausgleichend: „Ich versuche, die Brücke zwischen technischen Modellen und den gesellschaftlichen Aspekten zu schlagen.“ Denn Energiepolitik sei von politischen Interessen getrieben. „Klimapolitik hängt vom System und davon ab, welche Gruppe die Politikerinnen und Politiker an die Macht bringt.“ In Demokratien hat die politische Führung entsprechend andere Anreize als in jenen Staaten, in denen das Militär oder die Industrie das Sagen hat. Die globale Klimapolitik bleibt also recht heterogen.

»Ich versuche, die Brücke zwischen technischen Modellen und den gesellschaftlichen Aspekten zu schlagen.«

Zur Person

Elina Brutschin (37) pendelt per Fahrrad oder auf Schienen seit 2019 von Wien ans IIASA in Laxenburg. Davor forschte sie am Institut für Höhere Studien und als Assistenzprofessorin an der Webster Vienna Private University zur Energiesicherheit. Denn schon ihre Doktorarbeit schrieb die Politologin über Gaspolitik in der Europäischen Union.

Alle Beiträge unter: diepresse.com/jungeforschung

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