Sweeney Todd: Bitte weniger Blut, mehr Musik!

„Sweeney Todd“ in der Volksoper: Hauptdarsteller Morten Frank Larsen und Regisseur Matthias Davids über verschiedene Arten des Gruselns.

Sweeney Todd“ von Stephen Sondheim ist zwar ein Musical, doch fehlt der meist euphemistische Grundton des Genres. Besonders einfallsreich ist die Musik. Tim Burton verfilmte den Hit 2007 und richtete ein wahres Blutbad an, in dem der makabere Witz des Stückes fast unterging. In der Volksoper soll das Publikum nun wieder lachen können, verspricht Regisseur Matthias Davids. Morten Frank Larsen, der sich früher für Rockmusik begeisterte, spielt die Hauptrolle. Er war schon in vielen Rollen am Haus zu erleben, etwa als Germont in Verdis „La Traviata“ oder als Danilo in Lehárs „Lustiger Witwe“.

Herr Larsen, die Volksoper spielt „Sweeney Todd“ von Stephen Sondheim, einen Broadway-Musicalhit aus dem Jahr 1979: Sweeney, der teuflische Barbier aus der Fleet Street, tötet seine Kunden, eine Bäckerin macht aus den Leichen Pasteten und verkauft sie, die Pasteten finden reißenden Absatz. Tim Burton hat das Musical 2007 verfilmt — mit Johnny Depp in der Hauptrolle. Fürchten Sie sich vor dem Vergleich mit dem Hollywood-Star?

Morten Frank Larsen: Nein, warum? Daran kann man nicht zu viele Gedanken verschwenden. Meine Aufgabe ist eine andere. Den Film kann man anschauen, sich inspirieren lassen – oder nicht. Ich habe hier an der Volksoper unzählige Male den Danilo gesungen. Es ist wunderbar, einmal etwas anderes zu machen.

Wissen Sie, was ich nicht verstehe? Immer spielen die feschesten Männer die grindigsten Kerle.

Morten Frank Larsen: Aber die Bandbreite ist doch gerade das Tolle für einen Sänger – und die negativen Helden sind oft die interessanteren.

Ist der Sweeney eine schwierige Partie?

Morten Frank Larsen: Die Partie ist für einen Opernsänger, der auch in zeitgenössischen Aufführungen aufgetreten ist, nicht so schwierig. Wir haben Mikroports, dadurch können wir uns darauf konzentrieren, Farbe in die Musik zu bringen. Wir müssen nicht unbedingt Dezibel produzieren. Die Schwierigkeit liegt eher darin, dass man in die Handlung eine Linie hineinkriegt, die nachvollziehbar ist. Der Richter hat das Leben der Familie von Sweeney Todd zerstört. Es ist verständlich, dass Sweeney Rachegefühle hat, dass er den Richter umbringen möchte. Dann allerdings kippt die Sache – und das ist weniger verständlich: Sweeney wird zum Gefangenen seiner Rachsucht, diese wird sein einziger Lebenszweck.

Tim Burtons Film ist besonders brutal. Da plätschert das Blut nur so herum. Was ist der Hintergrund dieser Horrorgeschichte?

Morten Frank Larsen: Was wir hier sehen, ist nicht nur eine Horror-Geschichte, es geht auch um eine Maschinerie, um die Industrialisierung, im Bühnenbild von Mathias Fischer-Dieskau für die Volksopernaufführung wird man das auch deutlich sehen.

Matthias Davids: Die Bühnenfassung unterscheidet sich dramaturgisch sehr stark vom Film. Im Film sind Nummern gestrichen, es ist auch einiges verändert worden. Es hat mich gewundert, dass Sondheim das alles durchgewinkt hat. Ich möchte jetzt einmal klar sagen, was die Besucher in der Volksoper erwartet: Erstens, im Film waren wunderbare Schauspieler, aber wir haben die besseren Sänger. Zweitens, dem Film fehlt der Humor, der das Gegengewicht bildet zu dem dramatischen Mordgeschehen und der Brutalität. Wir werden dem Publikum signalisieren: Ihr dürft lachen!

Warum lieben die Menschen die Schauergeschichten so sehr?

Matthias Davids: Sehen Sie sich das Riesenangebot an Krimis an. Die Menschen lieben die Grenzüberschreitung, denken Sie an Jekyll & Hyde. Man möchte im Theater Dinge durchleben, die man im normalen Dasein nicht hat. Wenn man dabei gebeutelt wird, toll! 

Wie real ist diese ganze Geschichte?

Matthias Davids: Ich würde sagen, sie ist ziemlich real. Es gab und gibt dieses Elend in Verbindung mit der Willkür der Obrigkeit. Der Barbier ist in die Verbannung geschickt worden, damit der Richter, der die Macht hat, Sweeneys Frau und seine Tochter in seine Gewalt bringen kann. Deswegen wurde aus Benjamin Barker, wie er früher hieß, Sweeney Todd: Obwohl er nichts verbrochen hat, verbrachte er 15 Jahre in Gefangenschaft, das konnte einfach so geschehen. Das Thema ist also auch Moral, wer nützt seine Position aus und wie? Das sind Themen, die uns auch heute begegnen, aber sie sind in dieser farcehaften Form geschrieben, damit man ertragen kann, was hier passiert.

„Sweeney Todd“ ist ursprünglich ein Groschenroman von 1846 gewesen, der dann mehrmals verändert wurde.

Matthias Davids: Stimmt, das war ein Fortsetzungsroman für Hausfrauen, der durch verschiedene Phasen gegangen ist und dann in den Siebzigerjahren von Christopher C. Bond noch einmal verändert worden ist, was mit der Tradition der britischen Sozialdramen zu tun hat. Seit damals hat Sweeney Todd ein Motiv für seine Morde, die aber natürlich trotzdem verurteilenswert sind. Sondheim, der heute 83 Jahre alt ist, ist übrigens ein großer Horrorfilm-Fan, er schätzt sehr Bernard Herrman, der die Musik für Hitchcock-Klassiker wie „Psycho“ oder „Vertigo“ komponiert hat.

„Sweeney Todd“ – ist das noch ein klassisches Musical? Sondheim liebt doch auch schräge Töne.

Matthias Davids: Was ist ein klassisches Musical? „Kiss me, Kate“, „My Fair Lady“? Das Musical ist ein Schauspiel mit Musik, da gibt es unglaublich viele verschiedene Stile. Heute greift man ja gern in alle Richtungen, um verschiedene Farben zu haben, bei „Sweeney Todd“ ist das nicht der Fall. Trotzdem ist die Musik sehr vielfältig, es gibt darin Elemente aus der Klassik, von Schostakowitsch oder Strawinsky.

Morten Frank Larsen: „Sweeney Todd“ ist eine schwarze Operette.

Wie sind Sie zur Musik gekommen, Herr Larsen?

Morten Frank Larsen: Mein Vater war Musiklehrer und spielte Jazz. Ich hatte mit klassischer Musik als Teenager nicht viel zu tun. Ich habe am Gymnasium Bassgitarre gespielt, mich für Rockmusik interessiert und auch gesungen. In einer Schulvorstellung der „Zauberflöte“ durfte ich der Papageno sein. Ein engagierter Musiklehrer ist auf mich aufmerksam geworden. So hat es angefangen. Irgendwann entschied ich mich dann endgültig für die Oper, was ich bis jetzt nicht bereut habe. Aber es ist sicher ein Vorteil für einen Opernsänger, der in Musicals spielt, wenn er mit der Rockmusik und deren rhythmischer Sprache vertraut ist, die doch ganz anders ist als bei Oper oder Operette.

Sie sind Däne, leben Sie gern in Wien? Oder haben Sie manchmal Heimweh?

Morten Frank Larsen: Wien ist mein Lebensmittelpunkt, es gibt immer wieder schöne neue Aufgaben, etwa diese Saison an der Volksoper „Feuersnot“ von Richard Strauss. Ich habe drei Kinder. Heimweh habe ich nicht. Wir fahren immer im Sommer nach Dänemark, zwei Monate ans Meer.

Vor 20 oder 30 Jahren gab es noch nicht so viele Popmusik-Kenner und -Enthusiasten wie heute. 1971 wurde bei „Jesus Christ Superstar“ heftig debattiert: Kann man das, darf man das machen, Jesus Christus als Musicalstar? Das ist heute kein Thema mehr.

Matthias Davids: Die Kenntnis des Publikums ist sicher größer und breiter bei Popmusik und Musicals. „Jesus Christ Superstar“ ist jetzt mehr so etwas, bei dem die Theaterleiter heute sagen: „Wenn ich das ansetze, bin ich sicher ausverkauft.“ Heute kann man auch selten gespielte Stücke zeigen, wenn sie gute Stoffe haben. Die Leute lassen sich gern drauf ein. Die heutigen Rentner sind ja die Rocker von damals, die zucken nicht zusammen bei einer E-Gitarre.

Gibt es noch andere Sondheim-Stücke, die Sie mögen?

Matthias Davids: O ja! „Sunday in the Park with George“ nach einem Gemälde von Georges Seurat, der den Neo-Impressionismus mitbegründete. Das Musical erzählt die Geschichte der Personen auf diesem pointillistischen Bild. Ein weiteres Sondheim-Musical ist „Into the Eoods“, das ist bis zur Pause ein Konglomerat aus Grimms Märchen – und dann erfährt man, was passiert, wie Schneewittchen sich nach zehn Jahren mit ihrem Prinzen langweilt. Ein wunderbares, lustiges Stück.

TIPP

„Sweeney Todd“: Steven Sondheims bekanntestes Musical ist ab 14. September in der Volksoper zu sehen, Robert Meyer spielt den bösen Richter.

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