Deutschland geht es zu gut für einen politischen Wechsel

Merkel ist beliebt, weil sie als Wohlfühlkanzlerin ein erfolgreiches Land regiert. Erfolg macht träge. Aber die SPD-Alternative ist eine gefährliche Rolle rückwärts.

Ganz Deutschland hielt an diesem Wochenende den Atem an: Wird er eine Krawatte tragen, ja oder nein? Wird er frech werden oder humoristisch ausfällig? Wird er das TV-Duell von Kanzlerin und Kandidaten in puren Klamauk verwandeln? Nein, es geht hier nicht um den Herausforderer Peer Steinbrück von der SPD, der in der einzigen direkten Konfrontation mit Angela Merkel seine große Chance witterte. Es geht um Stefan Raab, den Moderator, der aus der Unterhaltung kam. Willkommen in der fröhlichen Welt des Polit-Entertainments, wo es nicht mehr um Weltsicht und Zukunftspläne geht. Auch nicht um Schweißperlen auf der Stirn der Politiker, die an solchen Abenden den Wahlsieg vereiteln könnten. Wo sich vielmehr alles um den Hofnarren dreht, der den Mächtigen womöglich die Show stiehlt.

Doch wir wollen nicht klagen, die Deutschen tun es ja auch nicht. Sie haben insgeheim verstanden: Was ist das doch für ein glückliches Land, das sich solche Trivialitäten leisten kann. Wo eine Konfrontation vor vielen Millionen Bürgern keine bittere Abrechnung über Massenarbeitslosigkeit, Sozialabbau und Schuldenfalle sein muss. Für Franzosen, Spanier und Italiener ist Deutschland das Gelobte Land geworden, das sie längst nicht mehr fürchten, nur noch beneiden – und das jene, die es dorthin geschafft haben, oft bald schon lieben.

Die Deutschen, an ihre Rolle als Böse von gestern und ruppige Rechthaber von heute gewohnt, merken es mit Staunen – und beginnen, noch recht bescheiden, sich selbst zu lieben: ihre Exportkraft, ihren sozialen Frieden, ihre Lehrlinge und Ingenieure, ihre Mülltrennung, Radwege und Windräder. Sie wollen in Ruhe die Ernte einfahren: für Schröders schmerzliche Arbeitsmarktreformen, die Rente mit 67 und hunderte Brüsseler Nächte zur Rettung des Euro.

Zu dieser Befindlichkeit passt ihre visionslose Kanzlerin, die ihnen einen konfliktarmen Wohlfühlwahlkampf beschert. Merkel, die unnahbare Sphinx, genießt plötzlich die Nähe zu den Bürgern, plaudert gelöst über ihr Privatleben. Die Welt liebt Deutschland, und die Deutschen lieben Merkel. Schwere Zeiten für die Opposition, vor allem für Einheizer Steinbrück. Dabei weiß jeder Betriebswirt: Zu viel Erfolg ist für jedes Unternehmen Gift. Man wird träge, hat keine Ideen, übersieht den Wandel, der ringsum passiert.

Gerade in guten Zeiten ist es hoch an der Zeit, die Zukunft zu planen. Von den zu hohen Staatsschulden ist noch kein Cent zurückgezahlt. Die Geburtenrate ist viel zu niedrig, bei den Betreuungsangeboten für Kinder berufstätiger Mütter sind Frankreich und Skandinavien viel weiter. Migranten, die demografische Lücken verkleinern könnten, bleiben sozial zurück. Ein Vorsprung im Wettbewerb ist in Zeiten der Globalisierung immer nur Episode.

Mit seiner Attitüde wäre Steinbrück genau der Richtige, um die deutsche Politik aus ihrer gefährlichen Lethargie zu reißen: Er spricht Klartext, polemisiert gegen das Nichtstun, höhnt über hohle Worte. Vor seiner Kandidatur hatte er auch ein gutes Gegenmodell – weil er als Sozialdemokrat auf der simplen Weisheit bestand, dass Wohlstand erst erarbeitet werden muss, bevor er verteilt werden kann. Doch was die Parteilinken dem angeschlagenen Kandidaten als Programm aufgezwungen haben, ist eine Rolle rückwärts, die das neue deutsche Wirtschaftswunder untergräbt.

Vorwärts, Genossen, wir müssen zurück: die Steuern wieder erhöhen, dem befreiten Arbeitsmarkt neue Fesseln anlegen, die Pensionsreform teilweise rückgängig machen. Das alles im Namen einer „sozialen Gerechtigkeit“, die mit falschen Daten und Schlüssen als das drängendste Thema der Zeit beschworen wird. Im schlimmsten Fall treibt eine solche Politik wieder Millionen Menschen in jene Situation zurück, die sie zu Recht als maßlos ungerecht empfunden haben: keine Arbeit zu haben.

Es ist also gar nicht so unklug, wenn die Deutschen der glänzenden Rhetorik von Peer Steinbrück misstrauen. Es sei ihnen auch vergönnt, dass sie sich eine Zeit lang einfach nur wohlfühlen und über Stefan Raab lachen. Wenn sie darüber nur eines nicht vergessen: ihre Zukunft, die auch die unsere ist – und jene Europas.

E-Mails an: karl.gaulhofer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.09.2013)

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