Direkte Demokratie ist zumutbar

Wahlen in Österreich
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Das Demokratiepaket, das verpflichtende Volksbefragungen bringen sollte, wurde knapp vor der Wahl von der Koalition schubladisiert. Schade eigentlich.

Wien. Auch wenn das große Interesse an den aktuellen TV-Duellen auf anderes hindeutet: Insgesamt sinkt das Interesse an der Politik in einem geradezu dramatischen Ausmaß. Waren im Jahr 2000 noch 56 Prozent der Bevölkerung an innenpolitischen Vorgängen interessiert, sind es heute nur noch 26 Prozent, so das Ergebnis einer Imas-Umfrage. Ein steigender Nichtwähleranteil ist die eine Folge, die Bereitschaft, auch obskure Positionen politischer Heilsbringer zu unterstützen, die andere.

Das steigende Desinteresse hat eine Reihe von Gründen – einer davon ist wohl auch die österreichische Realverfassung. Die Parlamentarier sind nicht die treibende Kraft, die Entscheidungen werden in Wirklichkeit anderswo getroffen: Parteisekretariate, Sozialpartner und starke Lobbying-Gruppen wie etwa die Banken sind die eigentlichen Entscheidungsträger, die Abgeordneten dürfen dann das Ausverhandelte formal umsetzen. Wenn aber schon Abgeordnete nichts mehr mitzureden haben – welche Rolle spielt dann noch der Bürger im politischen System?

Das führt schnell zu einem Ohnmachtsgefühl des Einzelnen, mit unangenehmen Folgen: Einerseits kommt es zum jetzt zu beobachtenden steigenden Desinteresse an Politik. Und andererseits – im Fall von wirtschaftlichen Krisen – zu einer Radikalisierung, in welche Richtung auch immer.

Zwei Auswege wären möglich: die Umstellung auf ein Mehrheitswahlrecht und ein Ausbau der direkten Demokratie. Wie das Mehrheitswahlrecht funktioniert, zeigt beispielsweise Großbritannien vor: Es gibt kleine Wahlkreise, in denen nur ein Mandat vergeben wird, das die jeweils stärkste Partei bekommt. Das hätte gleich zwei Vorteile: Erstens würden die einzelnen Abgeordneten gestärkt und wären ihren eigenen Wählern und weniger der jeweiligen Parteizentrale (die ja derzeit über ihre weitere Karriere entscheidet) verpflichtet. Damit wäre auch ein Abstimmungsverhalten, wie man es jüngst in Großbritannien beim Thema „Angriff auf Syrien“ erlebt hat, möglich. Und zweitens würde das zu klaren Mehrheitsverhältnissen führen. Jahrzehntelange gegenseitige Blockaden in einer Koalition, wie sie Österreich beispielsweise im Schulwesen kennt, würde es dann nicht mehr geben. Die Partei, die die Mehrheit erhält, könnte dann die Politik, für die sie gewählt wurde, auch tatsächlich umsetzen.

Realisierungschancen hat das Mehrheitswahlrecht, das kleinere Parteien benachteiligt, unter den derzeitigen Voraussetzungen allerdings keine. Denn dazu brauchte es eine Zweidrittelmehrheit, während SPÖ und ÖVP diesmal froh sein können, gemeinsam die absolute Mehrheit zu schaffen. Und von den kleineren Parteien hat niemand ein Interesse an einem derartigen Wahlrecht, gefährdet es doch den Einzug in das Parlament und verhindert jede Aussicht auf eine Regierungsbeteiligung.

Sinnlose Volksbegehren

Der zweite Ausweg aus einer Krise des parlamentarischen Systems wäre eine Stärkung der direkten Demokratie. Elemente dafür gibt es bereits, die haben sich aber nicht als sehr zielführend erwiesen. Volksbegehren haben in den vergangenen Jahren zunehmend an Bedeutung verloren. Da klar wurde, dass man selbst mit einem starken Volksbegehren wenig bewegen kann, nimmt die Unterstützung für die einzelnen Initiativen deutlich ab.

Eine Stärkung der direkten Demokratie steht zumindest offiziell auf der Agenda aller Parteien. Ob man den damit einhergehenden Machtverlust wirklich auf sich nehmen will, ist eine andere Frage. Die Verschiebung des Demokratiepakets auf die Zeit nach der Wahl lässt zumindest Zweifel offen. Eigentlich haben sich SPÖ, ÖVP und Grüne ja schon darauf geeinigt, dass Volksbegehren verpflichtend zu einer Volksbefragung führen, wenn sie von zehn Prozent (einfache Gesetze) bzw. fünfzehn Prozent (Verfassungsgesetze) der Wähler unterstützt werden (siehe Bericht unten).

Die Diskussion darüber wird wohl nach der Wahl zu führen sein. Das gewichtigste Argument gegen diesen Ausbau der direkten Demokratie lautet: Dies wäre ein Instrument in der Hand von populistischen Parteien oder von Zeitungsherausgebern, die mit einer Kampagne Beschlüsse durchsetzen könnten, die man so eigentlich nicht will – von der Steuergesetzgebung über die Ausländerpolitik bis hin zur Todesstrafe.

Die Gefahr entsprechender Kampagnen besteht – allerdings sollten die Politiker ihre Wähler auch nicht für dumm halten. In der Schweiz führt direkte Demokratie nicht direkt in ein Chaos. Die Möglichkeit, sich für vernünftige Positionen einzusetzen und damit bei den Wählern durchzukommen, besteht ja immer noch.

Gerade der Vorschlag, den die Koalition und die Grünen in Begutachtung geschickt haben, ermöglicht es ja, unerwünschte Effekte auszuschalten: Da keine verpflichtende Volksabstimmung, sondern nur eine Befragung vorgesehen ist, kann sich eine Parlamentsmehrheit theoretisch auch über das Ergebnis hinwegsetzen – vorausgesetzt, sie hat gute Argumente. Statt der Gefahren von mehr direkter Demokratie sollte man eher die Chancen sehen: eine stärkere Einbindung der Bürger in die Politik – was wohl das beste Mittel gegen das steigende Desinteresse ist.

Was tun? Bisher sind in der Serie erschienen: Bildung (31.8.), Steuern (31.8.), Justiz (4.9.), Pensionen (5. 9.)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.09.2013)

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