Jerry Lewis: Der absolute Filmemacher

Jerry Lewis
Jerry Lewis(c) Filmmuseum
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"King of Comedy" oder kindlicher Grimassenschneider? Filmmuseum und Viennale würdigen Jerry Lewis mit einer großen Schau. Der US-Komiker ist so legendär wie umstritten.

Kaum ein Filmkomiker kann sich mit Jerry Lewis messen – und kaum einer war so umstritten. Heute ist Lewis längst eine Legende, gemäß dem Titel von Martin Scorseses Film „The King of Comedy“ (1982): In der Satire über die Abgründe der US-Popkultur war Lewis brillant besetzt: als durch die Umstände seines Erfolgs zum grantigen Einsamen gewordener Starkomiker mit eigener TV-Show, der von einem obsessiven Fan (Robert De Niro) belagert, dann entführt wird. Die aktuelle Retrospektive im Filmmuseum erinnert daran, wie viel von dieser Bissigkeit schon immer in Lewis steckte, auch wenn viele anders assoziieren: nämlich nicht Jerry Lewis als King, sondern als Kind.


Als „Heulboje“ synchronisiert. Für Generationen ist Lewis eine Kindheitserinnerung, als Klassiker des TV-Ferienprogramms (neben einer anderen US-Ikone: Elvis Presley). Das kindliche Auftreten, das die hysterische Seite seines Slapstick-Genies prägte, war auch ein Eckpfeiler seiner Komiker-Persona: Im Film „You're Never Too Young“ (1955) genügt Lewis ein (von einem Zwölfjährigen) geklauter Matrosenanzug, um als Minderjähriger an der Seite von Partner Dean Martin durchzugehen. (Pikantes Detail zur Lewis-Martin-Leinwandbeziehung: Der Film ist eines von mehreren Remakes – hier von Billy Wilders „The Major and the Minor“–, bei denen der Lewis-Part im Original eine Frauenrolle war.)

Die deutsche Synchronisation tat ein Übriges, um den kindischen Eindruck zu verstärken. Die deutsche Stimme lieh ihm Horst Gentzen, der auch Frosch Kermit in der Muppet-Show sprach: liebevoll, aber in anderen Registern als Lewis selbst quiekend, passend zu deutschen Filmtiteln wie „Die Heulboje“. Lewis legte durchaus Wert aufs Kindliche – und sein kindliches Publikum, er veröffentlichte meist zwei Filme im Jahr, einen für die Sommer- und einen für die Weihnachtsferien. In einer wunderbaren Stelle von vielen in der TV-Serie „Bonjour Mr. Lewis“, für die der Komiker 1982 seinen führenden Exegeten Robert Benayoun in sein riesiges Privatarchiv ließ, sagt Lewis bei einem TV-Auftritt zu einem Kind: „Ich mache dasselbe wie du, nur werde ich dafür viel besser bezahlt!“

So war Lewis in den USA enorm populär, doch gerade die gehobene Kritik verachtete ihn als Grimassenschneider. In Frankreich jedoch begeisterten sich insbesondere die Intellektuellen für ihn: Als Musterbeispiel für den transatlantischen Unterschied in der Rezeption von US-Popkultur ist das französische Faible für Jerry Lewis längst selbst zum populären Treppenwitz geworden. Als innovativer Regisseur – auch technisch: Lewis führte den Videomonitor zur sofortigen Aufnahmeüberprüfung ein – passt Lewis aber tatsächlich eher zum zeitgleichen Umbruch von Europas Autorenkino.

Jean-Pierre Coursodon und Bertrand Tavernier schreiben, dass Lewis völlig aus der US-Comedy-Tradition fällt: Er habe letztlich weniger mit Charlie Chaplin und Buster Keaton zu tun als mit radikalen Regisseuren wie Robert Bresson und Jean-Luc Godard. Godard war schon als Filmkritiker Lewis-Fan, als Filmemacher griff er dann zahlreiche Ideen aus Lewis-Filmen auf.


Komödienphilosophie. Lewis lieferte 1971 sein Credo in Buchform nach: „Wie ich Filme mache“ hieß es auf Deutsch, im Originaltitel hatte er sich als „The Total Film-Maker“ ausgerufen, übersetzt als „der absolute Filmemacher“. Es liest sich nicht theoretisch, sondern natürlich heiter, nicht zuletzt in kenntnisreichen wie humorvollen Einschätzungen von Kollegen: „Fellini kann wunderbare anderthalb Stunden Unterhaltung bieten, aber man kann sehr wenig dabei lernen. Die einzige Möglichkeit, wirklich von Fellini zu lernen, wäre, mit ihm zu schlafen, ihn denken zu hören und dann sein Produkt zu sehen.“ Aber wie ernst es Lewis mit der Komik war, zeigt sich an philosophischen Pointen: „Wie macht man eine Komödie für die Leinwand? Fragen Sie lieber, wie man den Ozean mit einer Kaffeetasse ausschöpfen kann!“

Den Weg zu solchen Fragen beschritt der Sohn eines Vaudeville-Darstellers, als er 1942 in die Unterhaltungskünstler-Fußstapfen des Vaters trat: Erst begeisterte er besonders mit Pantomimen zu eingespielter Musik, die auch in einigen seiner Filme wieder auftauchen. 1946 kam es zum schicksalshaften (Zufalls-)Treffen mit seinem kongenialen Partner: Dean Martins übernatürliche Coolness war der ideale Gegensatz zur Hampelmann-Hektik von Lewis. Weil sie meist frei improvisierten, hatten ihre Duo-Auftritte besondere Frische: Bühnenerfolge führten über eine „Martin and Lewis Show“ im Radio und dann im TV zum landesweiten Ruhm, der ab 1949 auch für das Kino ausgeschlachtet wurde. Die Kassen klingelten, aber privat kriselte es, weil Lewis ganz im Gegensatz zum Leinwand-Image dominierte und nach mehr Selbstverwirklichung strebte.

1956 trennte sich das Duo: Martin ging zum Rat Pack um Frank Sinatra, Lewis fand einen Mentor im Regisseur Frank Tashlin, der mit „Artists and Models“ (1955) und „Hollywood or Bust“ (1956) zwei der besten Lewis-Martin-Satiren gedreht hatte. In weiteren Tashlin-Triumphen spielt Lewis solo, etwa als „The Disorderly Orderly“ (1964): Ein überempfindlicher Krankenpflegerleidet an den Symptomen der Patienten. Dazwischen lieferte er sein Regiedebüt: Das Meisterwerk „The Bellboy“ (1960) bot seinen fantastischen Wahnwitz vor dokumentarischer Kulisse. (Fast) wortlos absolviert Lewis als geplagter Page eine Gagserie, die vor Ort im Fontainebleau-Hotel in Miami entworfen wurde. Zu seiner Kinophilosophie gehört, dass die Handlung nicht konventionellen Regeln folgt, sondern den Vorgaben seiner Fantasie.


Surreale Spiegelwelten. Lewis' Umgang mit filmischen Mitteln – Raum, Ton, Dekor – zeigt die Virtuosität eines Perfektionisten, gleichzeitig sprengen surreale Exzesse alle Grenzen. In „The Errand Boy“ (1961) inszeniert sich Lewis als eine Art Alice im Hollywood-Wunderland, die Spiegelwelten explodieren bald vollends: Zweimal Lewis in der Jekyll-und-Hyde-Komödie „The Nutty Professor“ (1963), als „The Family Jewels“ (1965) versiebenfacht er sich, die Therapiekomödie „Three on a Couch“ (1966, fünf Lewis-Rollen) führt zu erwachseneren Neurosen, die Filme werden immer rissiger und bissiger: „The Big Mouth“ (1967) sieht man am besten parallel zur Paranoia-Prosa von Thomas Pynchon, die Sketchparade „Hardly Working“ (1980) als Dokument der hereinbrechenden Reagan-Ära. Lustig sind sie trotzdem.

„Weder in einem ernsten noch lustigen Film muss man eine soziale Aussage machen und sicher sind 100 Minuten Lachen schon eine Botschaft für sich“, schreibt Lewis. „Wenn die Zuschauer aber darüber hinaus etwas mitnehmen können, das sich – ohne dass es ihnen richtig bewusst wird – in ihr Gedächtnis gräbt, dann hat die Komödie einen großen Dienst geleistet, einen größeren vielleicht als die schwergewichtigen Aussagen des Dramas.“

Die Schau im Filmmuseum läuft noch bis 24. 11. www.filmmuseum.at.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.10.2013)

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