Raidl:" Eher verlogene Konsensmentalität"

LEITL / FOGLAR
LEITL / FOGLARAPA/HELMUT FOHRINGER
  • Drucken

Die Sozialpartnerschaft spiegelt für Notenbankpräsident Claus Raidl die Konfliktscheu der Österreicher wider. Der Vorteil sei die permanente Gesprächsbasis, Nachteil seien Scheinlösungen zulasten Dritter.

Sie haben schon vor Jahren ein Zurückdrängen der Sozialpartner auf Kollektivvertragsfragen verlangt. Derzeit erlebt die Sozialpartnerschaft aber auf politischer Ebene eine Art Comeback. Was ist der Grund?

Claus Raidl: Es hat sich gezeigt, wenn eine Regierung nicht viele Lösungen zusammenbringt, erstarken die Sozialpartner, weil sie sich dann als eine Art außerparlamentarische Zweitregierung etablieren. Wir haben in Österreich eine eher verlogene Konsensmentalität. Da ist man dann froh, wenn man Probleme, die in der Regierung nicht bewältigt werden können, auf die Sozialpartner abschieben kann. Außerdem sind die Sozialpartner durch die inzwischen erfolgte Verankerung in der Verfassung auch in ihrem Selbstwertgefühl gestärkt worden.

Ist die Sozialpartnerschaft eine typisch österreichische Einrichtung, weil auch Bürger Konflikten eher aus dem Weg gehen?

Dem stimme ich zu. Wir haben in Österreich keine Konflikt- und Diskussionskultur. Man sieht bei uns den Kompromiss vor dem Konflikt. Statt Probleme auszudiskutieren, wird versucht, irgendeine verwaschene Lösung zu finden. Dabei handelt es sich oft um Scheinlösungen, die dann nicht halten.

Spiegelt das auch die Mentalität der Österreicher wider?

Ja. Wir sind vielleicht auch historisch geprägt sehr konfliktscheu. Das passt ganz in das System der Sozialpartner. Die Österreicher meiden die Auseinandersetzung und harte offene Diskussionen. Es wäre günstiger, Probleme gegensätzlich und konfrontativ zu diskutieren.

Allerdings wird auf internationaler Ebene dieses österreichische Konsensmodell schon als Vorbild gesehen.

Es wird insofern als Vorbild gesehen, als eine Gesprächsebene auf fachlicher Basis besteht. Nicht als vorbildlich gilt allerdings, dass bei der Sozialpartnerschaft die demokratische Legitimation fraglich ist und es eigentlich keine Kontrolle gibt.

Der soziale Frieden, der dadurch über Jahrzehnte gesichert wurde, gilt allerdings auch als Standortvorteil für Österreich.

Ja, auch das stimmt. Streiks werden bei uns in Minuten oder Sekunden gemessen. Aber es ist natürlich schon auch die Frage, zu welchem Preis das passiert. Denn oft waren die Lösungen zulasten Dritter, nämlich zulasten der Steuerzahler oder der Konsumenten, wie zum Beispiel bei den Ladenöffnungszeiten.

Was ist der Hauptnachteil der Sozialpartnerschaft?

Sie wird zu Fragen herangezogen und sie drängt sich auf, die nicht ihr ureigenstes Geschäft betreffen. Außerdem sind wichtige Gruppen, wie etwa die jungen Ein-Mann-Unternehmen, nicht mehr entsprechend darin vertreten.

Welchen Vorteil hat jetzt die Sozialpartnerschaft?

Die historischen Verdienste sind unbestritten, beginnend mit den Preis-Lohn-Abkommen nach dem Zweiten Weltkrieg. Ich halte sie nach wie vor für sehr gut, vor allem was die Lohnverhandlungen und das Arbeitsrecht betrifft. Der permanent bestehende Vorteil liegt darin, dass es eine Gesprächsbasis zwischen den Sozialpartnergruppen gibt. Das ist immer gut. Ein weiterer Vorteil ist außerdem, dass mit dem Beirat für Sozial- und Wirtschaftsfragen jederzeit ein Gremium von Fachleuten vorhanden ist.

Stößt die Sozialpartnerschaft in ihrem eigenen Bereich, wenn man jetzt zum Beispiel die Auseinandersetzung um die Metallerlöhne sieht, durch den international verschärften Wettbewerb an die Grenzen?

Nein, ich glaube, in dem Bereich funktioniert das ganz gut, auch wenn man womöglich vor einem Streik steht. Das funktioniert vor allem gut, wenn man sich unsere Lohnentwicklung anschaut oder die Wettbewerbsfähigkeit. Da haben wir vielleicht in den vergangenen zwei Jahren ein bisschen verloren, aber wir haben insgesamt die Position gut gehalten. Das ist schon auch den Sozialpartnern zuzuschreiben, was die Lohnseite betrifft.

Endet mit einer Großen Koalition auch das Comeback der Sozialpartner?

Nein, das hat die Erfahrung gezeigt – ausgenommen die Zeit der schwarz-blauen Koalition von 2000 bis 2006. Bruno Kreisky hat während der SPÖ-Alleinregierung die Sozialpartner sehr geschickt integriert, um so die in Opposition befindliche ÖVP bei wichtigen Entscheidungen einzubinden. Ähnlich war das in der rot-blauen Koalition von 1983 bis 1986. Ich glaube nicht, dass die Sozialpartner nur in einer Großen Koalition gut leben können.

Claus Raidl

Seit 2008 ist Raidl, 1942 in Kapfenberg geboren, Präsident des Generalrats der Nationalbank. Von 1991 bis 2010 war er Vorstandschef von Böhler-Uddeholm. Er war Berater von Kanzler Schüssel. APA

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.10.2013)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Kommentare

Was Österreich ausmacht

Misstrauische, rechte Eigenbrötler, die Haider für einen Charismatiker, Kreisky für raffiniert und Gusenbauer für einen Intellektuellen hielten. Klischees oder doch Selbstbilder?
Karwendelgebirge
Österreich

Auf der Suche nach Österreich

Was macht Österreich aus? Die Landschaft, die Menschen, die Traditionen? Seit fünf Jahren gehen wir in der Serie 360 Grad Österreich dieser Frage nach und haben festgestellt, dass wir doch besser sind, als wir glauben.
Dirndl und Hüttengaudi
Österreich

Wie die Welt Österreich wahrnimmt

Für die Tschechen sind Österreicher schlampige Deutsche, für die Deutschen haben wir einen putzigen Hüttengaudi-Akzent, und für Chinesen ist Österreich so etwas wie eine Menge Mozarts am Hallstättersee.
Argentinien - Fußballfan mit Flagge
Österreich

Am Ende der Welt liegt Österreich vorn

In Argentinien ist Österreich überaus beliebt, sogar noch etwas mehr als Deutschland. Schließlich ist es keine fußballerische Gefahr.
WAHLWERBUNG DER SPOE IN KLAGENFURT: 'GARTENZWERGE'
Economist

Schöner leben im Jammertal

Österreich ist reich und schön, die Straßen sind sauber und sicher, die Bürger gebildet und produktiv. Selbst fade Politiker sind gut für den Standort. Ein Freibrief für Stillstand ist das aber nicht.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.