Spionageakte Angela Merkel

Spionageakte Angela Merkel
Spionageakte Angela Merkel(c) REUTERS (KEVIN LAMARQUE)
  • Drucken

Die deutsche Kanzlerin soll bereits seit 2002 systematisch vom US-Geheimdienst NSA überwacht worden sein, berichten deutsche und US-Medien. Und Barack Obama soll davon gewusst haben.

Washington/Berlin. Der Skandal um die Bespitzelung der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel durch den US-Geheimdienst NSA weitet sich aus. Denn laut neuesten Medienberichten soll das Abhören von Merkels Mobiltelefon keine vorübergehende Maßnahme oder gar nur ein Ausrutscher übereifriger Agenten gewesen sein. Merkel stehe seit 2002 auf der NSA-Liste von Aufklärungszielen, meldeten am Sonntag der „Spiegel“ und die „New York Times“. Damit hätte die Überwachung der CDU-Politikerin bereits drei Jahre vor ihrem Amtsantritt als Bundeskanzlerin begonnen.

Laut der „Bild am Sonntag“ soll US-Präsident Barack Obama zudem seit 2010 gewusst haben, dass Merkel ausspioniert wird. Washington und die NSA bestreiten das.

Dem „Spiegel“ liegt nach eigenen Angaben ein Auszug aus einer geheimen NSA-Datei vor, in dem Merkels Nummer unter „GE Chancellor Merkel“ eingetragen ist. Ob alle Gespräche der Bundeskanzlerin mitgeschnitten wurden oder nur Verbindungsdaten ausgewertet wurden, sei aus den NSA-Unterlagen nicht ersichtlich, schreibt der „Spiegel“. Aus dem Datenauszug gehe aber hervor, dass der Überwachungsauftrag auch noch wenige Wochen vor dem Besuch Obamas in Berlin im Juni 2013 gültig war.

Abhörstation in US-Botschaft?

Als Observierungsziel wurde Merkel demnach von dem für Europa zuständigen Referat S2C32 „European States Branch“ benannt. Für die Bespitzelung selbst war eine Einheit mit dem Namen „Special Collection Service“ (SCS) zuständig. Diese Einheit soll nach „Spiegel“-Informationen in der US-Botschaft in Berlin eine Abhöreinrichtung unterhalten. Von dort aus werde auch mit Hochleistungsantennen die Kommunikation im Regierungsviertel der deutschen Hauptstadt überwacht.

Nicht nur die Systematik, mit der Merkel ausspioniert wurde, wird weiteres Porzellan in den Beziehungen zwischen Deutschland und den USA zerschlagen. Was die deutsche Seite zusätzlich vor den Kopf stoßen dürfte, ist die Beharrlichkeit, mit der bisher von der US-Regierung jede Mitwisserschaft Obamas dementiert wurde, obwohl der Präsident vermutlich doch informiert war.

NSA-Chef Keith Alexander habe Obama 2010 persönlich über die Operation gegen Merkel informiert, schreibt die „Bild am Sonntag“ unter Berufung auf US-Geheimdienstkreise. „Obama hat die Aktion damals nicht gestoppt, sondern weiterlaufen lassen“, zitiert die Zeitung hochrangige NSA-Mitarbeiter.

Alexander wies das am Sonntag zurück. Er habe mit Obama "2010 nicht über eine angebliche Geheimdienstoperation Kanzlerin Merkel betreffend gesprochen und hat das auch sonst nie getan. Anderslautende Presseinformationen sind nicht richtig."

Innenminister will Schritte gegen NSA

Laut „New York Times“ versicherte Obamas Sicherheitsberaterin Susan Rice aber einem deutschen Kollegen, dass der Präsident nichts gewusst habe. „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ und der „Spiegel“ zitieren zudem – ohne Quellenangabe – aus einem Telefonat Obamas mit Merkel von vergangenem Mittwoch. Der US-Präsident habe zwar indirekt eingeräumt, dass die Kanzlerin überwacht worden sei. Zugleich versicherte er aber, dass er eine Abhöraktion sofort gestoppt hätte, hätte er davon Kenntnis besessen. Die deutsche Bundesregierung wollte dazu am Wochenende zunächst keine Erklärung abgeben. „Wir berichten nicht über vertrauliche Gespräche“, sagte ein Regierungssprecher der deutschen Nachrichtenagentur DPA über das Telefonat Merkels mit Obama.

Der deutsche Innenminister Hans-Peter Friedrich von der CSU drohte am Sonntag der NSA sogar mit juristischen Schritten. Der scheidende Außenminister Guido Westerwelle kritisierte erneut, dass „das Abhören von Freunden höchst schädlich“ sei. „Ich hoffe sehr, dass diese Einsicht auch in Washington geteilt wird.“ Westerwelle machte zudem deutlich, dass in Deutschland auch für Botschaften und Diplomaten das deutsche Recht gelte.

Bereits am Donnerstag war wegen der Abhöraffäre der US-Botschafter ins deutsche Außenamt in Berlin einbestellt worden.

IN KÜRZE

US-Präsident Barack Obama soll laut der deutschen Zeitung „Bild am Sonntag“, die sich auf Geheimdienstler beruft, seit 2010 gewusst haben, dass der US-Geheimdienst NSA auch das Handy der deutschen Kanzlerin Angela Merkel abhört: Er sei darüber informiert worden. Obama hat Merkel aber erst vor Kurzem, nachdem die Affäre aufgeflogen ist, am Telefon versichert, nichts von der Aktion gegen sie gewusst zu haben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.10.2013)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Edward Snowden
Außenpolitik

Anwalt: Snowden sagt nichts zu US-Lauschangriff auf Merkel

Snowden soll jedoch Interesse haben, Deutschland bei der Aufklärung der NSA-Affäre zu helfen. Er würde bei einer Reise seinen Asylstatus verlieren.
Außenpolitik

NSA-Affäre: Angeblich auch Papst bespitzelt

Der Skandal um angebliche Spionageaktivitäten der NSA soll jetzt auch den Vatikan betreffen: Papst Franziskus sei ebenfalls abgehört worden.
Außenpolitik

US-Senat untersucht Merkel-Überwachung

Die Vorsitzende des Geheimdienstausschusses der Kongresskammer, Dianne Feinstein, kündigte am Montag eine "totale Überprüfung" an.
USRegierung soll Merkelueberwachung Sommer
Außenpolitik

EU will Klarheit: Was wusste Obama über Abhör-Ziele?

Das Weiße Haus will erst heuer erfahren haben, dass die NSA internationale Spitzenpolitiker belauscht. Eine interne Untersuchung soll offene Fragen klären.
Kommentare

Spionieren unter Freunden

Barack Obama ist ja sonst nicht um Worte verlegen – zumindest nicht, wenn er vor zahllosen Zuschauern laut wiedergibt, was er zuvor mit seinen Redenschreibern bis ins kleinste Detail geplant hat.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.