Fukushima führt zur Selbstanklage Japans

(c) REUTERS (POOL)
  • Drucken

Japans Regierung hat dem Kraftwerksbetreiber Tepco Reinigungskosten in Rechnung gestellt, die das Unternehmen nicht zahlen will. Der Staat erwägt nun rechtliche Schritte. Letztendlich würden die gegen ihn selbst gehen.

Tokio. Die Kläger von Fukushima sahen bisher so aus wie Norio Kanno. Der Bürgermeister des Dorfs Iitate, dessen 6000 Einwohner nach Tsunami, Erdbeben und Reaktorkatastrophe im März 2011 evakuiert werden mussten, kämpft für Gerechtigkeit. Er fordert Entschädigungen für seine Bürger, eine Beschleunigung der Dekontaminierungsarbeiten und Strafen für das Tepco-Management. Kanno und 800 weitere der insgesamt 300.000 evakuierten oder anderweitig betroffenen Menschen fordern monatliche Zahlungen von 50.000 Yen (rund 370 Euro), bis die verstrahlten Gebiete keine zu hohe Belastung mehr aufweisen. „Aber es wird sehr schwer, diesen Fall zu gewinnen“, gesteht Kanno, der Tepco für übermächtig hält.

Rechnung wurde nicht bezahlt

Nun könnten die Kläger Aufwind erhalten. Denn womöglich gesellt sich bald ein prominenter und mächtiger Akteur in ihre Reihe – der Staat. Kürzlich ließen Offizielle der japanischen Regierung verlautbaren, dass sie mit Tepco im Zusammenhang mit den Dekontaminierungsarbeiten mehr als unzufrieden sind. Das Verhalten des Unternehmens sei „völlig inakzeptabel“, sagte Satoshi Watanabe von der Reinigungsabteilung des Umweltministeriums. Rechtliche Schritte könnten folgen.

Der Streitwert beläuft sich auf gut 33 Milliarden Yen (rund 240 Millionen Euro). Für Dekontaminierungsarbeiten in der Gegend des havarierten Atomkraftwerks in Fukushima hat die Regierung 40,4 Milliarden Yen ausgelegt, die sie von Tepco nun einfordert. Bisher hat das Unternehmen allerdings nur 6,7 Milliarden der geforderten Summe bezahlt. Der Rest, findet das Tepco-Management, dürfe nicht auf der Rechnung stehen, da es sich um Posten wie Öffentlichkeitsarbeit oder Forschung und Entwicklung handle. Die direkten Kosten für die Reinigung von Straßen und Erde sind hingegen beglichen worden.

„Tepco sagte, es werde darüber nachdenken, ob es die Rechnung der Regierung begleichen will. Wir verstehen dies so, dass Tepco noch nicht endgültig beschlossen hat, uns die Zahlung zu verweigern“, sagte Watanabe. Allerdings betonte er, dass die rund 470 Milliarden Yen, die bisher insgesamt ausgegeben wurden, längst nicht genug seien, um die radioaktiv belasteten Gebiete rund um das Kraftwerk zu reinigen. Angesetzt sind 1,3 Billionen Yen, rund dreimal so viel. Nun geht es um die Frage, wie es weitergehen soll, wenn sich Tepco schon jetzt nicht mehr beteiligt.

Eine Klage gegen den größten Energieversorger Japans wäre öffentlichkeitswirksam, hätte aber eine ironische Seite. Denn im Sommer letzten Jahres hat die Regierung 50,1 Prozent der Anteile an Tepco gekauft, um das Unternehmen vor der Pleite zu bewahren. Japan würde sich somit quasi selbst verklagen. Bei allen möglichen Rettungsversuchen, die der öffentliche Sektor bisher unternommen hat, musste er auch unabhängig davon tief in die Tasche greifen. Zuletzt stellte Premierminister Shinzo Abe 47 Milliarden Yen bereit, um die täglich neuen Lecks in den Auffangtanks zu stopfen, aus denen radioaktives Wasser in den Ozean fließt. Tepco steuerte bloß drei Milliarden Yen bei.

Dass die Betreiberfirma verhältnismäßig wenig zahlt, liegt auch daran, dass ihr das Geld ausgeht. Nach Beginn der Reaktorkatastrophe wurden alle Atomkraftwerke im Land abgeschaltet. Tepco muss seither verstärkt Rohstoffe aus dem Ausland importieren, was das Unternehmen stark belastet. Hinzu kommen die Kosten der Katastrophe in Fukushima. So ist es nicht unwahrscheinlich, dass das Unternehmen die Rechnung des Umweltministeriums verweigert, nicht, weil es nicht zahlen will, sondern weil es nicht zahlen kann.

Aufspaltung von Tepco

Das Wirtschaftsministerium erwägt daher schon weitere Schritte. Als eine Möglichkeit gilt die Aufspaltung von Tepco, um das Katastrophenmanagement von Profitinteressen unabhängig zu machen. Auch über eine völlige Kostenentlastung von Tepco wird nachgedacht. Eine weitere Alternative sieht vor, dass die aktuelle Rechnung der Regierung bestehen bleibt, für alles Künftige aber der Staat aufkommen wird.

Was die Klage angeht, könnte die Ironie weitergehen. Sollte es dem Staat gelingen, sich Geld von Tepco zu erstreiten, könnte ein Stein ins Rollen gebracht werden und Kläger wie Norio Kanno auch für ihren Fall bessere Chancen erhalten. Tepco müsste dann noch mehr zahlen. Das würde auch dessen Mehrheitseigentümer – den Staat – zusätzlich belasten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.11.2013)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Weltjournal

Fukushima "für immer unbewohnbar"

Rückkehr der Flüchtlinge in ihre Heimat "nicht möglich".
Weltjournal

Fukushima "für immer unbewohnbar"

Rückkehr der Flüchtlinge in ihre Heimat "nicht möglich".

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.