Lichtblick: Erste Patienten verlassen das „Sanatorium“ Euro

GERMANY GOVERNMENT
GERMANY GOVERNMENTEPA
  • Drucken

Überblick. Die akute Krise ist vorbei. Spanien und Irland verlassen den Rettungsschirm. Aber Griechenland bleibt problematisch, Frankreich, Italien und Slowenien ringen mit Reformen. Wirtschaftliche Rahmenbedingungen verbessern sich nur langsam.

Das Zeugnis ist gut. Die Reformgeschwindigkeit in Griechenland, Irland, Portugal, Spanien und Italien sei höher als in anderen Volkswirtschaften, heißt es im jüngsten Wirtschaftsbericht der OECD. Der Grund für die Anstrengungen während der letzten Jahre sei der Druck der Finanzmärkte gewesen, ziehen die Experten Bilanz. Waren also die oft gescholtenen Märkte der eigentliche Antrieb dafür, dass Europa langsam aus der Krise kommt?

Tatsächlich gab es ein Zusammenspiel von Märkten und Krisenentwicklung. Spielten die Kurse der hoch verschuldeten Problemländer ab 2008 verrückt und waren Auslöser der umstrittenen Rettungsaktionen, so haben sie sich bis zum Herbst 2013 wieder so weit beruhigt, dass von keiner akuten Krise mehr zu reden ist. Dazu beigetragen dürften aber nicht nur die oft mühsam umgesetzten Reformbemühungen in den Krisenländern haben, auch nicht allein das Beharren Deutschlands auf einen strengen Sparkurs, sondern vor allem die riskante Ankündigung von EZB-Chef Mario Draghi. Er hat im Herbst 2012 versprochen, dass die Zentralbank bis auf Weiteres für den Ankauf maroder Staatsanleihen zur Verfügung stehe – ohne jedes Limit. Seit damals sind die Zinsen für Staatsanleihen gesunken. Länder wie Spanien werden sich wieder selbst auf den Finanzmärkten mit frischem Geld versorgen können. Für zehnjährige spanische Anleihen sank zuletzt der Kurs auf knapp über vier Prozent. Vor zwei Jahren wäre das undenkbar gewesen.

Zur Beruhigung der Krise hat außerdem beigetragen, dass Länder wie Spanien oder Portugal langsam wieder in eine Wachstumsphase zurückfinden. Insgesamt erwartet die OECD für die Eurozone in diesem Jahr ein leichtes BIP-Plus von 0,4 Prozent.

„Es zeigt, unsere Politik der Stabilisierung und Verteidigung der europäischen Währung ist erfolgreich und richtig“, freute sich Deutschlands Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) vergangene Woche. Er spielte damit auf jene Maßnahmen an, die alle Euro-Regierungen seit 2011 in schwierigen Verhandlungen zuwege gebracht haben: ein Frühwarnsystem für ökonomische Verwerfungen in den einzelnen Mitgliedstaaten, strengere Haushaltsregeln und erste Teile einer Bankenunion.

Noch keine Staatsschuldenwende

Auch wenn Länder wie Griechenland mittlerweile ihr strukturelles Defizit bereinigen konnten, die Wende bei den Staatsschulden ist noch nicht vollzogen. Die Neuverschuldung in der gesamten Eurozone betrug im vergangenen Jahr nicht weniger als 350 Milliarden Euro. Sie hat sich lediglich reduziert. 2009 betrug sie noch 566 Millionen. Die Staatsschulden steigen also weiter.

Nicolas Heinen von der Deutschen Bank sieht den Sparkurs „weiter gefährdet“. Obwohl die Euro-Finanzminister an diesem Freitag erstmals vorab die Budgetpläne der Teilnehmerstaaten für das Jahr 2014 prüften, kommt er zum Schluss, „dass die Konsolidierungsbemühungen im laufenden Jahr nicht so ehrgeizig waren, wie die EU-Kommission dies bei ihrer Frühjahrsprognose noch vorhergesagt hat“. Heinen macht dafür den sinkenden Marktdruck und die Aussicht auf eine neue Wachstumsphase verantwortlich. Damit könnte etwas Kurioses geschehen: Die Sanierungsmaßnahmen könnten abebben, weil sich die meist hoch verschuldeten Euroländer wieder leichter refinanzieren können.

Problematisch bleiben aber auch die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Die hohe Arbeitslosigkeit in einigen Krisenländern wird den Druck hinsichtlich weiterer öffentlicher Investitionen erhöhen. Die Reformanstrengungen könnten zudem durch einen politischen Nebeneffekt zunichte gemacht werden. Werden nämlich radikale Parteien am linken oder rechten Rand wie in Griechenland, Frankreich oder Italien gestärkt, wird auch der Wille der Regierenden nachlassen, die oft harten Sanierungsmaßnahmen fortzusetzen.

  • Spanien löste sein Bankenproblem, Wirtschaft erholt sich.

Spanien hatte ein ganz besonders Problem. Durch eine geplatzte Immobilienblase kamen ab 2007 die wichtigsten Banken des Landes in Schieflage, die Arbeitslosigkeit stieg in Folge dramatisch an. Mithilfe des Euro-Rettungsschirms wurden die Finanzinstitute rekapitalisiert. Im Gegenzug verpflichtete sich die Regierung zu einer Reform des Bankenwesens. Spanien wurde im Juni 2012 ein Hilfskredit von bis zu 100 Milliarden Euro aus dem Rettungsschirm in Aussicht gestellt. Das Land benötigte aber schließlich nur 41 Milliarden Euro. Gleichzeitig leitete das Land weitere Reformen ein, um das Wachstum wieder anzukurbeln. Die Staatsausgaben wurden gesenkt, die angespannte Haushaltslage durch Steuererhöhungen verbessert. Der IWF hat Madrid in einem am Freitag veröffentlichten Bericht ermahnt, auch nach dem Ausstieg aus dem Euro-Rettungsschirm vor allem wegen seines angeschlagenen Bankensektors wachsam zu bleiben. „Trotz jüngster Verbesserungen bleiben wichtige Risiken bestehen“, warnte der IWF. Zu einer Erholung könnte freilich beitragen, wenn Spanien wie erwartet im kommenden Jahr die Rezession überwindet und zu einer Wachstumsphase zurückfindet.

  • Irland hat Probleme großteils überwunden, Defizit sinkt.

Irland war nach Griechenland das zweite Land der Eurozone, das Hilfe durch den Euro-Rettungsschirm beantragte. Jetzt steigt es als erstes Land im Dezember aus dem Hilfsprogramm aus. Ähnlich wie Spanien hat es die Hilfskredite nicht zur Gänze benötigt. Statt 85 Milliarden reichten schließlich rund 68 Milliarden. Künftig will Dublin seine Staatsausgaben wieder selbst über die Finanzmärkte finanzieren. Auch in Irland war in Folge der weltweiten Finanzkrise eine Immobilienblase geplatzt. Der Staat musste die Banken retten und erhöhte damit radikal seine Schulden. Mittlerweile konnte das jährliche Defizit wieder eingedämmt werden. Seit 2008 hat die Regierung den öffentlichen Haushalt um 28 Milliarden gekürzt. Das Defizit hat in diesem Jahr allerdings nach wie vor eine Höhe von 7,4 Prozent des BIPs. Da die Märkte wieder Vertrauen zum irischen Staat gewonnen hatten, sank die Verzinsung von Staatsanleihen auf nur noch 3,5 Prozent. Zum Höhepunkt lag der Zinssatz bei 15 Prozent. Bereits im Frühjahr dieses Jahres beendete das Land die Rezession und kehrte zu einem vorerst bescheidenden Wirtschaftswachstum zurück. Für das kommende Jahr wird wieder mit einem gesunden Wachstum von 1,7 Prozent gerechnet. Allerdings bleibt die Arbeitslosenquote wohl auch weiterhin hoch.

  • Zypern will bei den Sparmaßnahmen Musterschüler sein.

Noch üben sich die Zyprer in cooler Gelassenheit: Streiks sind auf der Mittelmeerinsel eher die Ausnahme als die Regel. Doch auf die Bevölkerung wartet kein einfaches Jahr. Lohnkürzungen und Stellenstreichungen werden vor allem Beamte und Pensionisten treffen, zudem soll es massive Steuererhöhungen geben. Die Arbeitslosigkeit beträgt schon jetzt rekordverdächtige 17 Prozent. Nikosia will die Auflagen der Troika weiter bestmöglich erfüllen, um den Rettungsschirm spätestens 2016 verlassen zu können. Aufschwung erhofft sich die Regierung einerseits durch den Tourismus, der im nächsten Jahr sukzessive wieder in Schwung kommen soll. Andererseits könnten die Rohstoffvorkommen südlich der Insel zur Sanierung der Staatskassen beitragen. Schuld an der Krise ist der aufgeblähte Bankensektor der Insel, der im März dieses Jahres in buchstäblich letzter Minute ein Hilfspaket in Höhe von zehn Milliarden Euro mit den internationalen Geldgebern nötig gemacht hatte. Dieses zwang die Regierung zu harten Sparauflagen und einer Sanierung der Finanzinstitute. Präsident Nikos Anastasiades kündigte jüngst an, schon in naher Zukunft die ungeliebten Kapitalverkehrskontrollen lockern zu wollen. Diese sollten hohe Geldabflüsse von der Insel vermeiden, da Anleger mit einem Guthaben über 100.000 Euro mit einer Zwangsabgabe zur Sanierung der Banken herangezogen worden waren.

  • Verfassungsgericht dämpft Portugals Erfolgsaussichten.

„Wir wollen an die Finanzmärkte zurückkehren“, sagte Portugals Regierungschef Pedro Passos Coelho Anfang des Monats. Tatsächlich läuft das 78 Milliarden Euro schwere Rettungsprogramm des Landes Mitte 2014 nach drei Jahren aus. Die internationalen Geldgeber hegen aber noch Zweifel, ob Portugal den Ausstieg schafft. Der Grund: Die Sparmaßnahmen sind im Land umstritten, Streiks stehen regelmäßig auf der Tagesordnung. Die Arbeitslosigkeit beträgt mittlerweile 16 Prozent. Hinzu kommt, dass das Verfassungsgericht die ambitionierten Konsolidierungsprogramme der Regierung bereits mehrmals kassierte. Auch im kommenden Jahr besteht das Risiko, dass das Gericht die budgetären Zielsetzungen des Landes verwirft, wenn Kürzungen bei Pensionen und Beamtengehältern für verfassungswidrig erklärt werden. Ein Erfolg des Rettungsprogramms sei daher keinesfalls garantiert, mahnte der IWF kürzlich. Die Staatsverschuldung soll in diesem Jahr auf einen Höchststand von 127,8 Prozent des BIPs klettern. Anlass zur Hoffnung geben Prognosen, wonach sich Portugal langsam aus der Rezession befreit: Das BIP stieg in den Monaten Juli bis September im Vergleich zum Vorquartal um 0,2 Prozent.

  • Griechenland streitet mit Troika um Lücke im Haushalt 2014.

Es war ein höfliches Treffen zwischen Angela Merkel und Antonis Samaras. Die deutsche Kanzlerin sprach dem leidgeplagten griechischen Volk Mut zu. „Es gibt Licht am Ende des Tunnels“, sagte sie mit einem Lächeln auf den Lippen. Der griechische Regierungschef war gestern, Freitag, nach Berlin gereist und hatte dort mit Merkel die Sparfortschritte des seit 2010 laufenden Reformprogramms erörtert. Dabei beharrte Samaras darauf, dass Griechenland – anders als zuletzt kolportiert – nach Auslaufen des derzeitigen Hilfsprogramms kein neues Geld benötigen werde. Stattdessen solle es Erleichterungen beim Schuldenabbau in Form von Zinssenkungen und einer Verlängerung der Laufzeiten geben. Damit ist das Problem aber längst nicht gelöst, denn im griechischen Haushalt für das kommende Jahr klafft eine Finanzlücke. Über deren Höhe streiten die Protagonisten seit Wochen: Die Regierung spricht von lediglich 500 Millionen, die Troika aus EU-Kommission, Internationalem Währungsfonds und Europäischer Zentralbank dagegen von 1,5 Milliarden Euro. Unklarheit herrscht daher auch über das Ausmaß weiterer Sparmaßnahmen. Samaras lehnt weitere Sozialkürzungen und Steuererhöhungen ab. Umstritten sind auch die Verteidigungsausgaben und die schleppende Privatisierung von Staatsunternehmen. Das zweite Rettungspaket für Griechenland läuft Ende 2014 aus. Insgesamt hat der Dauerpatient bisher Hilfen in Höhe von 240 Milliarden Euro zugesprochen bekommen. Einen Hoffnungsschimmer gibt es aber: Nach sieben Jahren Rezession kündigt sich endlich eine Erholung an, zudem weist der Staatsetat heuer einen Primärüberschuss aus.

  • Italien: Hohe Staatsschuld, lange Reformagenda.

Enrico Letta hatte vergangene Woche die zweifelhafte Ehre, zu jener Handvoll Regierungschefs zu zählen, deren Budgetentwürfe für 2014 von der EU-Kommission bemängelt wurden. Die Kritik von Währungskommissar Olli Rehn betraf einerseits die Staatsverschuldung – mit prognostizierten 134 Prozent des BIPs der zweithöchste Wert in der EU nach Griechenland –, andererseits aber das Fehlen von Reformbereitschaft in Rom. Nach zwei Jahren Rezession dürfte die italienische Wirtschaft 2014 endlich wieder wachsen. Gemäß der Brüsseler Behörde hat diese Entwicklung allerdings wenig mit Italien selbst und viel mit der Auslandsnachfrage nach italienischen Waren zu tun. Italien ist das einzige Mitglied der Eurozone, dessen Wirtschaftsleistung niedriger ist als zum Zeitpunkt des Beitritts 1999, attestiert der Harvard-Professor und ehemalige EZB-Gouverneur Lorenzo Bini Smaghi, Grund dafür sei der Reformstau: Die To-do-Liste der Regierung umfasst Posten wie Gerichtsbarkeit, Steuersystem, Bildung und Verwaltung. Angesichts der instabilen innenpolitischen Lage ähnelt sie mehr einem Brief ans Christkind als einer realen Reformagenda. Dass Italien dennoch ohne Schützenhilfe des Euro-Rettungsschirms auskommt, hat mehrere Gründe: Erstens ist Italiens Anleihenmarkt sehr liquide – es gibt also genug Nachfrage für italienische Papiere. Diese werden zweitens überwiegend im Inland gehalten, eine Flucht ausländischer Investoren hätte weniger dramatische Konsequenzen als etwa in Spanien. Drittens sind die italienischen Banken in vergleichsweise guter Verfassung. Und viertens ist das strukturelle Budgetdefizit nahe null. Italien droht also nicht der abrupte Kollaps, sondern die schleichende Erosion.

  • Frankreich kämpft mit sich selbst: zu viel Staat, zu wenig privat.

„Frankreich muss mehr tun“: Diese Botschaft richtete gestern Euro-Gruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem an die zweitgrößte Wirtschaftsmacht der Eurozone – und das ausgerechnet in einem Interview mit dem deutschen „Handelsblatt“. Seit dem Amtsantritt von Staatschef François Hollande vor eineinhalb Jahren reißen die ökonomischen Hiobsbotschaften nicht ab: Aufgrund fehlender Reformen droht Frankreich den Anschluss an Deutschland zu verlieren. Das Hauptproblem des Landes ist seine Struktur: Die Staatsausgaben machen rund 57 Prozent der Wirtschaftsleistung aus– ein europäischer Spitzenwert. Entsprechend hoch ist die durchschnittliche Steuerbelastung. Selbst Hollande musste zuletzt zugeben, dass die anstehende Budgetsanierung – für das laufende Jahr wird ein Defizit von 4,1 Prozent des BIPs bei einer Gesamtverschuldung von 93,5 Prozent prognostiziert – nicht einnahmenseitig erfolgen könne. Der französische Fiskus hat das Ende der Fahnenstange erreicht. So gut wie alle Experten sind sich darüber einig, dass Frankreich Strukturreformen braucht, um wieder Schwung holen zu können. Nach einem Nullwachstum 2012 dürfte die Wirtschaft dieses Jahr bestenfalls um 0,2 Prozent zulegen, wobei die jüngsten Konjunkturindikatoren ein Abgleiten in die Rezession zum Jahresende andeuten. Bis dato hat Hollande allerdings tiefgreifende Veränderungen gescheut – seine Pensionsreform weist zwar in die richtige Richtung, geht aber nicht weit genug. Vor allem aber müsste der staatliche Sektor geschrumpft und die steuerliche Belastung der Unternehmen reduziert werden.

  • Slowenien kämpft mit gestressten Banken und faulen Krediten.

Offiziell zählt Slowenien nicht zu den Patienten der Eurozone. Doch das Zwei-Millionen-Einwohner-Land, das als erstes ehemaliges Ostblock-Mitglied 2007 der Währungsunion beigetreten ist, steckt bis zum Hals in finanziellen Schwierigkeiten – ob Ljubljana seine europäischen Partner um Hilfe bitten muss, dürfte sich bis Jahresende herausstellen. Sloweniens Probleme sind zwar hausgemacht, haben aber nichts mit Staatsschulden oder einer geplatzten Immobilienblase zu tun: Die Banken des Landes drohen in einem Meer fauler Kredite unterzugehen. Jüngsten Schätzungen zufolge belaufen sich die notleidenden Verbindlichkeiten in den Bilanzen der Institute auf knapp acht Milliarden Euro – das entspricht in etwa 20 Prozent des slowenischen BIPs. Ob diese Zahlen stimmen, wird sich Mitte Dezember weisen – dann nämlich wird das Ergebnis der Stresstests bei den zehn größten Banken des Landes veröffentlicht. Die Ratingagentur Fitch schätzte den Kapitalbedarf der Banken zuletzt auf 4,6 Mrd. Euro – die Geldreserven der Regierung würden gerade ausreichen, um dieses Loch zu stopfen, im Gespräch ist auch ein 500 Mio. Euro schwerer Haircut für Anleihenhalter.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.11.2013)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.