FDP will sich „Inspiration von Neos“ holen

Interview. Alexander Graf Lambsdorff sieht im Koalitionsvertrag ein „riskantes Dokument“. Und erklärt, wie die FDP von der Liste bedrohter Arten wieder herunterkommen will.

Die Presse: Die „FAZ“ nannte den Koalitionsvertrag den nettesten politischen Text in deutscher Sprache. Ist doch schön, oder?

Alexander Graf Lambsdorff: Ja, und der britische „Economist“ hat ihn „Die große Stagnation“ genannt. Im besten Falle handelt es sich um Stillstand. Stillstand bedeutet aber in Zeiten der Globalisierung einen Rückschritt. Es ist ein für Deutschland hochriskantes Dokument. Werden wir auch weiter die Führungsrolle in der Euro-Stabilisierung innehaben, wenn wir unsere eigene Wettbewerbsfähigkeit beschädigen? Diese Führungsrolle beruht auf unserer starken Wirtschaft und auf unseren einigermaßen soliden öffentlichen Finanzen. Wenn wir aber jetzt Pensionserhöhungen von in toto 852 Mrd. Euro machen, dann ist das das Siebenfache des maximalen Haftungsrisikos in der Euro-Stabilisierung. Nur ist es beim Euro ein Risiko, in der Rente sind es sichere Kosten. Der nächsten Generation werden massive Lasten aufgeladen.

Der Datenschutz hat sich nicht sehr im Vertrag niedergeschlagen, auch die bisherige Regierung – von der FDP-Justizministerin abgesehen – war zögerlich. Warum?

Man muss unterscheiden zwischen dem, was die Regierung öffentlich kommuniziert, und dem, was hinter Kulissen erreicht werden muss, etwa wenn es um das Handy der Kanzlerin geht. Gleichzeitig darf die Regierung nicht vergessen, dass die Kooperation mit den USA weitergehen muss. Wir haben Soldaten in Afghanistan, am Horn von Afrika, auf dem Balkan – da geht es auch um deren Sicherheit.

Da klingen Sie fast wie ein CDU-Mann. Aber Merkels Handy ist ja nur ein Problem. Geht es nicht eher um das milliardenfache Abhören von Normalbürgern?

Das milliardenfache Abschöpfen von Datensätzen, das Snowden öffentlich machte, ist rechtswidrig und inakzeptabel. Es ist aber genau das, was Sozial- und Christdemokraten unter dem Stichwort Vorratsdatenspeicherung auch für Europa wollen. Glücklicherweise zeichnet sich ab, dass der EuGH diesen Anschlag auf die Privatsphäre für grundrechtswidrig erklärt. Das bestätigt, was wir Liberalen von Anfang an gesagt haben.

Die Deutschen haben aber signalisiert, dass sie für den Liberalismus derzeit keinen Platz sehen. Ist Deutschland liberal genug, oder lag es am Angebot der FDP?

Der Bedarf für liberale Politik ist nicht kleiner geworden. Aber die FDP hat die Erwartungen nicht erfüllt. Zu einer liberalen Partei gehören Skepsis, Kritik, das Abwägen. Nicht das Verkünden einfacher Wahrheiten, das sich in den letzten Jahren eingeschlichen hat. Das war kein guter Stil. Das zweite Problem ist inhaltlicher Natur: 2009 sind wir angetreten, das komplizierte Steuersystem zu vereinfachen. Das wurde nicht eingelöst, und nach vier Jahren sagten die Wähler: Die FDP verdient es, abgestraft zu werden. Nach der Wahl haben wir aber viel Zuspruch von Leuten bekommen, die sagten: Wir haben euch nicht gewählt, aber wenn wir das gewusst hätten...

Sie haben keine Angst, dass die FDP mittelfristig zur Liste der bedrohten Arten zählt?

Es gibt ja auf dieser Liste verschiedene Abstufungen, und wir sollten nicht vergessen, dass die FDP nach wie vor viele kommunale Mandatsträger, Abgeordnete im Europaparlament und eine starke Organisation hat. Natürlich ist es ein schwerer Rückschlag, aus dem Bundestag zu fliegen. Und es braucht viel Geduld, langen Atem und auch Härte, dass wir mit unseren Ansichten wieder besser durchdringen. Aber wir haben die Absicht, von dieser Liste wieder herunterzukommen. Wir sehen übrigens eine Inspiration durchaus auch in Österreich, wo wir den Erfolg der Neos mit Erstaunen gesehen haben.

Wir auch. Hier hatten es liberale Parteien ja immer schwerer als in Deutschland.

Mit Heide Schmidts Liberalem Forum hatten wir schon einmal eine Schwesterpartei, die dann aber in schwere Turbulenzen geriet. Die Neos sind jetzt zusammen mit dem erneuerten LiF eine frische liberale Kraft.

Und was wollen Sie von den Neos lernen?

Das Aufbrechen eines schwarz-roten Kartells etwa. Und wie man aus schwieriger Lage heraus einen erfolgreichen Wahlkampf macht. Diese Aufgaben liegen jetzt vor uns.

Zur Person

Alexander Graf Lambsdorff (47) ist Europaabgeordneter der FDP und damit einer der wenigen verbliebenen Parlamentarier der Partei. Er diskutiert am morgigen Dienstag im Wiener Institut für die Wissenschaften vom Menschen (Spittelauer Lände 3, 18.30 Uhr) mit Birgit Sauer (Universität Wien) und Christian Ultsch (Leiter des Ressorts Außenpolitik der „Presse“) über „Deutschland: Die Qual nach der Wahl.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.12.2013)

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