G20-Gipfel

G20-Streit um Russlands Ukraine-Krieg: Indien schmiedet Kompromiss

US-Präsident Joe Biden und  Indiens Premierminister Narendra Modi.
US-Präsident Joe Biden und  Indiens Premierminister Narendra Modi.APA / AFP / Evan Vucci
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Der von Indien vorgelegte Text kommt sowohl den Forderungen Russlands als auch des Westens entgegen.

Beim G20-Gipfel in Neu-Delhi haben sich die führenden Industrie- und Schwellenländer trotz großer Meinungsunterschiede zum Krieg in der Ukraine auf eine gemeinsame Abschlusserklärung geeinigt. Das sagte Indiens Premierminister Narendra Modi am Samstag. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur wird in der Textpassage zum Ukraine-Krieg sowohl auf Forderungen Russlands als auch des Westens eingegangen. Kiew kritisierte den Kompromiss.

Moskau erreichte demnach, dass der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine nicht mehr wie noch im Vorjahr explizit verurteilt wird. Stattdessen wird nun nur noch auf entsprechende Resolutionen der Vereinten Nationen verwiesen. Die Staats- und Regierungschefs der G20 verurteilten demgemäß in der gemeinsamen Gipfelerklärung allgemein den „Einsatz von Gewalt“ zur Erzielung von „Geländegewinnen“ in der Ukraine, ohne dass die russische Aggression gegen das Nachbarland in dem Text beim Namen genannt wird.

Der Westen handelte wiederum eine Formulierung heraus, nach der alle Staaten von Angriffen auf die territoriale Integrität oder politische Unabhängigkeit anderer Staaten Abstand nehmen müssen. Zudem werden zumindest indirekt wieder die Atomwaffendrohungen Russlands kritisiert. „Der Einsatz oder die Androhung des Einsatzes von Kernwaffen ist unzulässig“, heißt es in dem Text. Er wurde von Indien gemeinsam mit Südafrika, Brasilien und Indonesien vorgeschlagen.

Ungehinderte Lieferungen für Russland und Ukraine

Besonders wichtig dürfte für Moskau sein, dass in dem Text auch auf russische Forderungen nach einer Lockerung der westlichen Sanktionen eingegangen wird. So heißt es dort, man rufe dazu auf, die „unverzügliche und ungehinderte Lieferung von Getreide, Lebensmitteln und Düngemitteln/Zusätzen von der Russischen Föderation und der Ukraine„ zu gewährleisten. Dies sei notwendig, um den Bedarf in Entwicklungsländern, besonders denen in Afrika zu befriedigen.

Der russische Machthaber Wladimir Putin, der sich in Neu-Delhi von seinem Außenminister Sergej Lawrow vertreten ließ, hatte zuletzt unter Verweis auf westliche Sanktionen gegen sein Land ein Abkommen für den Transport von ukrainischem Getreide über das Schwarze Meer aufgekündigt. Er argumentiert, dass die Strafmaßnahmen auch den Transport russischer Nahrungs- und Düngemittel in andere Teile der Welt behindern.

Allianz aus China und Russland

Aus Delegationen war zuvor von einem harten Ringen der Unterhändler um die Formulierungen berichtet worden. Den Angaben zufolge stand dem Westen eine Allianz aus China und Russland gegenüber. Peking gilt als international wichtigster Partner Moskaus und hat den Angriffskrieg auf die Ukraine bisher nicht verurteilt. Wegen des Streits war offen gewesen, ob es wie üblich eine gemeinsame Abschlusserklärung der Teilnehmer geben würde.

Beim vorherigen G20-Gipfel auf der indonesischen Ferieninsel Bali hatte sich Moskau 2022 offensichtlich auf Druck Chinas einverstanden erklärt, in die Abschlusserklärung den Satz aufzunehmen: „Die meisten Mitglieder verurteilten den Krieg in der Ukraine aufs Schärfste.“ Russlands Position wurde mit den Worten abgebildet: „Es gab andere Auffassungen und unterschiedliche Bewertungen der Lage und der Sanktionen.“

Die Ukraine war naturgemäß angesichts der Zugeständnisse gegenüber Russland und der fehlenden Verurteilung Moskaus mit der Abschlusserklärung nicht zufrieden. Die gemeinsame Erklärung der führenden Industrie- und Schwellenländer zur russischen Invasion in der Ukraine sei „nichts, worauf man stolz sein könnte“, teilt der Sprecher des ukrainischen Außenministeriums, Oleg Nikolenko, auf Facebook mit. Es sei klar, dass eine Teilnahme der ukrainischen Seite an dem G20-Treffen es den Teilnehmern ermöglicht hätte, die Situation besser zu verstehen.

Russland lobt „ausgewogenes“ Abschlussdokument

Russland lobte das Abschlussdokument dagegen als „ausgewogen“. Moskau begrüße das Ergebnis von Neu-Delhi, sagte die russische Verhandlungsführerin Swetlana Lukasch vor Journalisten. Russland hatte zuvor betont, dass es ein Abschlussdokument nur mittragen werde, wenn auch seine Position darin enthalten sei. Gleichwohl habe es sich um einen der schwierigsten Gipfel gehandelt, sagte Lukasch. „Die Abstimmung zur Erklärung hat 20 Tage vor dem Gipfel gedauert und fünf Tage hier vor Ort“, erzählte sie. „Das lässt sich nicht nur mit irgendwelchen Meinungsverschiedenheiten zum Thema Ukraine erklären, sondern auch mit unterschiedlichen Positionen bei einigen Schlüsselfragen - vor allem zum Klimawandel und zum Übergang zu Energiesystemen mit geringerem Kohlenstoffaufkommen.“

Lukasch räumte allerdings auch ein, dass es zur Ukraine „sehr schwierige Verhandlungen“ gegeben habe. Letztlich hätten die BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) und andere Partner zu der ausbalancierten Erklärung beigetragen. Es seien insgesamt vor allem für die Entwicklungsländer wichtige Ergebnisse erzielt worden. Dabei gehe es um die Reform der internationalen Finanzsysteme, die Sicherheit der Lebensmittelsicherheit und um das Klima sowie Energiefragen. Am Ende stehe ein Konsens der Staaten, geeint im „Interesse des Friedens, der Sicherheit und der Lösung von Konflikten überall auf der Welt zu handeln“, sagte Lukasch.

Olaf Scholz wertet Ukraine-Passage als Erfolg

Auch der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz wertete die Ukraine-Passage als Erfolg. Er würdigte am Samstag in einer Pressekonferenz in Neu-Delhi vor allem, dass darin die „territoriale Integrität“ aller Länder betont werde. Für ihn sei es ein Erfolg, „dass am Ende Russland seinen Widerstand gegen einen solchen Beschluss aufgegeben hat, weil einfach alle anderen sich in diese Richtung bewegt hatten“, sagte der SPD-Politiker. Damit meint er auch China, den engsten Verbündeten Russlands.

Die USA kommentierten die Gipfelergebnisse als Beleg dafür, dass die BRICS-Gruppe wichtiger Schwellenländer kein Konkurrent zum G20-Format sei. BRICS sei weder in irgendeiner Weise eine Opposition oder Alternative zu den G20, sagte der Berater von US-Präsident Joe Biden, Jake Sullivan, am Samstag in der indischen Hauptstadt Neu-Delhi. Nach Indien werden die beiden BRICS-Mitglieder Brasilien und Südafrika Gipfelgastgeber sein, gefolgt von den USA. Die vier Länder veröffentlichten am Samstag eine gemeinsame Erklärung. Darin hieß es, dass die Staats- und Regierungschefs am Rande des Gipfels zusammengekommen seien, um das gemeinsame Engagement für „G20 als wichtigstes Forum für internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit zu bekräftigen“. (APA)

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