Wie man Armut berechnet

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1,2 Millionen Menschen gelten als armutsgefährdet, 1,5 Millionen droht Armut oder Ausgrenzung. Die Quote ist über die vergangenen Jahren weitgehend konstant geblieben.

Wien. Jeder siebente Bewohner Österreichs war 2012 von Armut bedroht. In absoluten Zahlen waren das 1,2 Mio. Menschen. Das geht aus der EU-weiten Erhebung hervor, die von der Statistik Austria veröffentlicht wurde.

Als armutsgefährdet definieren die Statistiker jene, die ein Haushaltseinkommen von weniger als 60 Prozent des Medianeinkommens haben. Diese Grenze lag 2012 für Alleinlebende bei 1090 Euro, plus 545 Euro für jeden zusätzlichen Bewohner über 14 Jahre und 327 Euro für jedes Kind. Ein Haushalt mit zwei Erwachsenen galt 2012 also unter einem Haushaltseinkommen von 1635 Euro als armutsgefährdet.

Dann gibt es die (größere) Gruppe der Armuts- oder Ausgrenzungsgefährdeten, denen zumindest soziale Isolation droht. Das sind jene, die weniger als 20 Prozent ihres Erwerbspotenzials ausschöpfen (dafür aber Sozialleistungen bekommen) und jene Menschen, die sich vier von neun definierten Standardausgaben nicht leisten können: Auto, Waschmaschine, Telefon, Urlaub, Fleisch an jedem zweiten Tag, einen Fernseher, heizen oder rechtzeitig Rechnungen zu zahlen oder unerwartete Ausgaben von bis zu 1000 Euro zu begleichen.

In Summe leben in Österreich also rund 1,5 Millionen Menschen am materiellen Rand der Gesellschaft. Das sind 18,5 Prozent der Bevölkerung. Als stark von Armut gefährdet, erklärt Konrad Pesendorfer, Generaldirektor der Statistik Austria, Menschen, auf die zwei oder alle drei dieser Merkmale zutreffen: Voriges Jahre waren das fünf Prozent der Bevölkerung.

Wenige Arme in Niederlanden

Im EU-Vergleich ist die Wahrscheinlichkeit, unter die statistische Grenze der Armuts- oder Ausgrenzungsgefährdung zu rutschen, in Österreich eher gering. Im Schnitt sind davon in der EU 24,8 Prozent der Bevölkerung bedroht. In den Niederlanden, den SILC (Statistics on Income and Living Conditions)-Zahlen nach das Spitzenland, sind es 15 Prozent, in Deutschland 19,6 Prozent, in Bulgarien, dem Land mit dem größten Anteil an armuts- oder ausgrenzungsgefährdeten Menschen, sind es 49,3 Prozent. Die Definition für Armuts- oder Ausgrenzungsgefährung ist in ganz Europa gleich, wie auch die Kategorien, die für den Lebensstandard und „materielle Deprivation“ verwendet werden.

Neue Methode, höhere Quote

Aufgrund einer EU-Verordnung hat die Statistik Austria für die Zahlen für 2012 zum ersten Mal Verwaltungsdaten über die Einkommen verwendet, statt sich auf Befragungen zu berufen. Das Ergebnis, so Pesendorfer, sei damit nun präziser. Schließlich liegen nun auch Daten über Prämien, andere nicht deklarierte Einkommen oder Daten über sehr geringe Einkommen vor. Außerdem falle sozial erwünschtes Auf- und Abrunden nun weg. Wurde die Quote der Armutsgefährdeten (also jener Menschen mit weniger als 60 Prozent des Medianeinkommens) bisher mit rund zwölf bis 13 Prozent ausgewiesen, lag sie laut Statistik 2012 bei 14,4 Prozent.

Ein Indiz, dass in Österreich mehr Menschen in prekären Situationen leben als bisher bekannt? Nein, sagt Hans Steiner vom Sozialministerium. „Diese Änderung gibt keine Veränderung der realen Lage wieder, bei den Zahlen zur Armutsgefährdung handelt es sich um relative Daten.“ Relativ heißt, dass es durch die Änderung der Methode einen „Niveauschub“ nach oben gegeben habe, so Pesendorfer. Die Schwelle, die ein Einkommen übersteigen muss, damit man nicht als armutsgefährdet gilt, ist nun also höher als zuvor. Und so wurde auch die Zeitreihe bis 2008 zurück neu berechnet. Der Verlauf zeigt aber, dass die Quote der armutsgefährdeten Menschen von 2008 bis 2012 bei rund 14 Prozent konstant geblieben ist.

Armutsgefährdung
ArmutsgefährdungDie Presse

Der Anteil der von Armut oder Ausgrenzung bedrohten Menschen liegt seit fünf Jahren bei rund 19 Prozent. Lässt sich aus der konstanten Quote der Schluss ziehen, dass sich die Einkommensverteilung in Österreich nicht wesentlich verändert hat? Dass – wenn das Medianeinkommen steigt – auch die Einkommen der Menschen unter der Grenze der Armutsgefahr im gleichen Maß wachsen? „Es lässt sich daraus schließen, dass es zumindest keine großen Sprünge gegeben hat“, sagt Pesendorfer. Hans Steiner gibt allerdings zu bedenken, dass nicht immer dieselben Menschen als armutsgefährdet gelten, sondern dass neue in diese Kategorie fallen und andere aufsteigen.

Die Wahrscheinlichkeit, unter die Schwelle von 60 Prozent des Medianeinkommens zu rutschen, ist als Alleinerzieherin oder -erzieher (mit 39 Prozent) am größten. Auch alleinstehende Frauen ohne eigene Pension sind besonders von Armut gefährdet, ebenso Menschen ohne österreichische Staatsbürgerschaft. Diese Risikogruppen sind seit Jahren etwa dieselben.

Mehr stark Armutsgefährdete

Auch unter den stark von Armut oder Ausgrenzung Bedrohten, auf die mindestens zwei Kategorien zutreffen, sind viele Alleinerzieherinnen. In Summe sind in Österreich fünf Prozent stark von Armut betroffen. Und diese Gruppe wächst: Die Zahl der Menschen, die in einem der drei Bereiche von Armut oder Ausgrenzung bedroht sind, ist den revidierten Zahlen nach zwischen 2008 und 2012 von 1,627 Mio. auf 1,542 Mio. geschrumpft. Die Gruppe der mehrfach bedrohten ist indes von 396.000 auf 411.000 Menschen gewachsen.

LEXIKON

Als armutsgefährdet gelten in Österreich Haushalte, die über weniger als 60 Prozent des Medianeinkommens verfügen. Aber die Gruppe der von Armut oder Ausgrenzung bedrohten Menschen ist noch größer. Darunter fallen Menschen aus zwei weiteren Kategorien: Materielle Deprivation bedeutet, dass sich jemand Ausgaben, die zum Standard zählen, nicht leisten kann. Die dritte Kategorie ist die Erwerbsintensität: Schöpft jemand weniger als 20 Prozent seines Erwerbspotenzials aus, gilt er als armuts- oder ausgrenzungsgefährdet. Trifft mehr als eines der Merkmale zu, gelten diese Menschen als stark armutsgefährdet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.12.2013)

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