Die bayrische CSU will Ausländern den Zugang zu Sozialleistungen erschweren – und erntet Kritik. Doch überlegen die Länder, den Kindergeldbezug an Bedingungen zu knüpfen.
Berlin/Sofia/Bukarest. Seit 1.Jänner können Rumänen und Bulgaren in allen EU-Staaten ohne Beschäftigungsbewilligung einen Job annehmen. Schätzungen des Instituts für Höhere Studien (IHS) zufolge werden, wie berichtet, allein heuer etwa 1400 Bulgaren und 4400 Rumänen zusätzlich nach Österreich kommen– neben jenen 5000 Personen, die ohnehin eingewandert wären.
Die vollständige Arbeitsmarktöffnung schürt – nicht nur in Österreich, sondern auch in Deutschland – Ängste vor einer Zuwanderung in die Sozialsysteme. In Deutschland warnt die CSU vor einer „Armutszuwanderung“. Sie will Ausländern den Zugang zum deutschen Sozialsystem erschweren – etwa durch eine dreimonatige Sperrfrist für Hartz-IV-Hilfen an Zuwanderer. SPD und Opposition werfen der CSU Populismus vor, auch die Schwesterpartei CDU mahnt.
Bulgariens Botschafter in Berlin, Radi Naidenov, übte scharfe Kritik. „Wer Vorurteile bedient und populistisch argumentiert, schadet der europäischen Idee insgesamt und damit uns allen“, sagte er in der „Welt“. Die CSU nannte er dabei aber nicht direkt. Mit der Öffnung des EU-Arbeitsmarkts für die beiden Länder werde keine große Welle an bulgarischen Zuwanderern auf Deutschland zurollen. Bulgarien und Rumänien hätten bei der Aufnahme in die EU 2007 alle Eintrittsvoraussetzungen erfüllt und lange Übergangsfristen von sieben Jahren akzeptiert, erklärte der Botschafter. „Jetzt müssen für uns die gleichen Rechte und Pflichten gelten wie für alle EU-Mitgliedstaaten.“
„Probleme auf lokaler Ebene möglich“
Die Vizevorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Annelie Buntenbach, warf der CSU dumpfen Verbalaktionismus vor. „Für Horrorszenarien gibt es keinen Grund“, sagte sie zur Zeitung „Neues Deutschland“. Doch empfiehlt die Bund-Länder-Arbeitsgemeinschaft zu Armutswanderung aus Osteuropa, den Kindergeldbezug an Bedingungen zu knüpfen, wie die „Bild“-Zeitung berichtet. Die Zahlung könne an den Schulbesuch oder den Aufenthalt des Kindes in Deutschland gekoppelt werden. CSU-Chef Horst Seehofer zeigte sich am Montag verwundert über die Kritik an seiner Partei. Die Forderungen stünden im Koalitionsvertrag.
Die EU-Kommission verteidigte am Neujahrstag den Fall der letzten Jobschranken. „Ich bin fest davon überzeugt, dass ein Beschränken der Freizügigkeit von europäischen Beschäftigten nicht die Antwort auf hohe Arbeitslosigkeit oder eine Lösung der Krise ist“, sagte EU-Sozialkommissar László Andor. Rumänien und Bulgarien sind die ärmsten Länder innerhalb der EU.
Briten sind skeptisch
Kommissar Andor rechnet dennoch nicht mit einer dramatischen Zuwanderungswelle, da schon über drei Millionen Bulgaren und Rumänen in anderen EU-Staaten leben. Es könnte aber auf lokaler oder regionaler Ebene Probleme geben. „Die Lösung ist, diese spezifischen Probleme anzugehen, und nicht Wälle gegen diese Beschäftigten zu errichten“, sagte Andor. Mitgliedstaaten könnten in solchen Fällen den europäischen Sozialfonds in Anspruch nehmen, der jährlich mit über zehn Mrd. Euro ausgestattet ist. Laut Andor machen über 14 Millionen EU-Bürger von ihrem Recht Gebrauch, in einem anderen Mitgliedsland der Union zu leben und zu arbeiten.
Der britische Premier David Cameron will schon seit Längerem die Freizügigkeit für Bürger aus ärmeren Ländern einschränken. Der konservative Politiker beharrt auf einer Änderung der EU-Verträge. Großbritannien hat angekündigt, zum Jahreswechsel den Bezug von Sozialleistungen für arme EU-Einwanderer zu erschweren. (DPA/red.)
AUF EINEN BLICK
Arbeitsmarktöffnung. Mit 1.Jänner sind die Übergangsfristen für Rumänien und Bulgarien abgelaufen. Bürger aus diesen Ländern können nun in jedem EU-Staat einen Job annehmen. Kritiker fürchten, dass verstärkt Personen mit geringer Ausbildung zuwandern, da solche mit höherer Ausbildung schon bisher die Möglichkeit hatten, in einem anderen EU-Staat einen Job anzunehmen. Auch fürchtet man eine Einwanderung in die Sozialsysteme. Denn Arbeitnehmer aus den beiden Ländern haben nun schon nach kurzer Beschäftigungsdauer Zugang zu Arbeitslosengeld.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.01.2014)