Kampf dem Sozialmissbrauch: „Wir waren gescheiter“

Rudolf Hundstorfer
Rudolf HundstorferAPA/GEORG HOCHMUTH
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„Presse“-Gespräch. Minister Hundstorfer betont strengere Regelungen als in Deutschland und Großbritannien: „Wollen Illegalität nicht fördern.“

Wien. Das sind die kleinen und großen Freuden österreichischer Regierungsmitglieder. Meist wird ihnen vorgehalten, dass die Politiker beim „großen“ Bruder Deutschland viel umsichtiger und vernünftiger seien. Angesichts der jetzt von der CSU angeheizten Diskussion um den Andrang neuer EU-Bürger aus Rumänien und Bulgarien, um die Vorteile des deutschen Sozialsystems zu nützen, betont Österreichs Sozialminister Rudolf Hundstorfer (SPÖ) im Gespräch mit der „Presse“ hörbar zufrieden: „Diese Dinge gibt es bei uns nicht. Punkt. Ende.“

Der im Dezember 2013 nach fünf Jahren im Amt wiederbestellte Sozialminister führt dabei prompt die ab Anfang 2011 von der SPÖ-ÖVP-Koalition beschlossene Verschärfung beim Zugang von Ausländern und EU-Bürgern in Österreich zu Sozialleistungen ins Treffen. Das hat ihm damals einige Kritik eingetragen. „Ich bin froh, dass wir gescheiter waren“, sagt Hundstorfer deswegen heute mit Seitenblick auf das Nachbarland und auch auf Großbritannien. Der SPÖ-Politiker verweist darauf, dass es in Deutschland im Vergleich faktisch wesentlich einfacher sei, „in das Sozialsystem zuzuziehen“. Österreich hat Anfang 2011 außerdem strengere Auflagen für den Bezug einer Mindestpension gemacht, die im heurigen Jahr mit 857 Euro brutto für Alleinstehende im Monat meist viel höher ist als eine reguläre Pension in den Heimatländern der Zuwanderer. In Großbritannien wiederum ist es laut Sozialministerium leichter, Arbeitslosengeld rascher zu erhalten.

„Europaweit einzigartiges Gesetz“

Zu den Befürchtungen und zu der politischen Kritik, dass Ausländer dennoch die Sozialtöpfe missbrauchten, merkt Hundstorfer an, es sei nie zu 100 Prozent auszuschließen, dass dennoch „irgendwo irgendwer“ zu Unrecht Leistungen beziehe. Der Anteil solcher Missbräuche liege aber „im Promillebereich“ (siehe dazu Seite 1). Vom Gesetz her seien dagegen aber grundsätzlich zu hundert Prozent Vorkehrungen getroffen.

Der Sozial- und Arbeitsminister verweist außerdem darauf, dass umgekehrt auch gesetzliche Änderungen vorgenommen werden, damit ausländische Beschäftigte und heimische Betriebe möglichst nicht durch Schwarzarbeit benachteiligt werden. „Wir haben ein Lohn- und Sozialdumpinggesetz, das ist europaweit wirklich einzigartig“, hebt der Ressortchef hervor. Im neuen rot-schwarzen Regierungsabkommen ist nunmehr sogar noch eine weitere Verschärfung der Bestimmungen vorgesehen.

Kollektivverträge als Schutzschild

Auch bei der Entlohnung sieht der Sozialminister Österreich gegenüber Deutschland im Vorteil. Nämlich durch eine typisch österreichische Einrichtung, die ebenfalls immer wieder auf Kritik stößt: die Sozialpartnerschaft von Dienstgeber- und Dienstnehmervertretern, die für die einzelnen Branchen die Kollektivverträge aushandelt. Hierzulande fielen 95 Prozent der Arbeitsverhältnisse unter die Regelung durch Kollektivverträge. In Deutschland seien es knapp 50 Prozent, erläutert Hundstorfer, der als ÖGB-Präsident bis Dezember 2008 reichlich Erfahrung mit Kollektivverträgen gesammelt hat.

Während in Deutschland die bayrische CSU bei den Forderungen nach strengeren Auflagen für den Erhalt von Sozialleistungen für Ausländer ganz vorn steht, kommt diese Rolle in Österreich der FPÖ zu. Die Freiheitlichen haben sich zuletzt aber auch auf die von der Arbeiterkammer ab dem Frühjahr geplante neue Beratungsstelle für illegale Beschäftigte aus dem Ausland eingeschossen. Der Wiener FPÖ-Landtagsmandatar Bernhard Rösch kündigte am Freitag an, seine Partei werde „auf allen Ebenen“ die Schließung fordern, sollten Arbeiterkammer und ÖGB nicht auf die Eröffnung der Beratungsstelle verzichten.

Hintergrund für die scharfen Attacken der Freiheitlichen zum heurigen Jahresbeginn sind vor allem auch die im Frühjahr in den einzelnen Bundesländern bevorstehenden Arbeiterkammer-Wahlen und die EU-Wahl am 25. Mai 2014. Unmittelbarer Anlass für die gehäuften Aufschreie von FPÖ-Politikern ist die mit 1. Jänner erfolgte Öffnung des heimischen Arbeitsmarktes nun auch für Beschäftigte aus Rumänien und Bulgarien. Diese fällt gerade jetzt zufällig mit der höchsten Arbeitslosenrate in Österreich seit 60 Jahren zusammen, deren Hauptursache das geringe Wirtschaftswachstum ist.

Schützenhilfe für AK-Beratungsstelle

Der Sozialminister stärkt der Arbeiterkammer im Gespräch mit der „Presse“ in dieser Auseinandersetzung den Rücken. „Wir unterstützen jeden Tag, dass man Leute aus der Illegalität herausbringt. Alles, was uns hilft, Schwarzarbeit zu verhindern, für das bin ich.“ Hundstorfer beutelt angesichts des Vorwurfs der Freiheitlichen, die Arbeiterkammer berate illegale Arbeitnehmer dabei, weiter unangemeldet zu arbeiten, fassungslos den Kopf: „Es wird doch keiner glauben, dass wir Illegalität fördern.“ Es gehe bei der Aktion schlichtweg darum, Betroffene zu legalen Arbeitsverhältnissen zu führen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.01.2014)

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