Ibrahim Amir: „Ich bin froh, in Wien zu sein!“

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Ibrahim Amir, syrischer Kurde, Autor und Arzt, spricht über seine Träume und die sinkende Hoffnung auf den Erfolg des Arabischen Frühlings.

Mit seiner Komödie „Habe die Ehre“ über das heikle Thema Ehrenmord hatte der in Wien lebende syrische Arzt Ibrahim Amir, 1984 in Aleppo geboren, im vergangenen Jahr großen Erfolg. Im Hamakom-Theater im Nestroyhof wird das Stück wiederaufgenommen (von 13. bis 18. Jänner), auch am Kölner Schauspielhaus wird es im Frühjahr gezeigt. Sein nächstes Drama widmet Amir den Flüchtlingen in der Votivkirche.

Eine verheiratete Frau hat sich einen Liebhaber genommen. Der Liebhaber wurde ermordet, aber was ist mit der Frau? Wer schreitet zur Tat, um auch sie zu töten? Die Familie kann sich nicht einigen. Ehrenmord als Komödienthema: eine heikle Sache. Mussten Sie um Ihr Leben fürchten?
Nein. Gott sei Dank nicht. Wir behandeln das Thema mit Respekt. „Habe die Ehre“ ist eine Komödie, aber auch ernst. Das Thema ist nicht lustig. Die Komik entsteht aus der Situation.

Warum ist Ehre in muslimischen Gesellschaften so wichtig?
Die Familie ist wichtig – in einem System, in dem man ohne die Unterstützung der Familie auf der Straße landen würde, weil es kein dem Westen vergleichbares soziales System gibt. Wenn man die Ehre verliert, verliert man das Gesicht und damit alles. Das gibt es aber nicht nur in muslimischen Gesellschaften. Die Jungfrau ist in der westlichen Kultur lange Zeit sehr heilig gehalten worden, die klassische Literatur handelt von unberührten Mädchen, ohne sie gäbe es keinen „Faust“, keine „Emilia Galotti“. Die westliche Kultur ist wie die arabische patriarchalisch ausgerichtet, aber die Erscheinungsformen sind anders. Ein betrogener Bankdirektor wird vielleicht eher einen Detektiv engagieren, als zur Waffe zu greifen.

Sie sind mit 19 Jahren nach Österreich gekommen, nachdem Sie in Syrien vom Studium ausgeschlossen worden sind.
Ich bin syrischer Kurde und stamme aus Nordwestaleppo, wo die meisten Kurden leben. Ich habe in Aleppo Medien- und Theaterwissenschaft studiert. Ich wurde exmatrikuliert, nachdem wir an der Uni eine Schweigeminute für die Opfer des Giftgasangriffs der irakischen Luftwaffe auf die hauptsächlich von Kurden bewohnte irakische Stadt Halabdscha 1988 gegen Ende des Ersten Golfkriegs abgehalten hatten. Ein Onkel half mir, nach Wien zu kommen, wo ich das Medizinstudium absolvierte. Ich möchte praktischer Arzt werden.

Arbeiten Sie an einem neuen Stück?
Ich arbeite mit der Regisseurin Tina Leisch an einem Stück über Asylwerber, das mit der Besetzung der Votivkirche zu tun hat. Asylwerber sind an der Entwicklung des Textes beteiligt, ich schreibe die Dialoge aus der Perspektive junger Leute, die ihre Geschichte erzählen.

Was wird aus dem Arabischen Frühling? Glauben Sie, dass sich daraus noch gesellschaftliche Reformen ergeben könnten oder alles bleibt, wie es ist – oder wird alles sogar noch schlechter?
Die Jugendlichen haben damit begonnen, und sie werden diese Bewegung weiterbringen. Das hoffe ich jedenfalls. Durch das Internet hat sich eine neue Sprache entwickelt, eine neue Art des Verständnisses. Die Jugendlichen haben sich gefunden und sind miteinander aufgestanden. Das war für uns alle wichtig.

Der syrische Präsident, Bashar al-Assad, setzte Giftgas gegen die eigene Bevölkerung ein. Die Chemiewaffen wurden zerstört. Aber es gibt immer mehr Gewalt und Flüchtlinge. Was wird geschehen?
Das Problem bei Syrien ist, dass es von Ländern umgeben ist, die kein Interesse an Demokratie haben, wie z.  B. Saudiarabien. Den Regimes im Iran, in den Golfstaaten, in der Türkei, in Russland ist es recht, wenn man sieht, dass Aufstand zu Bürgerkrieg führt, Menschen sterben, das Land zerfetzt wird. Bashar al-Assad kam 2000 an die Macht, es gab die Hoffnung, dass er jung und dynamisch ist, den Westen kennt, dass ein neuer Wind weht. Aber schon nach vier Jahren begann er damit, Oppositionelle einzusperren, und das Regime agierte immer brutaler. Die Baath-Partei ist einfach eine faschistische Partei, arabisch-nationalsozialistisch. Syrien ist arabisch, alle, die in Syrien leben, sind Araber, alle, die etwas anderes behaupten, werden eingesperrt, so ist es auch mit uns geschehen, mit den Kurden, weil wir eine andere Kultur haben.

Das klingt alles ziemlich pessimistisch, was Sie sagen. Müssen Sie Ihr Land öfter erklären – Ihren österreichischen Freunden?
Ja, aber ich mache es nicht mehr gern. Um ehrlich zu sein, es geht mir sogar auf die Nerven. Wenn man hier ist, sieht man alles aus einem ganz anderen Blickwinkel und dann noch diese schrecklichen Bilder aus Syrien in den Medien. Ich bin froh, in Wien zu sein.

Sind Sie religiös?
Ich bin ohne Religionsbekenntnis. Ich glaube nicht daran. Ich finde, jeder soll seinen Glauben für sich behalten und die anderen in Ruhe lassen. Einige Jugendliche in orientalischen Kulturen werden immer konservativer durch das, was dort geschieht. Es fehlt auch an Bildung. Durch die Kämpfe und Kriege werden die Länder immer ärmer. Es gibt zwar Jugendliche, die nach Freiheit, Individualität rufen, aber insgesamt sehe ich eine starke Polarisierung zwischen links und rechts im arabischen Raum. Vielleicht gibt es einen Mittelweg, aber wohl nicht in der näheren Zukunft. In den letzten zwei Jahren sind so viele Gelder in Waffen geflossen, damit hätte man Syrien zweimal aufbauen können.

Würden Sie in Ihr Land zurückgehen, wenn es dort friedlich wäre und die beruflichen Aussichten gut wären?
Ich glaube nicht. Ich bin elf Jahre hier, ich bin ein Wiener. Meine Frau ist halb Türkin, halb Kurdin. Sie singt an der Volksoper.

Ihre Eltern leben in Syrien? Sehen Sie sie manchmal?
Wir haben uns im Sommer in der Türkei getroffen. Meine zwei Schwestern leben in Istanbul. Mein Vater hat Geschichte, Politikwissenschaften studiert. Er war jahrelang politisch tätig und zweimal im Gefängnis. Dann hat er mit der Politik aufgehört. Er ist sozusagen in der inneren Emigration und ist in der Landwirtschaft tätig. Die Kurden haben in Syrien viele Olivenbäume; wir handeln mit Olivenöl.

Spüren Sie als Ausländer in Wien Ressentiments?
Eine alte Dame wollte mich nicht in ihre Wohnung
lassen, sie hat durch den Spion geschaut und gedacht, ich wäre ein Terrorist. Sie hat aber dann verstanden, dass ich Arzt bin und ihr helfen möchte.

Was bestimmt Ihr Leben hier? Ich nehme nicht an, dass es die Politik ist.
Bücher, Musik, Politik natürlich schon auch. Ich finde es unrecht, dass ich seit elf Jahren hier lebe und nicht wählen darf. Ich habe große Sympathien für die Grünen, sie sind die Einzigen, die das thematisieren: Alev Korun, grüne Abgeordnete im Nationalrat, sagte, wenn jemand mehr als fünf Jahre in Wien gelebt hat, eine Arbeitsberechtigung hat und Steuern zahlt, soll er auch
wählen dürfen, wenigstens auf Wien-Ebene.

Haben Sie einen Traum, einen Wunsch?
Ich würde gern zeitkritische, realistische Filme machen. Ich arbeite zurzeit auch an einem Kurzfilm mit einer Kollegin, die Regisseurin ist. Es wird um einen Dolmetscher gehen, der aus der Türkei nach Wien gekommen ist und für Flüchtlinge dolmetscht. Eines Tages trifft er jemanden aus seiner Vergangenheit wieder.

Tipp

„Habe die Ehre“ in der Regie von Hans Escher mit Paola Aguillera wird von 13. bis 18. Jänner 2014 im Hamakom/Nestroyhof, Wien II, Nestroyplatz 1, gespielt.

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